Eine Reise in die Vergangenheit und zurück

Es ist der altbekannte Geruch von Leder, der so manchen «Törbjier» in Erinnerungen schwelgen lässt, wenn er die kleine Schuhmacherei im Herzen des Dorfes betritt. Damals als so viel Zukunft und so wenig Vergangenheit zu sein schien. Nicht viel hat sich über die Jahre in Karlen Titus’ Werkstatt verändert – Kuhglocken, Schuhe zur Reparatur, Glockenriemen – es liegt eine Art «Unordnung in der Ordnung» womit sich nur der Künstler selbst auskennt und die Leidenschaft für das Handwerk förmlich spürbar ist.

«Güätuntag mitänand» und willkommen zum zweiten Beitrag aus der Blogserie Handwerk mit Charakter

Mit 18 Jahren verschlug es Titus Karlen, Gründer der heutigen Karlen Sattlerei- und Handels GmbH, für drei Jahre nach Zermatt, um dort das Handwerk des Schuhmachers zu erlernen. 1951 eröffnete er schliesslich seine eigene Schuhmacherei-Sattlerei in seiner Heimat, Törbel. Im Haus der alten Postfiliale mit Baujahr 1874 richtete sich der Schuhmachermeister seine Werkstatt ein. Von der Post blieb nebst dem Gebäude nur eines übrig: das alte Wandtelefon, welches zu Zeiten der Post als erstes im Dorf galt. 1951, bei der Eröffnung seiner Schuhmacherei, war Titus mit diesem Wandtelefon der 5. Besitzer eines Telefons in Törbel überhaupt.

Im Aufgabenbereich von Titus lagen handgemachte Schuhe, Pferdegeschirr, Glockenriemen, Gürtel, anfallende Reparaturen, verschiedene Accessoires und zahlreiche Militärartikel. Mit seiner Qualität und Liebe fürs Detail hat sich Titus damals schnell einen guten Namen weit über die Dorfgrenzen hinaus gemacht. Insbesondere seine kunstvollen Glockenriemen für Eringerkühe, Schafe und Ziegen sind heute noch bestens bekannt.

Als grösster Auftraggeber galt jedoch die Armee, welche Titus vor allem mit Schuhen und Gürteln versorgte. Noch heute mit seinen 90 Jahren erledigt er kleine Arbeiten und eingehende Reparaturen für Karlen Swiss oder Leute aus dem Dorf.

Ende 90er Jahren musste der kleine Handwerksbetrieb eine neue Richtung einschlagen. Vater Titus ging auf die 70 zu, seitens Armee fand ein starker Rückgang der Aufträge statt und Hans-Jörg hatte ohnehin einen anderen Job als Aussendienstmitarbeiter bei der Lowa Schuhe AG. In dieser Situation hiess es Neuausrichtung oder man lässt es bleiben. Da bot sich jedoch 1998 die Möglichkeit der Übernahme einer Firma, die Folklore-Artikel herstellte. Etwa zur selben Zeit gab es auf dem Markt eine starke Nachfrage nach Loden, einem gewalkten Wollstoff. Die Beschaffung von Loden in guter Qualität erwies sich jedoch als äusserst schwierig und so fiel eines guten Tages Hans-Jörgs Blick auf eine alte Armeedecke in seinem Auto. Da dachte er sich, dass dieser Wollstoff von der Beschaffenheit dem Loden sehr ähnlich kommt. Dies war die Geburtsstunde von Karlen Swiss und der ersten Kollektion, die Army Recycling Collection.

Die Army Recycling Kollektion hatte sich im In- und Ausland bewährt und liegt zudem auch heute noch mit ihrer «Swissness» zeitlos im Trend. Der Hintergrundgedanke, alte, zum Teil gebrauchte Materialien zu recyceln/upcyceln und daraus modische Accessoires herzustellen, trifft besonders heutzutage genau den Nerv der Zeit. Seit dem Start der ersten Kollektion hat sich das Familienunternehmen ständig weiterentwickelt. So beispielsweise der Bau und Umzug in die neue, grosse Werkstatt 2001, wo dann auch von vier auf acht Mitarbeiterinnen aufgestockt wurde. Hier leitet Yvonne, die Frau von Hans-Jörg, mit ihrem Team aus acht Frauen, alle aus Törbel, nun die Produktion und fertigt in leidenschaftlicher, hochqualitativer Handarbeit Einzelstücke für Kunden aus aller Welt. Hans-Jörg als Ideengarant der Firma arbeitet indes immer noch bei der Lowa. Nebst der Grösse des Unternehmens hat sich auch die Kollektionspalette verändert. Die Armeedecke hat nun Konkurrenz bekommen und zwar in Form weiterer Recyclingmaterialien wie Schwingerhosenstoff, SBB-Sitzbezüge oder alten Postsäcken. Mehr zu den Kollektionen, Aufträgen und dem Team werde ich euch in einem späteren Blogbericht erzählen.

Nebst all dem Wandel hinsichtlich Marktanpassung, Kollektionserweiterung, Anstellung von mehr Mitarbeiterinnen und Standortwechsel innerhalb des Dorfes hat sich eines nie verändert und das macht Karlen Swiss aus: die Produkte stehen für echtes Recycling/Upcycling, qualitative Handarbeit und ihre Herkunft aus den Bergen. Jedes Produkt ist ein Unikat und erzählt seine eigene Geschichte.

Und so hängt heute noch der vertraute Geruch von Leder in der Luft, betritt man die heimelige Werkstatt, wo der Schuhmachermeister fast täglich noch «appas umänandre wärchut».

Vielen Dank fürs Lesen.

Falls ihr den ersten Beitrag verpasst habt könnt ihr den hier nachlesen: 1. Beitrag Handwerk mit Charakter
Bei Fragen meldet euch jederzeit bei mir via Mail, Kommentar oder besucht unsere Homepage und Facebook-Seite.

Merci värgältesgott und bis zum negschtu Blog
Grüäss, Dominic

djuon

Aufgewachsen im kleinen Walliser Bergdorf Törbel, hoch über dem Vispertal an einem sonnigen Südhang, wo viel Wert auf Traditionen, Authentizität und Kultur gelegt wird - im selben Dorf hat das Familienunternehmen KARLEN SWISS seinen Ursprung. Ich heisse Dominic und werde euch in meiner Blogserie "Handwerk mit Charakter" das Unternehmen meiner Tante und Onkel näher bringen - von der Sattlerei zur Trendschmiede.

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