Die Situation, in welcher sich die Welt aktuell befindet, konnte sich in dieser Form noch vor einem halben Jahr niemand vorstellen. Viele Firmen hatten Pandemieszenarien im Köcher und doch hat niemand mit diesem Ausmass des Corona-Virus gerechnet. Dass etliche Menschen im heimischen Wohnzimmer anstatt im Grossraumbüro arbeiten, war nicht voraussehbar. Diese Home-Office-Welle bringt auch für Führungskräfte – gerade für frischgebackene – Herausforderungen mit sich.
Persönlich bin ich der Meinung, dass eine Führungskraft mit einem modernen Leadership-Verständnis keine Angst vor der Führung auf Distanz haben muss – egal ob erfahren oder unerfahren. Es zeigt, dass viele Führungseigenschaften wie Vertrauen oder Kommunikation beim Führen der Mitarbeitenden im Home Office noch stärker an Bedeutung gewinnen. Für diesen Blogbeitrag habe ich mich gefragt: Was heisst denn Distanz? Wie weit ist das? Und stütze mich nun auf die Definition «So weit, dass du deine Mitarbeitenden nicht sehen kannst. Dies kann aber auch für Grossraumbüros mit flexiblem Arbeitsplatzkonzept gelten. Deshalb hoffe ich, dass die hier vorgestellten Aspekte auch nach der Corona-Krise ihre Gültigkeit behalten und rege genutzt werden. Trotz der aktuell vielerorts tragischen Lage sollten wir uns trauen, die Chancen zu nutzen, welche sich auch in dieser Krise bieten.
Mit diesen fünf Punkten kann das Führen auf Distanz noch besser gelingen:
-
Keine Angst vor dem Kontrollverlust
Dieser Aspekt scheint mir zentral und wird sowohl in der Fachliteratur wie auch in Blogs immer wieder genannt. Es stimmt, dass eine Kontrolle der Arbeit, Präsenz oder des Verhaltens durch die räumliche Trennung viel schwieriger und Mikromanagement fast verunmöglicht wird. Vielmehr sollte es aber das Ziel sein – auch für die Situation im Grossraumbüro – den Führungsstil partizipativer zu gestalten. Damit werden die Mitarbeitenden stärker eingebunden, bringen eigene Ideen ein und tragen mehr Verantwortung. Auf diese Art fühlen sie sich dem Endresultat auch stärker verpflichtet, als wenn Aufgaben verteilt und kontrolliert werden – egal ob im Büro oder im Home Office. Dieser Aspekt hängt stark mit der Sinnvermittlung zusammen, indem das Team seinen Zweck und die eigene Vision kennt und nach dieser handeln kann.
-
Vertrauen in die Mitarbeitenden haben
Den Mitarbeitenden Vertrauen entgegen zu bringen ist zentral, was sich beim Führen auf Distanz durch die sich verabschiedenden Kontrollmöglichkeiten noch verstärkt. Persönlich erlebe ich es aktuell so, dass mir grosses Vertrauen entgegengebracht wird. Dies rechne ich meinem Chef hoch an und versuche, dies mit Leistung und Qualität entsprechend zurückzuzahlen. Mit persönlichen Gesprächen, übertragener Verantwortung und Mitgestaltungsmöglichkeiten wird das Vertrauensverhältnis zusätzlich gestärkt. Als Führungskraft braucht dies sicherlich auch etwas Mut, gerade wenn man sein Team vielleicht noch nicht so gut kennt. Schliesslich hängt oftmals auch das Erreichen der eigenen Ziele an der Einstellung und Performance der Mitarbeitenden. Mit diesem Vertrauensvorschuss kann das Selbstbewusstsein und das Eigenverantwortungsgefühl der Mitarbeitenden gestärkt werden, was sich auch langfristig auszahlen kann.
-
Kommunikation noch bewusster gestalten
Die Kommunikation innerhalb des Teams mit seinen Mitarbeitenden muss beim Führen auf Distanz noch viel aktiver gestaltet werden. Wo man sich im Büro zuweilen bei der Kaffeemaschine oder zwischen zwei Sitzungen begegnet, finden solche Zufallstreffen schlicht nicht mehr statt, wenn alle im Home Office sind. Persönlich vertrete ich die Haltung – und dies wird von der Literatur gestützt – dass sich Gespräche innerhalb der Teams gerade in dieser Zeit nicht ausschliesslich um die Arbeit drehen sollten. Es braucht Raum für einen persönlichen Austausch über private Themen. Hier kann es beispielsweise helfen, eine allmorgendliche, 15-minütige Videokonferenz abzuhalten. Man sieht sich, plaudert kurz miteinander und hat als Team die Möglichkeit, trotz Distanz gemeinsam in den Tag zu starten. So bleibt das Teamgefühl erhalten und wird sogar gestärkt.
Energielevel des Teams bewusst beeinflussen
Wichtig ist es, zu versuchen, den Energielevel bei seinem Team aufrechtzuerhalten. Gerade in der jetzigen Situation gibt es Personen, die sich zuhause eingekerkert fühlen oder eine Doppel- und Dreifachbelastung haben mit Arbeit, Familie und Haushalt. Als Führungskraft kann dem mit Sensibilität entgegengewirkt werden. Einerseits, indem man sich den Stärken und Schwächen seiner Teammitglieder bewusst ist und auf diese noch stärker eingeht. Andererseits indem beispielsweise in bilateralen Gesprächen aktiv nach dem Befinden gefragt wird und konstruktives Feedback gegeben wird. Gerade jetzt in der Corona-Situation ist es als Führungskraft wichtig, seinen Mitarbeitenden auch zu vermitteln, dass es darum geht, aus den vorhandenen Ressourcen das Optimale herauszuholen und es nicht um Perfektion geht. Auch mit Humor kann die Moral hochgehalten werden, beispielsweise mit einem lustigen Bild oder Video im Whatsapp-Chat, das die Gedanken in eine andere Richtung lenkt.
-
Klare Regeln festhalten
Der fünfte Punkt scheint gemäss Überschrift aus der Reihe zu tanzen, da er Kontrolle suggeriert. Vielmehr geht es aber darum, gemeinsam mit dem Team klare Regeln des Zusammenarbeitens festzuhalten. Natürlich braucht es die auch, wenn das Team gemeinsam im gleichen Büro sitzt, doch wie bei einigen Punkten weiter oben nimmt die Bedeutung beim Führen auf Distanz zu. Es gilt beispielsweise festzuhalten, auf welchen Plattformen man welche Inhalte zusammen diskutiert. Nutzen wir für alles E-Mail? Wann nutzen wir den Chat? Welche Kollaborationsplattform ist diejenige, die wir fürs Team nutzen, um uns nicht zu verzetteln?
Es ist ratsam, diese Regeln festzuhalten, genauso wie die Definition von gewissen Zeitfenstern, in welchen die Mitarbeitenden erreichbar sind. Nicht zuletzt ist es für die Führungskraft eine grosse Herausforderung, sich noch klarer auszudrücken und Aufträge noch genauer zu formulieren. Wenn Gestik und Mimik teilweise wegfallen und Arbeiten via Mail oder telefonisch delegiert werden, müssen die Zielsetzungen und Erwartungen klarer sein denn je.
Oft bringt erst Distanz zwei Menschen einander näher. – Annette Andersen
Schliesslich ist es für eine junge Leaderin oder einen jungen Leader ein Balanceakt zwischen Vertrauen und dem Überprüfen der Spielregeln. Was ich in dieser Phase der langen Home-Office-Tage beobachten konnte, war, dass man sich trotz räumlicher Distanz teilweise fast näher kommt. Sei dies, weil man seinem Gegenüber direkt ins Wohnzimmer sieht mit all den persönlichen Gegenständen, oder weil der Chef in einem wichtigen Konferenzcall mit zig Teilnehmern innehält und sagt, er müsse kurz den Hund rauslassen. Auch diese Formen der Nähe, welche wir über die Distanz nun aufbauen, sollten wir über die Corona-Zeit hinaus konservieren.
Habe ich etwas vergessen oder hast du andere Rückmeldungen? Ich freue mich über deine Reaktion.
Lies auch meine vorhergehenden Posts und lasse dich zum Thema Leadership inspirieren:
Leadership | Jung führt alt
Leadership im Dialog | Unterstützung für junge Führungskräfte
Leadership | Erwartungen gehen mit jeder Führungsposition einher
Leadership | Kann man das lernen?
Quellen:
https://www.mehr-fuehren.de/fuehren-auf-distanz/
Herrmann, Hüneke & Rohrberg (2012). Führen auf Distanz. Springer & Gabler
https://www.netzwoche.ch/news/2020-04-05/so-klappt-leadership-auch-im-homeoffice
Bild: Photo by Sven Brandsma on Unsplash