In meinem letzten Beitrag habe ich dir einen kleinen Einblick in den Marktladen Quai 4 der Firma Wärchbrogg gewährt und dir vor allem die Abfüllstation gezeigt. Das soziale Unternehmen überzeugt aber nicht nur durch die nachhaltige Bewirtschaftung, sondern zeigt euch grosses Engagement in Bezug auf die gesellschaftliche Integration von psychisch beeinträchtigten Personen. Im spannenden Interview mit dem Leiter Detailhandel Stefan Huber, der ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung ist, erfährst du genaueres rund um das Engagement der Firma Wärchbrogg (weiter unten auch zum Nachhören auf Schweizerdeutsch).
Herr Huber, um was geht es bei der Firma Wärchbrogg und dem Marktladen Quai 4? Können Sie uns darüber erzählen?
Ja, sehr gerne. Die Firma Wärchbrogg gibt es mittlerweile schon seit 60 Jahren. Es geht bei uns darum, dass Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die hier arbeiten, eine Tagesstruktur bekommen. Wir betreiben also keine Wohnhäuser für psychisch belastete Menschen, sondern geben ihnen durch Arbeit eine Tagesstruktur: Und für das gibt es das Quai 4. Wir haben am Alpenquai 4 ursprünglich vor 6-7 Jahren mit einem Volg-Konzept angefangen, als wir die Betriebs-Fläche im Erdgeschoss erhielten. Relativ früh haben wir aber gemerkt, dass das Volg-Konzept nicht funktionierte, da uns die Laufkundschaft am Alpenquai fehlt. Nach reiflichen Überlegungen, wie wir die Kundschaft zu uns holen könnten, ist dann das heutige Konzept entstanden. Ziel war es ein Marktgefühl zu vermitteln. Aufhänger ist dabei unsere Abfüllstation mit weit über 100 verschiedenen Produkten. Sie war die erste in der Zentralschweiz. Dann hat man sich auch vom Sortiment her entschieden sich in der Bio und regionalen Nische zu positionieren, dass wir wirklich auch etwas Spezielles bieten können, um die Kundschaft zu uns zu holen. Zusammen zum Marktladen haben wir auch das Restaurant nebenan eröffnet. Beides hat sich gemeinsam zum Namen Quai 4 etabliert.
War bei der Konzeptentwicklung auch der Nachhaltigkeitsgedanke ein Thema?
Ja, wir versuchen Nachhaltigkeit in den meisten Bereichen zu leben. Einerseits im Verkauf: man kann von Reinigungsmitteln über Putzmittel zu Esswaren verpackungsfrei abfüllen. Der Marktladen arbeitet auch sehr eng mit dem Restaurant zusammen. Wir versuchen auch z. B. Früchte und Gemüse, die wir nicht mehr verkaufen können, intern weiter zu verwerten, z. B. in einem Gericht. Im Marktladen machen wir auch selbst Smoothies mit Früchten, die wir den Tag vorher aus dem Sortiment nehmen mussten, aber weiterhin eigentlich noch essbar sind.
Auch unsere Kundschaft ist sehr nachhaltig und bewusst unterwegs. Ich erinnere mich gerade an ein Beispiel dazu: Für die Ostersaison haben wir Nudeln verkauft, die in Plastiksäcke verpackt waren. Eine Stammkundin hat mich dann in einer E-Mail gefragt, ob wir mit den Produzenten schauen könnten, um das Produkt plastikfrei und damit nachhaltiger zu verpacken. Also viele Menschen, die im Marktladen einkaufen sind bewusst nachhaltig unterwegs.
Es ist also eigentlich die Zielgruppe, die die nachhaltige Orientierung vom Laden vorzeigt und gefordert hat?
Ja, genau. So haben wir während Corona einen bedeutenden Zuwachs verspürt. Wir haben 39% mehr Umsatz als im Vorjahr erzielt. Dies hat sich mittlerweile etwas zurück korrigiert, aber Gott sei Dank nicht zu fest. Seit Corona merken wir aber, dass das nachhaltige Bewusstsein noch präsenter bei den Konsumenten angekommen ist. Die Menschen sind deutlich mehr nachhaltig unterwegs und dies hilft unserem Geschäft.
Sie haben die Abfüllstation bereits erwähnt. Wie werden die Produkte geliefert und weiterverarbeitet?
Es kommt darauf an, aber viele Sachen laufen über die Firma Birr & Partner, die uns die Produkte in grösseren Gebinden liefern. Die grösseren Verpackungen der Reinigungsprodukte im Offenverkauf geben wir zurück. Gewisse Verpackungen befinden sich in einem Kreislauf, sie werden ausgewaschen, der Deckel wird ersetzt und dann werden die Gefässe wieder aufgefüllt an uns geliefert usw. Viele Produkte werden auch in Kartons geliefert. Die Liefer-Verpackungen können also nachhaltig entsorgt werden oder stehen durch ihre Wiederverwendung in einem steten Kreislauf.
Wie sie bereits erwähnt haben, werden aus Früchten, die noch essbar aber nicht mehr verkauft werden können, z. B. Smoothies hergestellt oder auch Gemüse im Restaurant weiterverarbeitet. Was unternehmen Sie sonst noch gegen den Food-Waste?
Wir hatten schon verschiedene Anfragen zum Beispiel vom Madame Frigo zum Thema Food-Waste, haben uns aber gegen solche Möglichkeiten entschieden, da dies ausserhalb unserer Kontrolle lag. Aber wir versuchen intern alles zu verwerten im Sinne davon, dass wir die Produkte unentgeltlich an die Fachpersonen und die Mitarbeitenden weitergeben. Sie sind auch froh, wenn sie manchmal einen Zustupf bekommen, da die meisten IV-Bezüger*innen sind und daher nicht im Geld schwimmen. Ausserdem wird aus Brot Paniermehl gemacht. Also, wir unternehmen vieles gegen Food-Waste, konzentrieren unsere Handlungen aber vor allem auf den Bereich Früchte und Gemüse. Alles andere im Laden ist nämlich länger haltbar und wird meistens auch innerhalb vom empfohlenen Verbrauchsdatum verkauft. Ausserdem verkaufen wir das Brot, welches wir heute nicht mehr verkaufen, morgen zum halben Preis. Das wird von unseren Kunden sehr geschätzt und so können wir unseren Abfall eindämmen und tief halten.
Wie ist es mit der Zusammenarbeit mit dem Team und den psychisch beeinträchtigten Personen? Sie haben bereits erwähnt, dass sie begleitet werden und es vor allem darum geht, ihnen eine Tagesstruktur zu geben.
Genau, die meisten arbeiten im 50% Pensum bei uns und sind am Morgen da, weil sie viele Medikamente nehmen müssen und darum am Morgen etwas fitter sind. Im Laufe des Tages lässt die Energie nämlich durch das Wirken der Medikamente nach. Es gibt aber auch Mitarbeitende, die ganze Schichten arbeiten und damit bereits mit einem Bein im Arbeitsmarkt stehen sowie wieder darin integriert werden können. Das ist aber leider nicht die Mehrheit. Die meisten arbeiten schon länger hier. Wir haben zum Beispiel jemanden, der bald 40 Jahre bei Wärchbrogg arbeitet und in Pension geht. Die Stellen bei Wärchbrogg sind bei den Personen, die begleitet (wieder) im Berufsleben einsteigen möchten, sehr beliebt, vor allem der Marktladen, denn man hat Kundenkontakt, kann sich aber auch zurückziehen. Je nach Tagesform der Person ist sich zurückziehen zu können nämlich sehr wichtig.
Arbeiten Sie auch mit anderen Institutionen oder sozialen Unternehmen zusammen, die eine ähnliche Mission wie sie haben?
Vor allem mit der IV. Die Mitarbeitenden werden über die IV vermittelt, wir stehen im steten Austausch und so werden die Menschen uns zugewiesen. Sie kommen meistens eine Woche bei uns schnuppern. Wir bieten jetzt neu ab diesem Schuljahr auch Ausbildungen bis zu EFZ. Zwei Personen starten gerade eine PRA-Ausbildung, das ist eine zweijährige praktische Ausbildung. Es soll eine Möglichkeit geben trotz psychischer Belastungen eine Ausbildung zu machen und einen ersten Schritt im Arbeitsmarkt bieten, um einen Job zu erhalten und weitere Ausbildungstüren in der Zukunft zu öffnen. Die Ausbildungen sind eher praktisch orientiert und weniger auf die Schule. Die Auszubildenden besuchen dann die Schule der Stiftung Brändi. Damit ermöglichen die Ausbildungsstellen noch Verbindungen mit den anderen Institutionen durch die Arbeit.
Was ist dabei das Ziel?
Das ultimative Ziel ist die Menschen wieder im öffentlichen Arbeitsmarkt integrieren zu können. Das ist aber wie gesagt, leider nicht der Normalfall. Das hängt meistens mit der Schwere von den Erkrankungen zusammen. Vielfach handelt sich um gleich mehrere Erkrankungen zusammen: Depressionen, Burnout, usw. Es ist meistens eine Kombination von verschiedenen Sachen.
Wenn man über Nachhaltigkeit spricht, dann denkt man vor allem an die ökologischen Aspekte, z. B. mit der Einsparung von Verpackungen durch die Abfüllstation. Nachhaltigkeit hat aber auch einen sozialen und ökonomischen Aspekt. Was würden Sie sagen, macht Wärchbrogg für diese Dimensionen der Nachhaltigkeit, vor allem in Bezug auf ihre Mission psychisch Beeinträchtige wieder ins Arbeitsleben zu führen?
Wir haben zwei Einkommensquellen: Zahlungen von IV und Kanton, dass wir geschützte Arbeitsplätze anbieten können, und die Aussenumsätze aus dem Restaurant, die Marktläden und der Produktion. Unsere Verantwortung ist, die Firma langfristig zu erhalten durch die Aussenumsätze. Einerseits geht es darum Stellen für psychisch beeinträchtigte Personen offerieren zu können und andererseits den Fortbestand vom Betrieb weiterhin gewährleisten zu können. Beides geht also Hand in Hand und ist unsere soziale Nachhaltigkeit bzw. soziale Verantwortlichkeit. Seit der Pandemie haben wir auch ein Zuwachs erlebt, es sind mehr Personen mit psychischen Krankheiten zu uns gekommen, vor allem Jugendliche. Sie hatten am meisten Mühe mit der Situation und das macht sich jetzt auch bemerkbar. Wir arbeiten auch mit der Stiftung Dreipunkt zusammen. Sie liefern uns das Brot im Marktladen und sie sind spezialisiert auf Jugendliche. Sie haben mitgeteilt, dass sie während der Pandemie komplett überrennt worden sind. Das ist ein trauriges Zeichen, aber es zeigt auch die Wichtigkeit von solchen Institutionen. Wärchbrogg hat dazu eine gute Grösse, wir sind insgesamt etwa 190 Mitarbeiter. Davon leiden aber etwa 40-80 Personen an einer psychischen Krankheit. Im Vergleich zur Stiftung Brändi oder der IG-Arbeit sind wir also eher eine kleinere Firma, aber es ist nach wie vor auch wichtig, dass es solche Unternehmen wie uns gibt.
Das Brot wird Ihnen von der Stiftung Dreipunkt geliefert, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten. Welche weiteren Lieferanten und Produzenten arbeiten auch mit psychisch beeinträchtigten Personen?
Ja, wir arbeiten sehr eng mit Gelati Gasparini zusammen, die ebenfalls Menschen mit Beeinträchtigungen durch Stellen gesellschaftlich integrieren. Wir versuchen also auch, die Produkte dieser Organisationen, die unsere Mission auch verfolgen, in unseren Laden einzubeziehen.
In diesem Sinne steht Wärchbrogg also für ihr soziales und nachhaltiges Engagement durch den Marktladen Quai 4, wie auch das Restaurant und die Werkstatt. Vielen Dank an Stefan Huber für das spannende Interview.
Was hat dich am Interview am meisten überrascht, erfreut, interessiert oder schockiert?
Lass es mich in den Kommentaren wissen.
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