Die Joker-Frage. Verständlichkeit im Wahlkampf-Interview

Kandidierende im Wahlkampf befinden sich oft in einem Dilemma: Einerseits müssen sie sich im Gespräch mit den Medien profilieren, auch um sich von ihren Kontrahentinnen und Kontrahenten abzugrenzen. Andererseits birgt eine zu starke Zuspitzung die Gefahr, dass sich weniger Menschen mit ihrer Position identifizieren können. Im Umgang mit diesem Dilemma greifen Politikerinnen und Politiker auch auf sprachliche Strategien der Verdeutlichung und Verwischung zurück.

Anlässlich der Wahl des neuen Badener Stadtammans hat „Der Sonntag“ den beiden Kandidaten, dem grünen Nationalrat und Vizeammann Geri Müller (team) und dem Stadtrat Roger Huber (FDP), in einem speziellen Arrangement auf den Zahn gefühlt. Er stellte den Kontrahenten 19 politische und auch persönliche Fragen und druckte diese, zusammen mit den Antworten, kommentarlos nebeneinander ab. Klare Fragen verlangen klare Antworten. Wie gehen die beiden Kandidaten mit dieser Herausforderung um? Hier ein paar Auszüge:

– „Wie viel Geld haben Sie für den Wahlkampf ausgegeben?“ Müller: „3000 Franken.“ Huber: „Das weiss ich erst nach Vorliegen der Schlussrechnung … .“

– „Soll Baden die Steuern senken?“ Müller: „Nein. Baden hat viele Projekte vor sich, mit dem jetzigen Steuersatz sind Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht.“ Huber: „Wir müssen erst die anstehenden Grossprojekte beim jetzigen Satz verdauen. Danach kann eine Neubeurteilung erfolgen.“

– „Welches Einkommen und Vermögen versteuern Sie?“ Müller: „98 000 und 0.“ Huber: „Hier nehme ich den zur Verfügung stehenden Joker in Anspruch.“

Während Roger Huber sich einer Festlegung charmant entzieht, legt Geri Müller die Karten ohne mit der Wimper zu zucken auf den Tisch. Mit einer Ausnahme: Aufgefordert, sich auf einer Skala von -10 (ganz links) bis +10 (ganz rechts) zu positionieren, witzelt er: „Ganz vorne.“

Unverständlichkeit schafft Unbestimmtheit

Der Eindruck von Unbestimmtheit auf der einen und Eindeutigkeit auf der anderen Seite wird durch den Sprachstil der beiden Kontrahenten noch verstärkt. Der Jurist Roger Huber liebt Sätze mit möglichst vielen abstrakten Nomen und wenig Verben: „Ein Ansatz ist die Umsetzung der vom Einwohnerrat verabschiedeten Wohnbaustrategie durch die städtische Wohnbaustiftung.“ Die Satzkonstruktion erschwert es, den Standpunkt des Befragten auszumachen: Dass die Wohnbaustrategie ein Ansatz gegen die Wohnungsnot „ist“, scheint klar, aber wie steht der Huber selbst zu diesem Ansatz? Und weiter: „Durch die Förderung des Angebots für das Wohnen im Alter wird bestehender Wohnraum für Familien mit Kindern frei.“ Es ist nicht nur der Nominalsalat, der diesen Satz schwer verdaulich macht. Für Zehntelsekunden muss ich als Leserin auch noch den kleinen, aber wohl feinen Unterschied zwischen Wohnraum und bestehendem Wohnraum geistig verarbeiten, um dann festzustellen, dass dieser Unterschied hier nicht relevant ist. Ein typischer Fall von Aufmerksamkeitsverschleiss durch unnötige Pleonasmen (da bist du wieder, Schurke). Müllers Sätze hingegen sind durch Verben geprägt: „Die Wohnkosten steigen immer mehr an, sodass etwa Junge und Familien immer mehr Probleme bekommen.“ Das ist unmittelbar nachvollziehbar.

Schlüsselwörter polarisieren

Auch in der Wortwahl von Stadtrat Huber macht sich eine Neigung zu abstrakten Begriffen und floskelhaften Wendungen bemerkbar: Die Volksbefragung zeige „konkrete Perspektiven“ auf, die „erfolgreiche Zusammenarbeit“ der Polizei von Gemeinden und Kanton müsse man „vertiefen“, und zwar insbesondere „im Bereich“ Einbruchstourismus. Floskeln schläfern nicht nur die Erwartung der Lesenden ein, dass sie etwas Neues erfahren werden, Floskeln haben zudem die Tendenz, sich selbst zu entlarven: Wenn die Zusammenarbeit erfolgreich ist, warum muss man sie dann vertiefen? Vizeammann Müller setzt in seinem Vokabular auf Schlüsselwörter – mit dem Risiko, dass sie für Andersdenkende als Reizwörter wirken: „Integrationskraft“, „offene Gesellschaft“, „Mitverantwortung“, „Quartierautonomie“. Zudem konretisiert er Sachverhalte, indem er sie in sprachliche Bilder packt: ein „Strauss“ von Massnahmen und ein „Rucksack“ im Juristischen.

Wer erzählt, gewinnt

Am meisten gewinnt Müller paradoxerweise bei der Frage, worin seine prägendste persönliche Niederlage bestehe. Er erzählt die Geschichte seines leidenschaftlichen, aber ergebnislosen Kampfs gegen den ungerechtfertigen Rauswurf eines Mitschülers. Dabei demonstriert er mit seiner distanzierten Schilderung Abgeklärtheit und Fähigkeit zur Selbstkritik. Die Mini-Erzählung fördert nicht nur die Verarbeitungsmotivation der Leserschaft – den Antrieb, weiterzulesen und mehr zu erfahren – sie macht Müller auch zum Sympathieträger. Denn Geschichten ermöglichen Identifikation und wecken Emotionen. Sein Kontrahent hingegen will sich bei der Frage nach seiner prägendsten Niederlage lieber nicht outen: „Es sind die kleinen positiven und weniger positiven Erlebnisse des Alltags, die mich prägen und weiterbringen.“ Der FDP-Politiker verbleibt einmal mehr im Abstrakten – und vergibt sich damit die Chance, für die Leserinnen und Leser als Mensch mit Stärken und Schwächen fassbar zu werden.

Stil macht Profil

Klare Fragen verlangen klare Antworten. Was tun? Die Entscheidung im Profilbildungsdilemma zwischen Determiniertheit und Unschärfe ist abhängig von der Situation, der politischen Zugehörigkeit und nicht zuletzt auch der individuellen Veranlagung der Politikerinnen und Politiker. Welchen Weg sie aber auch immer wählen, eines ist gewiss: Der Stil ist Teil der Botschaft.

Müller, P. & Rupf, M. (2013, 17. Februar). „Wie viel Geld haben Sie ausgegeben?“ Der Sonntag, S. 48.