Die Unverständlichkeit von Politiksprache

Wir sind davon abhängig, dass wir die Welt um uns herum verstehen und deuten können. Insbesondere besteht – zumindest in demokratischen Gesellschaften – auch der Anspruch, die Politik und die Sprache von Politikerinnen und Politikern zu verstehen.

Während bei Naturvölkern das Verstehen von Vorgängen in der Natur im Zentrum steht, hängt für viele Menschen in sog. modernen Zivilisationen das Verstehen vor allem von der menschlichen Sprache und in diesem Sinne von der Verständlichkeit von (mündlichen und schriftlichen) Texten ab. Beispielsweise von politischen Reden und Schriften. Dass dies nicht immer ganz einfach ist, belegen verschiedene Beispiele ebenso wie mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Feld.

Die Unverständlichkeit von Politikerinnen und Politikern lässt sich dabei auf verschiedene Umstände zurück führen: Zum einen ist die Sprache der Politik zumindest teilweise Fachsprache. Fachsprachen sind für die Kommunikation unter Expertinnen und Experten gedacht, sie haben nicht zum Ziel, Laien verständlich anzusprechen. Zum anderen gehört es zu gewissen politischen Strategien, Sachverhalte zu verschleiern, sei es im Wahlkampf oder in Verhandlungen. Das soll nicht eine Rechtfertigung für mangelnde Verständlichkeit in der Politik sein, sondern viel mehr eine Erklärung dafür.

(Un-)Verständlichkeit von Politikerinnen und Politikern

Ein berühmtes Beispiel für eine unverständliche Aussage eines Politikers stammt von Edmund Stoiber. Über den Inhalt seines Votums zum Transrapid lässt sich nicht viel sagen: Stoibers Ziel ist schlicht unverständlich. Interessant ist aber, dass sich trotzdem ein Bild vor den Augen auftut, wenn man sich die Rede anhört. Zwar ist die Kohäsion stark gestört: Es kommt kaum ein vollständiger Satz vor und es fehlt die eigentliche Aussage. Aber es ist eine gewisse Kohärenz vorhanden: Ich sehe, wie ich mit der neuen Zugverbindung „näher“ (sprich: schneller) zum Flughafen gelange.
Politikerinnen und Politiker sollen transparent sein – so hätte man es zumindest gerne. Unabhängig davon, ob jemand (in der Politik, in der Wirtschaft oder überhaupt) bewusst oder unbewusst Sachverhalte zu verschleiern versucht: Wenn man merkt, dass mit der Verständlichkeit etwas nicht stimmt, wird man wohl automatisch etwas misstrauisch, zumindest aber hellhörig. Vielleicht hat sich Herr Stoiber aber auch aus purer Begeisterung verhaspelt.

(Un-)Verständlichkeit von Inhalten

Unsere Welt wird komplexer und damit wird es auch schwieriger, sich einfach und verständlich über sie zu äussern. Das wird auch zur Herausforderung für die Politikerinnen und Politiker, denn sie sollten ihre Ansichten der Bevölkerung verständlich machen. Dabei stossen sie teilweise auch an ihre eigenen Grenzen, denn sie bewegen sich nicht nur in der politischen, sondern in allen möglichen Fachsprachen. Mit viel Humor hat das Hans-Rudolf Merz in seiner Bündnerfleisch-Rede genommen. Nachdem er beim Verlesen einer Antwort auf eine Frage aus dem Parlament mehrmals laut herauslachen musste, entschuldigte er sich am Ende mit den Worten: „Herr Nationalrat, ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich zwischendrin einfach nicht verstanden habe, was ich Ihnen vorlas.“.
Wer sich den Gesetzestext auch nur ausschnittweise anschaut (oder anhört), merkt schnell, dass es sich dabei wirklich um Fachsprache handelt. Der Text ist in dieser Form für Gesetze und Verordnungen wichtig und richtig. Aber er kann nicht für die Allgemeinheit (und offensichtlich auch nicht für alle Politikerinnen und Politiker) verständlich sein. Er muss auch nicht. Seine Unverständlichkeit kann aber nicht der Politiksprache angelastet werden, wenn schon, dann der Rechtssprache.

Verständlichkeit von Parteien: zu einfach ist langweilig

Dass Politiksprache auch dann unverständlich sein kann, wenn die Politikerinnen und Politiker in ihrem eigenen Element sind, belegen verschiedene Untersuchungen, beispielsweise von der Universität Hohenheim. Mit dem PolitMonitor beobachten die Forschenden die Verständlichkeit der Online-Kommunikation von sechs politischen Parteien. Die Verständlichkeit wird dabei von 0 (niedrig) bis 20 (hoch) eingestuft. Von Januar bis Juni 2012 hat es keine der untersuchten Parteien über den Wert 12 geschafft. Interessant ist, dass die meisten Parteien während des gesamten Zeitraums ihre Verständlichkeit in einem recht engen Band von etwa 9 bis 11 variieren. Nur eine Partei liegt konstant tiefer, eine weitere erlitt im März mit dem Wert 2 ein Rekordtief.
Was können wir daraus lesen? Parteien betreiben eine relativ konstante Kommunikation im Bezug auf die Verständlichkeit. Sie versuchen dabei, einen Mittelweg zwischen sehr gut lesbar und kaum mehr entschlüsselbarer Sprache zu gehen. Damit machen sie ihre Sache eigentlich nicht schlecht, denn wenn Texte zu einfach gestaltet sind, werden sie für ein durchschnittliches Publikum langweilig. Einfache Sprache wird manchen Politikern sogar negativ angekreidet, wie der Sprachblog des Economist hier erläutert.

Verständlichkeit oder Lesbarkeit?

Anmerken möchte ich noch, dass auch der Hohenheimer Verständlichkeitsindex sich gemäss eigenen Angaben nur aus Lesbarkeitskriterien zusammensetzt. Verständlichkeit geht aber über die Lesbarkeit hinaus: Es geht nicht nur darum, einen Text quasi Wort-für-Wort zu entschlüsseln, sondern das neue Wissen aus dem Text an sein eigenes Vorwissen anzubinden (vgl. auch Verständlichkeit). Verständlichkeit ist darum immer abhängig von den Adressatinnen und Adressaten, beziehungsweise von den einzelnen Rezipierenden.

Verständlichkeitsfaktoren

Seit wenigen Monaten liegt das Buch „Verstehen und Verständlichkeit von Politikersprache“ von Jan Kercher vor. Er beleuchtet darin das Verhältnis von Politiksprache und Verständlichkeit genauer und liefert eine detaillierte Aufstellung über Faktoren, welche die Verständlichkeit beeinflussen. In zwei Experimenten untersucht er anschliessend, wie es um die Verständlichkeit von Politiksprache tatsächlich steht.

Die Welt wird komplexer, Tag für Tag. Trotzdem dürfen wir die Verständlichkeit von Texten in Frage stellen. Wir dürfen fordern, dass auch Politikerinnen und Politiker mit uns in einer angemessenen Verständlichkeit sprechen.