In den letzten Jahren haben Medienkonsumentinnen und -konsumenten mehr von der Finanzwelt mitbekommen als in der Zeit vor der Finanzkrise. Verstehen sie aber auch, wie die Krise zustande kam und wie unser Finanzsystem funktioniert? Über komplexe Sachverhalte zu reden / schreiben ist anspruchsvoll und die Finanzkommunikation muss im Bezug auf Verständlichkeit verschiedene Hürden überwinden.
Es geht auf Ende Jahr zu. Und während die einen auf das Vergangene zurück blicken, analysieren die anderen bereits das Kommende. Schon wird darüber spekuliert, welche Aktien im nächsten Jahr Erfolg bringen werden und welche Unternehmen Schiffbruch erleiden könnten.
Die Finanzwelt als komplexe Fachwelt
Auch bei der Finanzkommunikation handelt es sich um eine Fachsprache. Neben komplizierter Fachausdrücke ist hier vor allem auch das System an sich hochkomplex. Und das stellt eine Herausforderung für die Kommunikation dar: Wie kann man einer breiten Bevölkerungsschicht erklären, was in der Finanzwelt passiert? Die Finanzkrise hat neue Massstäbe gesetzt: Was sonst im Finanzteil einer Zeitung stand, hat es während der letzten Jahre oft auf die Frontseite geschafft. Eine Herausforderung für Leserinnen und Leser, aber auch für Journalistinnen und Journalisten. Zahlreiche Videos versuchen ausserdem, die Finanzkrise einfach zu erklären.
Verständlichkeit hängt nicht vom Inhalt ab, sondern von der Art und Weise der Kommunikation (Deppert 2001:21). Es scheint logisch, aber es ist auch schwierig: Man muss komplexe Prozesse und Sachverhalte so herunterbrechen, dass man sie Häppchen für Häppchen gut verdaulich präsentieren kann. Denn eines ist klar: Der Text an sich darf nicht beliebig lange werden, sonst verliert man seine Leserinnen und Leser.
finma: Forderung nach Lesbarkeit und Verständlichkeit
Nicht nur im Journalismus spielt die Kommunikation über Finanzen eine Rolle. Schon in ihrem Vertriebsbericht 2010 hat die eidgenössische Finanzmarktaufsicht finma gefordert, die Kommunikation über Finanzprodukte müsse verständlicher werden. Zum einen hat sie damit gemeint: Das System muss transparenter, die Produkte für die Kundschaft durchschaubar werden. Zum anderen hat sie sich auch explizit auf die Sprache bezogen — die Prospekte und Beschreibungen müssen besser lesbar und verständlicher gemacht werden: „Die Prospekte sollten in einfach verständlicher Sprache abgefasst werden […]“ (S. 4.)
Im Geschäftsbericht 2011 stellt die finma auf Seite 62 fest:
Marktaufsicht: unverständliche Prospekte für strukturierte Produkte
Mitte 2011 überprüfte die FINMA in einer repräsentativen Kontrolle die Prospekte, mit denen Banken ihre strukturierten Produkte zum Verkauf anbieten. Dabei untersuchte sie rund hundert Prospekte von elf Marktteilnehmern. Die Resultate der Abklärungen zeigen ein negatives Bild: Die Prospekte sind für den Durchschnittsanleger mehrheitlich schwer verständlich, insbesondere jene in englischer Sprache. Obwohl der Gesetzgeber dies fordert, gibt es de facto kein über alle Emittenten hinweg genormtes Schema. Der vereinfachte Prospekt spielt zudem im Beratungsprozess eine untergeordnete Rolle. Der Selbstregulierung ist es nicht gelungen, die Anforderungen an den vereinfachten Prospekt so zu konkretisieren, dass den Anlegern eine verständliche, übersichtliche und insbesondere auch vergleichbare Grundlage zur Verfügung steht. Es ist somit klar geworden, dass die bestehenden regulatorischen Grundlagen nicht genügen.
Für mich als Sprachwissenschaftlerin ist es natürlich gleich doppelt erfreulich, dass die finma zunächst einmal überhaupt gemerkt hat, dass Verständlichkeit auch etwas mit Sprache zu tun hat und dass sie weiter auch kontrolliert hat, ob sich an dieser Sprache etwas verändert hat. Dass dies oft nicht der Fall ist, ist ernüchternd, war für mich aber irgendwie auch erwartbar. Solche Prozesse brauchen Zeit. Und erst einmal braucht es auch Zeit, bis alle merken, wie gross die Rolle der Sprache für die Verständlichkeit ist.
Verständlichkeit von Börsenprosepekten und Analysten-Reports
Es gibt auch wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der Verständlichkeit der Finanzsprache befassen. Matthäus Schindele, kein Sprachwissenschaftler übrigens, hat 2008 ein Buch vorgelegt, in welchem er die Verständlichkeit von Börsenprospekten untersucht. Er bezieht sich dabei auf das Wertpapierprospektgesetz, welches verlangt, dass Prospekte verständlich geschrieben sein müssen und vergleicht die Rechtslage in Deutschland und den USA. Er kommt unter anderem zum Schluss: „Die Frage, ob der Verständlichkeitsgrundsatz in der Praxis seine Wirkung tatsächlich entfaltet, hängt massgeblich von seiner konsequenten Durchsetzung ab.“ Für meinen Geschmack ist das ein bisschen gar simpel, denn als Sprachwissenschaftlerin kenne ich natürlich vor allem Probleme aber auch Möglichkeiten bei der Operationalisierung von Verständlichkeit. Auf jeden Fall sehe ich aber eine Bestätigung der finma in ihrem Bestreben nach Verständlichkeit in der Finanzkommunikation.
Eine weitere Studie zur Verständlichkeit in der Finanzwelt liefern de Franco, Hope, Vyas und Zhou mit ihrer Analyse von Analysten-Reports. Sie kommen zum Schluss, dass erfahrene Analysten besser lesbare Reports schreiben als Neulinge. Natürlich stellt sich aber hier wieder die Frage: Sind Reports verständlich, nur weil sie lesbar sind?
Ist das Finanzsystem für Banker verständlich?
Auch wenn die finma festgestellt hat, dass Verständlichkeit noch nicht flächendeckend realisiert ist, haben einzelne Vertreterinnen in der Finanzwelt durchaus Massnahmen ergriffen. Letzten Sommer gab es im Tagesanzeiger einen Wirbel um neue Praktiken der CS. Vorwurf: Die CS wolle sich dagegen absichern, falls Kundinnen und Kunden nach verlustreichen Aktiengeschäften juristisch gegen die Bank vorgehen.
Randbemerkung: Irgendwie leben wir ja schon in einer verrückten Welt. Da pokern die Leute mit ihrem Geld und wenn sie verlieren, verklagen sie die Bank. Wieso? – Sie wurden in falscher Sicherheit gewiegt. Aus welchen Gründen auch immer hatten sie das Gefühl, sie verstünden, was sie da tun. Und während früher nur jene Leute Geldgeschäfte machten, die wirklich auch etwas davon verstanden, versuchen heute einerseits viel mehr Menschen mitzumischen und andererseits versteht das System eigentlich keiner mehr. Dass selbst Banker manchmal ihre eigene Welt nicht mehr durchschauen, zeigt der spannende und erschreckende Film „Margin Call“.
Zurück zur CS: Was hat sie verbrochen? Gemäss Tagesanzeiger haben Berater den Kundinnen und Kunden ein Formular geschickt, mit dem sie deren Wissen ausloten wollten. Aus Sicht der Verständlichkeit ein gutes Mittel, denn Verständlichkeit hängt ja nicht nur vom Text ab, sondern auch vom Vorwissen der einzelnen Leserinnen und Leser. Je nach Vorwissen müsste man eigentlich verschiedene Texte bereithalten für verschiedene Wissensniveaus in der Kundschaft.
Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit
Neben der Verständlichkeit kommt bei den Banken seit der letzten Krise ein weiterer wichtiger Faktor zur Kommunikation hinzu: Die Glaubwürdigkeit und damit auch das Vertrauen. Mangelndes Vertrauen zeigt sich im Abfluss von Geldern und damit von Kundinnen und Kunden. Ein Problem, mit dem in den letzten Jahren vor allem die Grossbanken zu kämpfen hatten. Glaubwürdigkeit ist das oberste Ziel der Unternehmenskommunikation. Wenn ein Text nicht verständlich ist, weiss man zwar nicht, ob das Unternehmen bewusst etwas zu verschleiern versucht oder ob es sich beim Schreiben eines Textes einfach nicht so viel Mühe gegeben hat (Peterreins, Märtin & Beetz 2010: 80). Aber: Möchten Sie einer Bank ihr Geld anvertrauen, die schlampig arbeitet?
Wer verständlich und mit klarer Sprache kommuniziert, zeigt, dass er nichts zu verbergen hat und signalisiert damit auch Glaubwürdigkeit. Wer aber glaubwürdig wirkt, dem vertraut man auch. Unsere These lautet darum: Durch verständliche Kommunikation können Banken Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurück gewinnen.