Die unausgesprochene Frage hinter Homeoffice-Verboten

Homeoffice nur in Ausnahmefällen – viele Unternehmen ziehen die Reissleine. Doch hinter dieser Regel verbirgt sich oft eine Frage, die niemand laut stellt: Vertrauen wir unseren Mitarbeitenden? Kultur entsteht nicht in Leitbildern, sondern im Alltag. Und sie leidet nicht unter Homeoffice, sondern unter Kontrolle statt Klarheit. Ein Blick auf die eigentlichen Probleme.

Kultur entsteht nicht in PowerPoint-Slides oder in Workshops mit Post-It’s an der Wand. Sie entsteht im Alltag, in den Nebenbemerkungen, in dem, was passiert, wenn gerade niemand auf die Kultur schaut – in dem täglichen Miteinander. In Meetings, in Entscheidungen unter Zeitdruck, im Umgang mit Fehlern und Konflikten zeigt sich, was wirklich zählt. Trotzdem greifen viele Unternehmen zur selben Rezeptur: Leitbilder, Wertewochenenden, neue Richtlinien. Das sieht dann nach Gestaltung aus, nach Struktur, nach Führung, nach Kontrolle. Nur ändert sich an der tatsächlichen Kultur oft genau nichts.

Schauen Sie mal genauer hin, wo Vertrauen grossgeschrieben wird, aber im Zweifel die Kontrolle eher Vorrang hat. Wo Anwesenheit plötzlich wichtiger wird als das erreichte Ergebnis. Wo für alle dieselben Regeln gelten sollen, obwohl die Arbeit selbst von Team zu Team kaum vergleichbar ist. Wo Führung die Unsicherheit nicht aushält und sie mit noch mehr Vorgaben überklebt. Gerade in komplexen Organisationen entsteht so ein Widerspruch zwischen Anspruch und Realität, den Mitarbeitende sehr genau wahrnehmen – und entsprechend ihr Verhalten anpassen und das nicht immer zum Vorteil des Unternehmens.

Das Beispiel Homeoffice: «Nur noch in Ausnahmefällen», heisst es dann. Sachlich begründet, mit Verweis auf bessere Zusammenarbeit, vertiefter Austausch, Nähe. Alles durchaus valide und trotzdem klingt es oft nach etwas anderem – nach dem unausgesprochenen Verdacht, dass Mitarbeitende ohne Aufsicht doch nicht lieferten. Die Frage, ob jemand verantwortungsvoll arbeiten kann, wenn man ihm nicht über die Schulter schaut, bleibt offen. Genau diese unbeantwortete Frage wirkt jedoch stärker auf die Kultur als jede offizielle Begründung oder interne Kommunikation.

Viele haben in den letzten Jahren anderes erlebt: Dass sie daheim besser konzentriert sind, als in den Grossraumbüros. Dass sie weniger im Stau stehen. Dass Arbeit eben doch ins Leben passt, auch ohne Bürozwang. Diese Erfahrung lässt sich nicht einfach wegdenken.

Wenn Führungskräfte sagen, ihnen fehle das Vertrauen, dann ist das zumindest ehrlich. Aber das setzt an der falschen Stelle an. Denn Vertrauen entsteht nicht durch Anwesenheit, es wird nur unsichtbarer, wenn alle im Büro sitzen. Kontrolle fühlt sich dann für viele wie Führung an, ist aber meist nur ein Ersatz für klare Erwartungen. Was ist gute Arbeit? Woran messe ich Leistung wirklich? Wann ist jemand erreichbar, wann nicht? Solange das offen bleibt, wird Homeoffice zum Streitthema, hinter dem das eigentliche Problem steckt – ein Führungsproblem.

Also was hilft, wenn Vertrauen nicht einfach da ist? Nicht noch eine Richtlinie. Sondern klare Ziele, klare Verantwortung, Gespräche, die nicht nur Zahlen abfragen, sondern auch erweiterten Kontext geben – und manchmal auch Raum für das Persönliche. Das macht Führung nicht kontrollierender, sondern verlässlicher und klarer – transparent für beide Seiten.

Muss Führung vor Ort sein? Meine Erfahrung: Nein. Präsenz erleichtert zwar eine Beziehung, klar. Sie macht den flüchtigen Blick, den Zwischenton sichtbar. Aber sie ersetzt keine Führung, sie verstärkt nur, was ohnehin da ist. Gute Führung wird greifbarer. Schlechte leider auch und da stellt sich hier die Frage, wo besser angesetzt werden sollte.

Wer versucht, Kultur über Anwesenheitspflicht zu lenken, hat das eigentliche Problem nicht verstanden. Meist liegt es tiefer: in unklaren Zielen, in der Angst vor Kontrollverlust, im Mangel an Mut zu Vertrauen. Das löst kein Bürozwang.

Kultur entsteht dort, wo Vertrauen gelebt wird, nicht angekündigt oder gar angeordnet. Wo Präsenz einen Sinn hat und kein Selbstzweck. Wo Führung es aushält, wenn mal nicht alles klar ist. Vielleicht ist das die Krux: Kultur entsteht nicht durch Kontrolle, aber sie geht sehr schnell drauf.

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Patric Derungs

Patric Derungs besucht das CAS IT Management & Agile Transformation.

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