Bits vs. Blech – Der Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie

Die Automobilindustrie steht vor einem Paradigmenwechsel. Traditionelle Hersteller wie Volkswagen, spezialisiert auf Produktionsexzellenz und Motorentechnik, stehen im Wettbewerb mit Tech-Unternehmen wie Tesla, Experten in Softwareentwicklung und User Experience. Die Zukunft gehört denen, die beide Welten erfolgreich vereinen können.


Die DNA der traditionellen Autobauer

  • Kernkompetenzen: Traditionelle Autohersteller zeichnen sich durch ihre Produktionsexzellenz, ihr Qualitätsmanagement und ihre Motorentechnik aus. So hat beispielsweise Volkswagen jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung leistungsstarker und effizienter Verbrennungsmotoren.
  • Historisch gewachsene Unternehmensstrukturen und Prozesse: Unternehmen wie Toyota haben über Jahrzehnte hinweg etablierte Strukturen und Prozesse entwickelt, die auf Effizienz und Zuverlässigkeit ausgelegt sind. Systeme wie von Toyota ermöglichen eine stabile und skalierbare Produktion.
  • Etablierte Zulieferer- und Händlernetzwerke: Sie verfügen über weitreichende Netzwerke von Zulieferern und Händlern, die eine zuverlässige Versorgung mit Bauteilen und eine breite Marktpräsenz sicherstellen. Diese Netzwerke sind das Rückgrat der traditionellen Automobilproduktion.

Beispiel: Die VW Group hat sich vom „Volkswagen“ zu einem Unternehmen entwickelt, das mit CARIAD versucht, eine eigene Softwarekompetenz innerhalb des Konzerns aufzubauen. CARIAD bündelt und entwickelt eine einheitliche Technologie- und Softwareplattform für alle Marken des Volkswagen-Konzerns.

Die DNA der Tech-Disruptoren

  • Kernkompetenzen: Tech-Disruptoren sind Experten in der Softwareentwicklung, User Experience und Agilität. Start-Ups wie das chinesische Unternehmen NIO setzen auf innovative Technologien und benutzerzentriertes Design, um ein nahtloses Fahrerlebnis zu bieten.
  • Flache Hierarchien und schnelle Entscheidungswege: Diese Unternehmen haben flache Hierarchien und können schnell Entscheidungen treffen, was ihnen ermöglicht, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren und Innovationen als Early Adopter umzusetzen.
  • Direct-to-Consumer-Vertriebsmodelle: Sie setzen auf direkte Vertriebsmodelle ohne Zwischenhändler, was ihnen erlaubt, eine engere Kundenbindung aufzubauen und schneller auf Feedbacks zu reagieren.

Beispiel: Tesla hat sich vom Software-Startup zu einem führenden Automobilproduzenten entwickelt. Durch kontinuierliche Innovation und den Fokus auf Elektromobilität hat Tesla die Automobilindustrie nachhaltig verändert. BYD, ein weiterer bedeutender Tech-Disruptor, hat eine neue Batterie vorgestellt, die mit bis zu 1’000 kW laden kann, was einer zusätzlichen Reichweite von 470 km in nur fünf Minuten entspricht. Diese Technologie revolutioniert das Schnellladen und könnte die Elektromobilität nachhaltig verändern.
Zum SRF Beitrag vom März 2025

Herausforderungen der traditionellen Autobauer

Transformation der Denkweise von Hardware zu Software

Traditionelle Autobauer stehen vor der Herausforderung, ihre Denkweise und Orientierung von Hardware- zu Software zu ändern. Es ist notwendig, IT-Kompetenzen aufzubauen und Tech-Talente zu gewinnen. Ein bereits erwähntes Beispiel hierfür ist Volkswagen, das intensiv daran arbeitet, seine Software-Abteilung zu stärken, um wettbewerbsfähige digitale Lösungen zu entwickeln. Ende 2024 hat Volkswagen ein Joint Venture mit dem US-Elektrofahrzeugbauer Rivian angekündigt, um die Entwicklung von Software zu beschleunigen. Volkswagen plant, bis zu fünf Milliarden Dollar in dieses Gemeinschaftsunternehmen zu investieren. Das Joint Venture zielt darauf ab, die Technologie von Rivian zu nutzen, um die Softwareentwicklung beider Unternehmen voranzutreiben und die besten Lösungen schneller und kostengünstiger in die Fahrzeuge zu integrieren. Diese Partnerschaft soll nahtlos in die bestehende Software-Strategie von Volkswagen passen und helfen, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Unternehmens weiter zu stärken.

Bislang hatte der Autoriese (VW) den Bereich in der Tochter Cariad gebündelt, die aber immer wieder mit Problemen zu kämpfen hat. Weil wichtige Software nicht rechtzeitig fertig geworden war, mussten die Töchter Audi und Porsche sogar die Einführung neuer Modelle verschieben
Tagesschau Bericht vom Juni 2024

Überwindung von Silo-Strukturen und Legacy-Systemen

Alte Silo-Strukturen und Systeme müssen überwunden werden, um eine effizientere Zusammenarbeit und Kommunikation innerhalb des Unternehmens zu ermöglichen.

Auch die Innovationszyklen werden immer kürzer, was schnelle Anpassungen erfordert. Audi hat darauf reagiert, indem es agile Arbeitsmethoden eingeführt hat, um schneller auf Marktveränderungen und Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Durch die Implementierung von Scrum-Teams und regelmässigen Sprint-Reviews sollen Entwicklungszeiten verkürzt und schneller innovative Produkte auf den Markt gebracht werden. Mit der Automotive Initiative 2025 wurde ein weltweit führendes Kompetenznetzwerk für digitale Fabriktransformation und Innovation aufgebaut. Die Initiative fokussiert sich auf die Digitalisierung der Produktion und Lieferkette und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz in den Dimensionen Mensch, Technik und Organisation.

Elektrifizierung der Flotten

Zusätzlich müssen traditionelle Autobauer die Elektrifizierung ihrer Flotten vorantreiben, um den steigenden Anforderungen an CO2-Emissionen gerecht zu werden. Volkswagen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mehr als 70% seiner Fahrzeuge in Europa als Elektroautos zu verkaufen. Dies erfordert erhebliche Investitionen in die Batterietechnologie und die Ladeinfrastruktur.

Herausforderungen der Tech-Disruptoren

Skalierung der Produktion bei gleichbleibender Qualität

Tech-Disruptoren müssen ihre Produktion hochskalieren und dabei die Qualität beibehalten. Tesla hat dies durch den Aufbau mehrerer Gigafactories weltweit erreicht und zudem stark in die vertikale Integration investiert, um die Kontrolle über wichtige Komponenten wie Batterien zu behalten. Durch die eigene Herstellung von Batteriezellen konnte Tesla die Versorgungssicherheit erhöhen und die Produktionskosten senken. Zur Sicherstellung der Qualität nutzt Tesla automatisierte Qualitätskontrollsysteme und Prinzipien des Total Quality Management, um kontinuierliche Verbesserungen zu gewährleisten.

Der US-Amerikanische Elektroauto-Hersteller Rivian hingegen hat Schwierigkeiten bei der Skalierung seiner Produktion erlebt. Trotz eines vielversprechenden Starts und erheblicher Investitionen konnte Rivian die Produktionskosten nicht ausreichend senken und kämpfte mit Lieferkettenproblemen. Das Unternehmen musste 2024 drastische Kostensenkungs-Massnahmen ergreifen, einschliesslich der Entlassung von 10% seiner Belegschaft und der Vereinfachung von Fahrzeugmodellen.

Aufbau von globalen Service-Netzwerken

Es ist notwendig, globale Service-Netzwerke aufzubauen, um Kunden weltweit zu unterstützen. Tesla hat hier Pionierarbeit geleistet, indem es ein umfassendes Netzwerk von Servicezentren und mobilen Serviceeinheiten aufgebaut hat, um seine Kunden schnell und effizient zu bedienen. BYD hat ebenfalls begonnen, seine Service-Infrastruktur weltweit auszubauen, um den wachsenden Kundenstamm zu unterstützen und forciert zudem den Schweizer Markteintritt.

Einhaltung von Sicherheitsstandards und Regulierungen

Tech-Disruptoren müssen strenge Sicherheitsstandards und Regulierungen einhalten, um auf den globalen Märkten bestehen zu können. Tesla hat in der Vergangenheit mit regulatorischen Herausforderungen zu kämpfen gehabt, insbesondere in Bezug auf seine Autopilot-Funktion, die in mehreren Ländern strengen Prüfungen unterzogen wurde.

Gemeinsamkeiten und Annäherungen

Beide Seiten investieren massiv in Batterietechnologie und autonomes Fahren. Datengetriebene Geschäftsmodelle und kontinuierliche Updates sind ein gemeinsamer Fokus. Tesla ist bekannt für seine Over-the-Air-Updates, die es den Fahrzeugen ermöglichen, neue Funktionen und Verbesserungen zu erhalten, ohne dass ein Werkstattbesuch erforderlich ist. Sowohl traditionelle Autobauer als auch Tech-Disruptoren setzen verstärkt auf nachhaltige Produktionsmethoden und Materialien.

Es gibt zahlreiche Kooperationen und Partnerschaften zwischen traditionellen Herstellern und Tech-Unternehmen. Ein Beispiel ist die Partnerschaft (Upshift) zwischen Ford und Google, bei der Google Cloud und künstliche Intelligenz genutzt werden, um die Effizienz der Produktion und die Kundenerfahrung zu verbessern.

Zukunftsausblick: Wer wird gewinnen?

Die Automobilindustrie steht vor einer Vielzahl von möglichen Zukunftsszenarien. Einerseits könnte die Elektromobilität weiter dominieren, unterstützt durch massive Investitionen in Batterietechnologie und Ladeinfrastruktur. Andererseits könnten alternative Antriebe wie Wasserstoff und synthetische Treibstoffe eine bedeutende Rolle spielen.

Kritische Erfolgsfaktoren für beide Lager

Beide Lager müssen bestimmte Erfolgsfaktoren beachten. Dazu gehören die kontinuierliche Innovation, die Anpassung an sich ändernde Marktbedingungen und die Fähigkeit, neue Technologien schnell zu integrieren. Die Unternehmenskultur spielt eine entscheidende Rolle im Transformationsprozess, da sie die Bereitschaft zur Veränderung und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit fördert.

Die Bedeutung von synthetischen Kraftstoffen

Sogenannte E-Fuels, bieten eine vielversprechende Alternative zu fossilen Brennstoffen. Sie werden aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt und können in bestehenden Verbrennungsmotoren verwendet werden, was sie besonders attraktiv für die Dekarbonisierung des Bestandsfahrzeugmarktes macht. Ein führendes Unternehmen in diesem Bereich ist Synhelion, das Sonnenenergie nutzt, um nachhaltige synthetische Kraftstoffe zu produzieren. Synhelion hat kürzlich die weltweit erste industrielle Anlage zur Produktion von Solar-Kraftstoffen in Betrieb genommen und arbeitet daran, diese Technologie global zu skalieren und bezahlbar zu machen (Stand April 2025 kostet 1 Liter eFuel ca. CHF 5.-).

Ein neuer Typ von Automobilunternehmen

Ein neuer Typ von Automobilunternehmen wird die Stärken traditioneller Hersteller und Tech-Disruptoren vereinen, indem sie hochwertige Hardware und fortschrittliche Software integrieren. Diese Unternehmen setzen verstärkt auf Nachhaltigkeit, nutzen recycelte Materialien und erneuerbare Energien. Vernetzte und autonome Fahrzeuge, sowie neue Mobilitätsdienste und personalisierte Kundenerlebnisse, die durch Daten und KI ermöglicht werden, prägen die Zukunft. Unternehmen bieten massgeschneiderte Dienstleistungen und flexible Mobilitätslösungen, um den Anforderungen der modernen Gesellschaft gerecht zu werden.

Lehren für die digitale Transformation

Andere Branchen können viel von der Disruption in der Automobilindustrie lernen. Es ist wichtig, die Balance zwischen bewährten Stärken und neuen Fähigkeiten zu finden. Leadership und Vision sind entscheidend im Transformationsprozess, und letztendlich ist der Kunde der Gewinner des Wandels.


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Roman Villiger

Roman war zum Zeitpunkt der Publikation Solution Engineer für die Digitalisierung von Showrooms bei der AMAG. Dieser Blog Post wurde im Rahmen des CAS Digital Transformation geschrieben. Mit umfassender Expertise in der Web-Entwicklung und User Experience entwickelt und implementiert er innovative digitale Lösungen, um das Kundenerlebnis zu verbessern.

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