Spielen ist die wichtigste Fähigkeit im 21. Jahrhundert

In einer Welt, die von technologischem Fortschritt, Globalisierung und ständigem Wandel geprägt ist, wird das Spielen zu einer Schlüsselkompetenz, um mit komplexen Systemen umzugehen. Doch was bedeutet Komplexität überhaupt und warum ist Spielen dabei so entscheidend?

Unser Gehirn mag lineare Zusammenhänge. Grüne Ampel = freie Bahn. Die Entscheidung, die Strasse zu queren wird sehr einfach gefällt und stützt sich auf lebenslange Erfahrungen. Ursache A führt zu Wirkung B. Das war schon immer so, das wird weiterhin so funktionieren.

Doch was, wenn diese Ursache-Wirkung-Beziehungen etwas komplizierter sind? Biege ich bereits hier rechts ab oder nehme ich erst die nächste Querstrasse, um möglichst schnell an mein Ziel zu gelangen? Schwierig, aber mit einer Datenanalyse (Bsp. Stadtkarte) oder indem ich Expert*innen befrage (Bsp. Passant*innen), finde ich relativ zuverlässig heraus, was die beste Entscheidung ist.

Doch was, wenn weitere Faktoren meine Rechnung beeinflussen, wie zum Beispiel eine Baustelle oder ein Bahnstreik? Auch die umfassendste Datenanalyse und Befragung können hier nicht weiterhelfen. Der einzige richtige Weg ist, Annahmen und Hypothesen aufzustellen, sich intuitiv für einen möglichen Weg zu entscheiden und die Entscheidung laufend anzupassen, je nach dem wie sich das Umfeld verändert. Manchmal verstehen wir erst im Nachhinein, warum bestimmte Ereignisse eingetreten sind, zum Beispiel weil man vergessen hat, dass auch noch Ferienbeginn ist.

Was auf ein Verkehrssystem zutrifft, gilt ebenso für die digitale Transformation. Die neue Digitalisierungsstrategie wirkt nicht, obwohl sie an einer obligatorischen Infoveranstaltung präsentiert wurde? Dann erinnere ich Sie gerne an den häufig zitierten Ausspruch „Culture eats strategy for breakfast“ des Management-Pioniers Peter Drucker. Zum Thema Kulturwandel wurden jedoch bereits ganze Bücher gefüllt, deshalb zurück zum Thema.

Digitale Transformation ist nicht kompliziert, aber sehr komplex

In komplexen Systemen sind Ursache und Wirkung nicht vorhersehbar. Zu viele bekannte und noch mehr unbekannte Faktoren beeinflussen das System. Ich weiss nicht, was die richtige Lösung ist, bis ich etwas ausprobiere.

Ein mächtiges Werkzeug zur Bewältigung von Komplexität ist das Cynefin Sense-Making Framework. Es hilft dabei, zu verstehen, ob man sich in einem klaren, komplizierten, komplexen oder sogar chaotischen System befindet. Diese Unterscheidung ist wichtig, um effektive Entscheidungen treffen zu können.

Grafische Dartstellung der Cynefin-Frameworks
Die Aussprache des Begriffs “Cynefin” ist übrigens nicht “Sinefin”, sondern “KinEwin” (© The Cynefin Company)

Das klare, komplizierte und komplexe System wurde oben bereits veranschaulicht. Im chaotischen System herrscht völlige Unordnung. Die einzige Möglichkeit ist schnell zu handeln und zu improvisieren, um eine gewisse Stabilität wiederherzustellen und so zurück in eine andere Domäne zu gelangen. Was sich hier etwas nach Weltuntergang-Szenario anhört, ist jedoch auch der Ort, an dem echte Innovationen entstehen können, weil alle Regeln ausser Kraft sind. Die Domäne im Zentrum des Frameworks (Verwirrung) ist der Ort der Unsicherheit, wenn nicht klar ist, in welcher der anderen vier Domänen man sich befindet.

Spielerisch mit Komplexität umgehen

Wenn verschiedene, sich widersprechende Hypothesen im Raum stehen, die nicht mit Wissen und Datenanalyse geklärt werden können, befinden wir uns in einem komplexen System. Die einzige sinnvolle Entscheidung ist Ausprobieren. Eine Fähigkeit ist dabei besonders wichtig: Spielen.

Durch aktives Experimentieren (Bsp. Pilotversuch: während den nächsten 3 Monaten dürfen alle Mitarbeitenden 10% ihrer Arbeitszeit für eigene Ideen und Projekte verwenden) können wir neue Erkenntnisse gewinnen und Lösungen finden (Bsp. um eine Innovationskultur zu etablieren). Hackathons (Bsp. herHACK), InnoLabs (Bsp. Innolab Graubünden) oder Sandboxes (Bsp. KI-Sandbox Zürich) sind beliebte Formate, um Erwachsene wieder zum „Spielen“ zu bringen.

Wichtig dabei ist, nicht chaotisch vorzugehen, sondern rational und methodisch. Annahmen und Hypothesen treffen, Muster erkennen und blinde Flecken aufdecken. Und besonders wichtig: Fehler machen. Scheitern ist in komplexen Systemen unvermeidlich. Eine offene Fehlerkultur ermöglicht es jedoch, aus diesen Fehlern zu lernen und sich kontinuierlich zu verbessern. Warum diesen Fehlern nicht sogar eine Bühne geben mit einer Fuck-up Night?

Übrigens: Künstliche Intelligenz ist fantastisch darin, komplizierte Probleme zu lösen (Bsp. Schach), aber komplexen Systemen ist auch KI (noch) nicht gewachsen.

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Lea Fischbacher

Lea Fischbacher ist Programmleiterin von SmartAargau, der Strategie zur digitalen Transformation der Aargauer Kantonsverwaltung, und beschäftigt sich dabei vor allem mit den kulturellen und strukturellen Aspekten von Change Management. Sie bloggt aus dem Unterricht des CAS Chief Digital Officer.

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