Wie real ist Bergsteigen in Virtual Reality?

Als Hobby Bergsteiger (immerhin 12 Viertausender) und Technik-Nerd hat mich diese Fragen schon seit ich die ersten Virtual Reality Headsets gesehen habe interessiert. Ist es möglich das Glückgefühl, wenn man auf dem Gipfel steht, das Adrenalin während man eine steile Bergflanke empor steigt so zu simulieren, dass eine echte Erfahrung überflüssig wird? Um diese Erfahrung zu testen habe ich mich ins Verkehrshaus aufgemacht und den Matterhorn VR Simulator gebucht.

Bevor das Abenteuer in der virtuellen Realität startet, habe ich mir überlegt, welche Faktoren beim realen Bergsteigen relevant sind. Dazu gehört die Vorbereitung (Wetter, Routenwahl, Zeit), die Fitness, die Ausrüstung und die Motivation den Gipfel zu erreichen. Zum Erlebnis dazu gehört natürlich das ganze Spektrum der Emotionen: Positive Emotionen beim Erreichen eines Ziels sowie die Angst zu Verunfallen.

Auf zum (virtuellen) Gipfel!

Nach einem kurzen Sicherheitsvideo werden jedem Teilnehmer die Sensoren (zwei für die Füsse, zwei für die Hände) sowie die Virtual Reality Brille und Kopfhörer angezogen. Gesteuert wird die Simulation über einen Computer, welcher am Rücken wie ein Rucksack getragen werden muss. Sobald die VR-Brille aktiviert ist, beginnt die virtuelle Welt. Plötzlich habe ich an meinen Händen Handschuhe und die neuste Alpina Mountain Watch, an meinen Füssen erkenne ich moderne Bergstiefel. Los geht’s aus dem Solvay Biwak welches auf 4’000m für Notfälle beim Erklimmen des Matterhorns errichtet wurde. Die ersten Schritte aus der Hütte fühlen sich wackelig und unsicher an. Mit jedem Schritt gewinne ich jedoch mehr Sicherheit und fühle mich langsam wohl in der virtuellen Bergewelt. Das Wetter ist fantastisch, die Sonne strahlt und es gib nur wenige Schleierwolken.

Es folgt die erste Kletterstelle und hier erkenne ich in der virtuellen Realität nicht nur die Felsen, sondern auch die Klettergriffe wie in einer Kletterhalle. Ich greife nach diesen Kletterhilfen und steige ziemlich schnell die Felswand empor. Nach wenigen Minuten habe ich bereits den höchsten Punkt der Simulation erreicht und sehe vor mir das Gipfelkreuz des Matterhorns. Der Bergführer gratuliert mir zum Aufstieg und ermuntert mich das Glücksgefühl (welches ich aktuell ehrlich gesagt nicht empfinde) zu geniessen und die schöne Aussicht über die 4000er im Wallis zu bestaunen. Die virtuelle Realität stoppt abrupt, per Kopfhörer wird über das Ende der Simulation informiert und jeder Teilnehmer kann ein Foto mit dem Gipfelkreuz schiessen welches per E-Mail als Erinnerung zugestellt wird.

Nach der virtuellen Klettertour überlege ich mir wie diese Erfahrung zu den realen Bergeteigerfahrungen aufgrund meiner gewählten Faktoren steht. Die Vorbereitung bezüglich Wetter-Analyse war kein relevanter Faktor und kann im VR-Bergsteigen grosszügig ignoriert werden. Die Routenwahl ist klar vorgegeben und lässt keine Freiheiten zu. Das führt zu Zeitersparnis mindert aber den Abenteuerfaktor erheblich. Meine Motivation die Kletterroute zu schaffen, war durchaus da, denn während dem Klettern fühlt sich die VR-Erfahrung am realsten an. Griff für Griff, Schritt für Schritt geht’s die Felswand nach oben! Mir persönlich gefällt es auch besser, wenn ich ein virtuelles Bergpanaroma um mich sehe als die langweilige Kletterhalle. Die grossen Emotionen am Ende der Erfahrung haben jedoch gefehlt. Die klar erkennbaren Klettergriffe schmälern zwar den Realitätsfaktor, sind aber aus Sicherheitsaspekten sicher sinnvoll.

Die Richtung stimmt, das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Bergsteigen in Virtual Reality hat aus meiner Sicht Potential, die zukünftigen Simulationen müssen aber in vieler Hinsicht realistischer werden. Der Hauptvorteil liegt in der Zeitersparnis und Risikominimierung. Es benötigt keine grosse Anreise zum Gipfel und ein Absturz mit Folgen wird es kaum geben. Leider kommen aufgrund der kurzen Dauer in der aktuellen Version der Simulation keine echten Emotionen auf. Ich hätte mir gewünscht, dass das Erlebnis länger dauert und zumindest mehrere Routen zur Auswahl stehen würden. Irgendeinmal sollten die virtuellen Routen auch als Training für eine spätere reale Besteigung genutzt werden können. Der Aufwand die Bergrouten real nachzubauen ist sehr gross. In Zukunft sollten Routen in Kletterhallen welche physisch bereits bestehen mit VR ausgerüstet werden. So könnte das VR-Erlebnis länger, spannender und zum perfekter Regentag Programm werden.

Das Gefühl einen hohen Gipfel real erreicht zu haben, wird es aber (so schnell) nicht simulieren können.

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Reto Bühler

Reto Bühler ist Unternehmensentwickler bei der der SBB AG und bloggt aus dem Unterricht des CAS Digital Transformation.

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