Play SAFe – Erfahrungsbericht aus einem Spital

Digitalisierung ist ein (das?) Heilmittel, um die Gesundheitskosten in den Griff zu kriegen. Darüber sind sich die Experten einig. Beim «Wie» wird es schwieriger: Die Suche nach geeigneten technischen Lösungen ist anspruchsvoll genug. Business-IT Alignment ist im Gesundheitswesen eine Sisyphos-Aufgabe.

In diesem Blog geht um Spital-Oorganisationen und um Digitalisierung. Spitäler sind – aus Organisationssicht – paradox: Die Ärztinnen retten Leben – koste es was es wolle. Die Administration fokussiert auf Wirtschaftlichkeit. Das Patientenwohl verlangt nach einer gesamtheitliche Behandlung. Die medizinischen Bereiche sind Expertenorganisationen und systembedingt nicht auf End-to-End-Sichten ausgerichtet. Wenn wundert es, dass Digitalisierungsprojekte eine Bühne für diese Gegensätzlichkeiten bieten.

Meine Erfahrungen als CIO eines grösseren Schweizer Spitals sind vergleichbar mit einer Oper – zum Glück mit einem «Happy End».

Erster Aufzug: Wir wollen digitalisieren

Zwei Projekttypen sind in Spitälern weit verbreitet: Bauvorhaben und Digitalisierung. So auch in unserem Spital der ALPHA Klinik. Die Akteure betreten die Bühne:

Ein neuer Direktor zementiert mit einer Reorganisation seinen Führungsanspruch. Die Voraussetzungen für Emotionalität bei der Belegschaft und dramaturgische Höhepunkte sind ideal. Das Top-Kader trifft sich zu Strategieworkshops. Das Ergebnis: Die ALPHA Klinik erneuert alle zentralen IT-Systeme und das gleichzeitig.

Der erste Aufzug endet in operativer Hektik und viel Zuversicht: Zwei grosse Projekte gehen an die IT. Der Finanzchef schnappte sich das ERP-Vorhaben. Mit der Rekrutierung der externen Projektleiter fällt der Vorhang.

Zweiter Aufzug: Wir wollen standardisieren

Die Projektleiter und der CIO betreten die Bühne. Sie erkennen, dass sie es mit «bösartigen Problemen»[1] zu tun haben: Bei Digitalisierung in Spitälern geht es erstens viel mehr um medizinische Kernprozessen als um IT. Zweitens ist das «Business» keine homogene Masse. Da gibt es Ärztinnen und Pflegepersonen, die medinischen Sekretärinnen, die Mitarbeiter der Patientenadministration und viele mehr. Alle haben viele Wünsche an die IT, aber leider nicht dieselben. Solange es um IT-Systeme geht, die nur von einem Fachbereich genutzt werden, ist alles gut. Richtig schwierig wird es, wenn es um Anwendungen geht, die das ganze Spital nutzt. Eine solche ist zum Beispiel ein Klinikinformationssystem kurz KIS.

Wir nähern uns dem dramaturgischen Höhepunkt. Die Spitalleitung entscheidet zu standardisieren: Keine individuellen Berichte für die Mediziner, gleiche Terminarten für alle, kein Papierformular für den Herrn Professor und so weiter. Die Diskussionen werden episch, die Konsensbereitschaft ist gleich null und die Emotionen steigen.

Dritter Aufzug und «Happy End»

Der dritte Akt beginnt mit einer Eingebung. Der CIO erkennt, dass die falschen Akteure am Werk sind. Das Top Management verordnet Standardisierung, die Anwender sollen diese durchsetzen. Das funktioniert nicht. «Wir müssen die Betroffenen auf der taktischen Ebene finden», ruft er. Das sind die leitenden Ärztinnen, das Pflegekader und die zweite Führungsstufe in der Administration. «Wir bilden ein ‘Service Owner’ Team», fährt er fort: «Das Gremium erhält Kompetenzen und Budget und wir erarbeiten gemeinsam ‘Spielregeln’. Wir nennen die Spielregel ‘Geschäftsordnung’ und lassen diese von der Spitalleitung genehmigen.» Die neuen Akteure betreten die Bühne und das Spiel nimmt seinen Lauf. Kompromisse gelingen, das KIS-Projekt verläuft erfolgsversprechend. Das Stück endet mit einem einstimmigen Chor aller Akteure mit kaum merklichen Dissonanzen.

In der Fortsetzung bildet der CIO «Service Owner» Teams für alle Querschnittsleistungen. Er etabliert ein IT Board für die übergeordnete Steuerung und Priorisierung. Die Versprechungen der Digitalisierung werden eingelöst.

In meinem Stück gibt es weder Team oder ART Backlogs, agile Release Trains oder PI Plannings. Es gibt kein Produktmanagement, keinen Release Train Engineer oder Team Coaches. Trotzdem spielen unsere Protagonisten nach «SAFen» Prinzipien. Die zwei wichtigsten in diesem Kontext sind: Das «Service Owner» Team trifft dezentral Entscheidungen. Die «Knowledge Worker» erhalten Entscheidungsräume und können sich selbstwirksam einbringen.

Anmerkung
[1] Der Begriff bösartige Probleme» im Original «wicked problems» wurde von Horst Rittel geprägt und kommt aus der Planungstheorie. Er stellte fest, dass es Probleme gibt, die man aufgrund ihrer Komplexität nicht mit rationalistischen Planungsmodellen lösen kann. https://blog.hslu.ch/product/files/2013/02/Rittel_Theorie_Planung.pdf
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Stefan Beyeler

Stefan Beyeler war CIO in Schweizer Spitälern und ist heute Partner bei AES-Concepts. Er blogt vom CAS DevOps Leadership and Agile Methods.

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