Agile Teams führen regelmässige Retrospektiven oder „Retros“ durch, um den Entwicklungsprozess und die Zusammenarbeit zu reflektieren und Möglichkeiten zur Verbesserung zu identifizieren. Abläufe, Techniken und Tools wie Funretrospectives oder Retromat helfen dabei, den eingeschlagenen Kurs zu bewerten und wenn nötig die Spur zu wechseln.
Eine Frage zum Einstieg: Wie fühlst Du Dich gerade, jetzt, da Du Dich entschieden hast, diesen Beitrag zu lesen? In einem Wort: Interessiert? Neugierig? Ungeduldig?
Die Frage ist eine Check-in-Aktivität namens One Word. Sie ist in Funretrospectives beschrieben, einer Website mit Online-Tool zur Planung und Durchführung von Retros. Zum Tool habe ich in einem früheren Artikel auf meinem privaten Blog bereits ein How-To veröffentlicht. Im CAS wurde eine andere Website namens Retromat erwähnt. Sie bietet ein Online-Tool zur Planung sowie Miro-Templates zur Durchführung von Retrospektiven an.
Retromat baut Retrospektiven aus fünf Schritten auf, wie sie auch im Buch Agile Retrospectives der Pragmatic Programmers beschrieben sind. Funretrospectives kennt sieben Schritte. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind in der folgenden Tabelle dargestellt:
Die beiden Abläufe lassen sich in die folgende vereinfachte Struktur konsolidieren:
- Gesprächsklima schaffen (Energizer / Check-in)
- Hauptgang (Themen sammeln / Erkenntnisse gewinnen / Entscheidungen treffen)
- Abschluss / Check-out
Beide Plattformen bieten nun für jeden Schritt eine Vielzahl von Aktivitäten an. Im Folgenden werden ein paar wenige dieser Aktivitäten beschrieben.
Gesprächsklima schaffen
Funretrospectives unterscheidet zwischen Energizer und Check-in. Ein Energizer ist ein Eisbrecher, der die Teilnehmenden aufwecken und die Stimmung lockern soll. Ein Beispiel ist Fun Fact für ein Team, dessen Mitglieder sich noch nicht gut kennen: Jedes Mitglied schreibt etwas über sich selbst auf ein Post-it, zum Beispiel ein Hobby. Die Gruppe versucht zu erraten, welcher Fun Fact zu welchem Mitglied gehört. Das kann für lustige Überraschungen sorgen!
Check-in-Aktivitäten dienen hingegen dazu, die Stimmung und das Engagement der Teilnehmenden bezüglich der Retrospektive zu ermitteln. Neben dem bereits erwähnten One Word ist eine häufig (z.B. hier oder hier) beschriebene Aktivität ESVP – Explorer, Shopper, Vacationer, Prisoner:
Falls sich eine Mehrheit der Teilnehmenden als Urlauber oder gar Gefangene fühlen würde, müsste sich der Moderator überlegen, die Veranstaltung vorzeitig abzubrechen. Eine Retro bringt nichts, wenn die Teilnehmenden gar nichts lernen wollen oder wenn ihnen die psychologische Sicherheit fehlt, um Probleme anzusprechen.
Hauptgang
Im Hauptgang werden zuerst Themen gesammelt: Was lief im betrachteten Kontext gut, was nicht? Dafür gibt es eine Vielzahl von Vorlagen. Bei vielen geht es einfach darum, Themen mittels Post-its in zwei bis vier Kategorien zu sammeln; entsprechend heissen die Aktivitäten WWW: Worked Well, kinda Worked, didn’t Work, 3Ls: Liked, Learned, Lacked oder Add, Remove, Recycle. Eine häufig (z.B. hier oder hier) beschriebene Aktivität ist Engines & Anchors:
Funretrospectives scheint nun davon auszugehen, dass sich aus den so gesammelten Themen mehr oder weniger automatisch „Action Items“ ergeben: Verstärkt die Motoren und kappt die Schnur zu den Ankern! Auch bei Kategorien wie Add, Remove, Recycle stecken die naheliegenden Aktionen bereits in den Namen. Retromat beschreibt hingegen eine Reihe von Aktivtäten wie 5 Mal „Warum?“ oder Speed Dating, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen und von den gesammelten Themen, die vielleicht nur Symptome beschreiben, zu den Ursachen zu kommen. Weitere hilfreiche Techniken für die Erkenntnisgewinnung finden sich zum Beispiel bei den Liberating Structures.
Nun muss noch entschieden werden, welche Massnahmen umgesetzt werden sollen. Wenn man alles auf’s Mal zu verbessern versucht, verzettelt man sich. Es hat sich deshalb bewährt, pro Iteration auf zwei Punkte zu fokussieren. Sowohl Funretrospectives als auch Retromat beschreiben deshalb mehrere Aktivitäten zum Filtern und Sortieren.
Abschluss
Für den Abschluss beschreiben beide Plattformen Check-out-Aktivitäten. Dabei kann sich das Team zum Beispiel gegenseitig Wertschätzung ausdrücken, oder die Gefühlslage wird wiederum mit einem einzelnen Wort abgeholt.
Deshalb zum Schluss nochmals die Frage: Wie fühlst Du Dich jetzt, nachdem Du meinen Beitrag gelesen hast? Wiederum in einem Wort: Hoffentlich nicht gelangweilt oder enttäuscht! Immer noch interessiert? Informiert? Oder gar inspiriert?
Zwei weitere Quellen und ein letzter Link zu einem verwandten Blogbeitrag:
Titelbild: Look back again, Quelle: Damian Gadal, veröffentlicht unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic License.
Vorlage Engines & Anchors: Héctor Horacio Jure in Scrum Toolkit: Retrospective.
Blogbeitrag von René Wechsler vom letzten Jahr, in welchem er „Sailboat“ beschreibt, eine Erweiterung von Engines & Anchors: Starfish verwenden alle! Welche weiteren Retro-Formate gibt es?