Digitalisierung der Gangeinteilung im Schwingen – eine Hosenlupfübung

Könnten Christian Stucki Kranzfestsiege durch die aktuelle Gangeinteilungspraxis verwehrt oder begünstigt worden sein? Christian Stucki, ein Schwingsport-Aushängeschild mit 44 Kranzfestsiegen und 133 Kränze, darunter sieben Eidgenössische, ist kürzlich zurückgetreten. Welche Gegner er auf dem Weg bis zu einem Kranzfestsieg bodigen musste, entscheidet jeweils eine Gruppe Männer. Kann die Digitalisierung dazu beitragen, die Gangeinteilung im Schwingsport fairer zu gestalten?

Die Digitalisierung hat längst Einzug in die Sportwelt gehalten. Von der Verwaltung bis hin zur Trainings- und Wettkampforganisationen bieten digitale Technologien vielfältige Möglichkeiten zur Optimierung von Abläufen und Prozessen. Doch diese Entwicklung ist noch nicht überall angekommen, so beispielsweise im Schwingsport. Der Schwingsport ist stark geprägt von Traditionen, Ritualen sowie fixen und ungeschriebene Regeln. An dieser Traditionssportart beisst sich die Digitalisierung noch die Zähne aus.

Gangeinteilung im Schwingsport
Vor jedem Gang werden die Schwinger neu eingeteilt. Diese Einteilung erfolgt durch das Kampfgericht, bestehend aus mindestens 3 Personen. Eine schlechte Einteilung kann den Ausgang eines Schwingfestes stark beeinflussen. Immer wieder wird diese Einteilung kontrovers diskutiert.

«Das Einteilungskampfgericht versuchte alles, damit ich es als Gast nicht in den Schlussgang schaffe und ein Einheimischer gewinnt – dafür war jedes Mätzchen recht. Und ja, ich wurde nur Zweiter.» Christian Stucki in Berner Zeitung, 09.06.2023

Eine Datenanalyse von SRF Data und dem Basler Onlinemedium «Bajour» zeigte, dass den Gast-Schwingern, die in den Gängen drei bis fünf noch eine Chance haben, tendenziell schwierigere Gegner zugeteilt wurden als einheimischen Schwingern. Die Analyse basiert auf rund 40’000 Kämpfen aus fast 150 grossen Schwingfesten in den Jahren 2016 bis 2022. Hierbei wurde ein spezieller Algorithmus entwickelt und verwendet, der das aktuelle Niveau des Schwingers während eines Festes und bei jedem Gang berücksichtigt.

Datenbasierte Gangeinteilung
Könnte ein solcher Algorithmus in Zukunft zur Gangeinteilung verwendet werden?
Warum nicht? Stellen wir uns vor, ein*e Data Scientist wäre Teil des Kampfgerichtes. Diese Person könnte die Daten aller vergangenen Schwingfeste und Paarungen in kürzester Zeit aufrufen, visuell darstellen und die Ergebnisse des Algorithmus für die nächste Gangeinteilung abrufen. Durch die Analyse der Daten können fundiertere und objektivere Entscheidungen getroffen und Vorurteile vermieden werden.

Die Datenbasierte Entscheidungsfindung (Data-Driven Decision-Making, DDDM) gewinnt auch in der Wirtschaft zunehmen an Bedeutung. Ein Report von Mc Kinsey zeigt beispielsweise auf, dass Unternehmen, die in der Lage sind, das Potenzial der Daten und Analysen effektiv zu nutzen, in der Lage sind, einen erheblichen Wert zu schaffen und sich zu differenzieren. Könnte eine datenbasierte Entscheidung ihren Beitrag zu einer gerechteren Gangeinteilung im Schwingsport beitragen?

Technologische Neuerungen erfordern eine offene Einstellung, Gewöhnungszeit und viel Überzeugungsarbeit. Sie stossen oft auf Kritik, wie das Beispiel des Video Assistant Referee (VAR) im Fussball zeigt. Die Verwendung von Daten und Analysen im Sport wird vielleicht kein direkter Ersatz für menschliche Expertise werden, sondern vielmehr eine Ergänzung, um objektivere Entscheidungen zu treffen.

Erste Schritte in Richtung Digitalisierung
In jüngster Vergangenheit wurden erste Schritte in Richtung Digitalisierung unternommen. Beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest 2022 in Pratteln wurde erstmals ein digitales Einteilungssystem eingeführt. Die Notenblätter wurden digital an das Kampfgericht übermittelt und ihre anschliessend analog durchgeführten Einteilungen wurden an die Platzkampfrichter digital zurückübermittelt. Die Digitalisierung ermöglicht so einen schnelleren Datenaustausch und einen effizienteren Einteilungsprozess.

Schlussgang
Die Digitalisierung hat es im Schwingsport aufgrund seiner tief verwurzelten Tradition nach wie vor schwer. Ob die Digitalisierung der Gangeinteilung im Schwingsport letztendlich im Schlussgang zu einer Niederlage, einem Gestellten oder einem Sieg führt, wird sich zeigen. Es gilt eine sorgfältige Abwägung zwischen Fortschritt und Tradition zu machen. Was denkst du über dieses Thema? Ist die Einteilungspraxis bei der stetig zunehmenden Kommerzialisierung der Sportart noch zeitgemäss?

Beitrag teilen

Sophie Sutter

Sophie Sutter ist Projektleiterin Street Floorball bei swiss unihockey und bloggt aus dem Unterricht des CAS Digital Business Innovation

Alle Beiträge ansehen von Sophie Sutter →

Schreibe einen Kommentar