Digitalisierung in der Verwaltung als Requirement Engineer

Aktenberg
Wo Aktenberge sich erheben – Unterstützung der Digitalisierung in der Verwaltung: Als Requirement Engineer bist du mit dabei! –
Quelle: Pixaday

…oder „wo beginnt der Tellerrand?“

Die Arbeit als Requirement Engineer in der Öffentliche Verwaltung bietet ganz besondere Herausforderungen. Im Folgenden erläutere ich dir, worauf du dich einstellen musst.

In der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie kommt dir als Requirement Engineer eine Schlüsselrolle zu.

Dein Umfeld: Die Veraltung. Sie ist aufgebaut nach der Lehre des «Public Managements». Das setzt besondere Rahmenbedingung. Im Verwaltungsbereich wirken sehr viel mehr Faktoren auf dein Projekt ein, als offensichtlich ist. Das sind nicht nur technische und funktionale. Im übertragenen Sinne sitzen immer mehr Leute am Tisch, als anwesend sind. Die folgenden drei Punkte solltest du deshalb stets mitberücksichtigen:

  • Governance – «G. bezieht sich auf Prozesse, Verfahren, Regeln und Institutionen, die dafür verantwortlich sind, Entscheidungen zu treffen oder diese massgeblich mit beeinflussen.» Für dich als RE bedeutet das, dass du auch Gremien einbeziehen und Funktionen berücksichtigen musst, die auf den ersten Blick nicht als Stakeholder erkennbar sind. Deine guten Kommunikationsfähigkeiten helfen dir, Personen der Politik und höherer Verwaltungsstufe ebenso konstruktiv in deine Arbeit einzubeziehen, wie Fachämter anderer Departemente, Stabsstellen und Anwender.
  • Compliance – «C. ist die Einhaltung von Gesetzen, Vorschriften, Richtlinien, Standards und relevanter Normen.» Das bedeutet, dass der Compliance höhere Priorität zukommt, als technisch Notwendiges oder Wünschenswertes. Als RE musst du das zwingend berücksichtigen, Abklärungen vornehmen und Bewilligungsverfahren bedenken. Es dient dazu, Risiken zu reduzieren und Schaden  abzuwenden. Informelles existiert nicht. Als Projektleiter bist du dir dies jedoch gewohnt.
  • Transparenz – Alles an deiner Arbeit ist quasi öffentlich. Sofern ein Vorgang nicht als vertraulich gekennzeichnet ist, darf die Öffentlichkeit Information zu deinem Projekt erfahren und sich eine Meinung bilden. Das kann positiv, wie negativ wirken. Deine Feststellungen und Rückschlüsse müssen deshalb stets fair abgewogen und nachvollziehbar sein.

Wo beginnt nun der Tellerrand?

Genau hier! Denn um den drei genannten Punkten gerecht zu werden, musst du über das enge Rollenverständnis deines Jobs hinaus und um die Ecke denken.

Meine Empfehlung an dich: Beachte das Projektumfeld wirklich sehr weiträumig. Mit einer umfassenden Kontext-Analyse und einem Sinn für organisatorische Belange der Verwaltung ermittelst du Kreise, die berücksichtigt werden sollten, auch wenn sie auf den ersten Blick keinen Bezug zum Projekt aufweisen. Du findest mit Sicherheit weitere Gremien, welche mindestens konsultativ beigezogen werden müssen, um Risiken zu reduzieren und Personen, die wichtige Parameter beisteuern, die das Projekt massgeblich beeinflussen. Hier ein paar Beispiele:

Fragen an den Rechtskonsulenten: Welchen Einfluss hat die geografische Lage der Datenhaltung für das Projekt?

  • Bezug: Compliance – Rechtslage
  • Impact: Bestimmte Betriebskonzepte scheiden aus (US-Cloud, Microsoft Azure u. a.)
  • Alternative: Beispielsweise Client/Server Architektur mit lokaler Datenspeicherung

Fragen an den Energieberater oder Amtsleiter Hochbau (verantwortlich für Energieeinkauf): Wie ist die Energieversorgung geregelt? Welche Energieform wird bezogen und mit welchen Kosten ist zu rechnen?

  • Bezug: Transparenz – Ökologie – TCO
  • Impact: Stromeinkauf – Ausfallsicherheit – mittel- und langfristige Versorgungslage – ausländischer Atom- oder Kohlestrom?
  • Alternative: Möglicherweise Stromeinkauf im Freien Markt oder aus Grundversorgung, Betrieb mit garantiertem Schweizer «Wasserstrom»

Fragen an die Medienstelle: Wie steht die Öffentlichkeit zum Vorhaben (Beispielsweise „eVotung“ oder „eBau“, das Einreichen von Baugesuchen auf elektronischem Weg)?

  • Bezug: Governance – Öffentlichkeitswirksamkeit
  • Impact: Projektrisikofaktor – Meinungsbildung aufgrund anderer Projekte der Öffentlichen Hand
  • Alternative: Einbezug weitere Stakeholder aus politischen Gremien/Kommissionen

Wenn du der Governance, der Compliance und den Anforderungen an die Transparenz deine gebührende Aufmerksamkeit schenkst, denkst du umfassend und ganzheitlich. Öffne dazu deine Sichtweise frühzeitig. Gehe wenn nötig ein paar Schritte zurück und hole diese Kreise auch mit ins Boot. Beziehe sie in deine Arbeit mit ein. Mit einem umfassend abgeklärten Projektumfeld und deinem Weitblick trägst du in einer  Schlüsselfunktion zum Projekterfolg bei.

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Martin Tanner

Martin ist seit 40 Jahren in der IT tätig. Sein Job als Datenmanager und Verantwortlicher für die Fachanwendungen des Hochbauamts eines mittelgrossen Kantons in der Nordwestschweiz bereitet ihm Spass. Als Mitglied des "Digi-Teams" (Project Office) des Departements gilt sein Interesse der Transformation und Digitalisierung in der Öffentlichen Verwaltung. Seine Erfahrungen umfassen in technischer Hinsicht die Hardware-Entwicklung, die Systemprogrammierung und das Life Cycle Management, wie auch das Requirement Engineering und die Anwendungsentwicklung. Als Unternehmer war er tätig in der Geschäftsleitung einer Unternehmung der grafischen Branche, sowie der Entwicklung von Self Service-Lösungen für den Retail-Bereich der Bankenbranche und des Lebensmittel-Detailhandels.

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