Müssen Anforderungen tatsächlich unvoreingenommen erhoben werden?

Eine Abkürzung, um schlechte Anforderungen zu vermeiden und schneller zum erfolgreichen Projektziel zu kommen.

Wie können schlechte Anforderungen in Projekten vermieden werden? Natürlich gibt es dazu Techniken, die in der Regel ein Requirements Engineer anwenden kann. Zum Beispiel Kosten-Nutzen-Analyse.

Aber was, wenn diese Rolle in einem Unternehmen fehlt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass KMU’s oft Projekte auch ohne die Unterstützung einer Business Analystin oder Requirements Engineers genauso erfolgreich abschliessen können. Der Erfolg ist dabei abhängig vom Mut derjenigen Personen im Projekt, welche die Anforderungen sammeln und beurteilen. Mit einer guten Portion Skepsis sollten sie gute von schlechten Anforderungen trennen. Schlechte Anforderung sind in diesem Fall solche, welche schwer erreichbare und übertriebene Funktionen oder weit entferne Wünsche an ein Produkt stellen.

Die mit der Aufgabe betraute Person, in unserem Fall meistens Application Manager, muss über ausreichende Expertise des Anwendungsgebiets haben.  Nicht nur im Kontext der Prozesse oder Technik, sondern auch der Organisationsstruktur. Das ist vermutlich der grösste Unterschied zu reinen Requirements Engineers. Mit vereinfachten Methoden (siehe unten), können den Stakeholdern die guten und schlechten Anforderungen aufgezeigt werden. Oder noch besser, ihnen gleich eine Lösung präsentieren, welche nur die guten Anforderungen enthalten. Sobald sie den Nutzen erkennen, sind sie eher bereit auf die anderen Anforderungen zu verzichten.

Nachfolgend ein paar Tipps aus der Praxis, um effizient die Zeit der Stakeholder zu nutzen und mit einfachen Mitteln gute Anforderungen zu erhalten:

1. Engagement – Vorbereitung ist alles

Bevor mit Stakeholdern gesprochen wird, müssen die für die Feststellung der Anforderung vertrauten Personen, die Business Prozesse verstehen. Wie funktionieren bestehende Applikationen und gibt es Abhängigkeiten zu anderen Projekten? Wie arbeiten die Abteilungen zusammen und sind Änderungen in der Organisation angedacht? Wer sich gut vorbereitet, wird von den Stakeholdern positiver wahrgenommen und akzeptiert. Viele fühlen sich unverstanden, wenn sie mit jemandem sprechen müssen, der nicht über das nötige Fachwissen verfügt.

2. Visuelle Kommunikation – Big Picture hilft Zeit sparen

Es gibt nichts Besseres als Diagramme um den «Ist-Zustand» aufzuzeichnen. Es kann viel Zeit eingespart werden, wenn gute visuelle Hilfsmittel eingesetzt werden. Eine Zeichnung kann Prozesse, Organisationen und Schnittstellen sowie Rollen involvierter Personen aufzeigen und somit ein umfassendes Bild geben. Ein gutes Diagramm kann für zukünftige Projekte auch als Vorlage und eine Art Checkliste dienen und verhindern, dass etwas vergessen geht. Es ist auch möglich, die Lösung der Problemstellung auf demselben Diagramm darzustellen. Dabei können mit verschiedenen Farben sogar mehrere Varianten beschrieben werden.

Prozessdiagramm
Mit Hilfe eines Diagramms lassen sich Prozesse und mögliche Lösungen zusammen mit den Stakeholdern formulieren.
(Bild: wikimedia.org, Ksawery Lisinki)

3. Validieren – unvernünftige Anforderungen eliminieren

Der nächste Schritt besteht darin, das erarbeitetes Wissen und mögliche Lösungen mit den Stakeholdern zu prüfen. Daraus können plausible Anforderungen abgeleitet werden. An dieser Stelle können oft unvernünftige Anforderungen überdacht und beseitigt oder auf einen späteren Zeitpunkt bzw. Release verschoben werden.

Schlusswort

Mit dieser Methode können bereits im Vorfeld von einfacheren und kleineren Projekten schlechte Anforderungen vermieden werden, was zu einem schnelleren und erfolgreichen Projektabschluss führt.

Allerdings ist zu beachten, dass nicht in allen Projekten auf diese Art und Weise gearbeitet werden kann. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Projektmitarbeitenden gut miteinander harmonieren und gemeinsam ein vernünftiges Projektziel im Auge haben.

Weiterführende Literatur:

Requirements-Engineering und Management, Christine Rupp, SOPHISTen, ISBN 978-3-446-45587-0

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Sandro Versiglioni

Sandro Versiglioni ist Service Owner im Transformation & Technology Team bei Victorinox AG und bloggt aus dem Unterricht des CAS Requirements Engineering.

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