Der Kanton Luzern digitalisiert seine Prozesse um den zunehmenden Aufgaben mit gleichbleibendem Stellen-Etat gewachsen zu sein. Es ist keine disruptive digitale Transformation. Das gewählte Vorgehen erzeugt Akzeptanz und Mehrwert – und passt zur Branche.
Das Handeln der Verwaltung basiert vereinfacht ausgedrückt auf Aufgaben, die ihr durch Gesetze und Verordnungen zugeschrieben werden, wie kürzlich die Härtefallreglung für notleidende Unternehmen oder das Contact-Tracing von Corona-Patienten. Das geschieht ohne Anpassung der Vollzeitstellen.
Entsprechend müssen Prozesse möglichst ressourcensparend und technologieunterstützt realisiert werden, also digital. Die Herausforderung ist offensichtlich. Doch wie geht der Kanton Luzern damit um? Ich gestalte seit 2018 das Programm Digitaler Kanton mit und zeichne in diesem Blog-Beitrag den gewählten Weg nach.
Wir packen es an – doch wie?
Bald war klar, dass eine Digitalisierung nur durch die Fachstellen selbst vorangetrieben werden kann. Nur da liegt das Prozesswissen, die Verantwortung, der Wille die Aufgabe mit einem optimalen Prozess und dem bestehenden Team zu erbringen.
Wenn sie einen Scheissprozess digitalisieren, dann haben sie einen digitalen Scheissprozess
Thorsten Dirks, CEO Telefónica Deutschland
In der Programmleitung sehen wir es als unsere zentrale Aufgabe, das Bedürfnis nach Digitalisierung zu schaffen: Standardisierte Lösungen vorschlagen, den Mehrwert aufzeigen und den potentiellen Effizienzgewinn berührbar machen. Wir wollen die Dienststellen auf lange Sicht befähigen, ihre Digitalisierung selber zu steuern und voranzutreiben.
Die Jagd nach Medienbrüchen
Wir argumentierten entlang eines einfachen, theoretischen Geschäftsfalls: Am Prozessübergang von einem Akteur zum Nächsten durchschreiten die übermittelten Informationen Schnittstellen.
Jede Schnittstelle stellt einen möglichen Medienbruch dar:
- Ausdrucken von Texten und Formularen
- Versenden von unterzeichneten Dokumenten mit Kuvert und Frankatur
- Rechnungen stellen und versenden von Einzahlungsscheinen
- Bearbeitungsstatus telefonisch nachfragen und beantworten
- Abtippen von physisch oder elektronisch vorliegenden Informationen in eine Fachapplikation
- Ablegen von Dokumenten in Bundesordner
Diese Medienbrüche gilt es mit Digitalisierungswerkzeugen zu verhindern.
Der Bedarf nach Digitalisierungswerkzeugen
Die Dienststelle Informatik stellte für die Fachbereiche einen Digitalisierungs-Werkzeugkasten zusammen. Als erstes konzentrierten wir uns auf Onlineformulare um Kundennutzen zu stiften und auf eine BizTalk-Integrationsplattform für Fachanwendungen zur Optimierung der internen Prozessschritte.
Mit Onlineformularen können Kunden ihre Anträge elektronisch einreichen. Das heisst auf das Ausdrucken, Ausfüllen und per Post versenden kann künftig verzichtet werden.
Die BizTalk-Integrationsplattform übermittelt eingereichte elektronische Anträge über Schnittstellen direkt in die Fachapplikation und erzeugt neue Geschäftsfälle. Das lästige und fehleranfällige Abtippen entfällt.
Kernprozesse und ihr Digitalisierungspotential
Nachdem die Fachbereiche die Medienbruchproblematik und die möglichen Werkzeuge kannten, waren die Prozesseigner bereit, ihre Prozesse zu durchforsten und mögliche erste Piloten für die Digitalisierung zu identifizieren.
Mit einer strukturierten Umfrage in allen 30 Dienststellen wurden die Kernprozesse erhoben.
Das Resultat war eine Datenbasis von rund 800 Kernprozessen mit zahlreichen Zusatzinformationen: Welcher Akteur löst den Prozess aus, wie oft wird der Prozess im Jahr ausgeführt, welche Gesetze bilden die rechtliche Grundlage, welche Kanäle zur Einreichung werden verwendet, welche personenbezogenen Daten werden verwendet und welche sind notwendig, welche Fachapplikationen werden eingesetzt, sind Unterschriften gesetzlich vorgeschrieben, wie wird der Kunde identifiziert, werden Termine vereinbart, ist der Service gebührenpflichtig, mit welchen Digitalisierungswerkzeugen kann der Prozess verbessert werden, etc.
Pilotprozesse weisen die Machbarkeit nach
Aufgrund dieser Informationen wurde mit jeder Dienststelle 1-2 geeignete Pilotprozesse identifiziert, die mit den verfügbaren Werkzeugen digitaler gestaltet werden konnten.
Dann folgte die kritische Auseinandersetzung mit den Prozessen um zu erkennen, ob und wie der Prozess neu gedacht werden konnte. Schliesslich sind wir nicht an «digitalen Scheissprozessen» interessiert.
Wohin des Weges?
Die umgesetzten Pilotprozesse mit der Formularlösung sind heute live. Weitere Prozesse folgten. Heute sind die Möglichkeiten und Vorteile dieses Digitalisierungs-Werkzeugs in den Dienststellen bekannt. Die Nachfrage nach neuen Formularen besteht und die Digitalisierung mit dem elektronischen Formular wurde zum Selbstläufer.
Die ersten Applikationsintegrationen sind geglückt. Geschäftsfälle werden ohne manuelle Interaktion generiert. Die betroffenen Prozesseigner sind begeistert. Die Ausweitung auf weitere Fachapplikationen läuft. Das sind jedoch keine Quick Wins: Nicht jede Fachapplikation lässt sich einfach integrieren.
Kürzlich wurden die ersten Prozesse mit dem elektronischen Siegel (das Pendent zur elektronischen Signatur jedoch für juristische Personen) in Betrieb genommen. Weitere Siegel-Piloten folgen.
Im Jahr 2022 wird das Luzerner Service-Portal und die Luzern.ID aufgebaut. Die nächsten Medienbrüche werden uns bald zum Opfer fallen – versprochen!