Wer bei der Digitalisierung lediglich bisheriges digital abbildet, macht einen Denkfehler. Vielmehr müssen bekannte Prozesse neu gedacht werden, um das volle Potential neuer Technologien auszuschöpfen. Nur so kann auch die Digitalisierung weitergedacht werden.
Als ich erfuhr, dass Bitcoins endlich sind (es wird nie mehr als ungefähr 21 Millionen Coins geben), war meine erste Reaktion «Was? Wirklich!?». Ein wenig später dachte ich dann «Ja, klar! Logisch!». Ich machte den Digitalisierungs-Denkfehler und verglich bekannte Lösungen mit digitalen. Der Bitcoin ist keine Währung wie der Schweizer Franken oder der US-Dollar. Der Bitcoin ist ein Coin und muss als solcher behandelt und verstanden werden. In der Digitalisierung müssen Dinge anders und oftmals disruptiv betrachtet werden. Anstatt ein Papierformular per Post zu schicken, ein PDF-Formular auszufüllen und dieses als PDF-Datei dann per E-Mail zu verschicken, hat nur am Rande mit Digitalisierung zu tun.
Tesla baut keine Autos
Wie Digitalisierung geht, zeigt beispielsweise der amerikanische Automobilhersteller Tesla auf eindrückliche Weise. Wobei bereits die gewählte Bezeichnung falsch ist. Tesla stellt keine Autos her und hat mit den bekannten Automobilherstellern wie Audi oder VW wenig gemein. Tesla ist vielmehr ein Tech-Konzern wie Google oder Apple. Das Unternehmen entwickelt eine Technologie mit welcher sich ein Auto betreiben lässt. Da sich die Technologie in kein bestehendes Fahrzeug einbauen lässt, muss Tesla die Autos selber bauen. Hierbei wird in Extremen gedacht. So wird kein Fahrzeug mit Elektromotor gebaut, sondern das Auto wird für die Technologie gebaut. Weshalb braucht man Knöpfe an der Mittelkonsole, wenn man die ganze Konsole mit einem Bildschirm abbilden kann und so immer die Knöpfe zur Verfügung stehen, die gerade gebraucht werden? Die Tatsachen, dass man einen Tesla neustarten kann und er Updates vom Hersteller per WLAN bekommt, sind nur zwei weitere Aspekte, die vom digitalisierten Auto zeugen. Dem gegenüber stehen Berichte zum Elektro-Auto von Audi (E-Tron), welches eine Meldung zum Ölwechsel anzeigt.
Schickt mir keine Rechnungen
Der naheliegendste Case der Digitalisierung ist die Abschaffung des Papiers. In vielen Unternehmen werden Prozesse digitalisiert, indem man Formulare nicht mehr druckt sondern per E-Mail schickt. Weshalb diese papiernahe Umsetzung? Weshalb nicht ein Formular im Intranet anbieten, woraus ein Workflow entsteht, der von allen Involvierten aufgerufen und bewilligt werden kann? Weshalb soll ich alle Rechnungen einscannen, als PDF in einem System hinterlegen und womöglich codiert eine Person noch das, was auf dem PDF ersichtlich ist in Datenbankfelder? Wofür brauche ich Rechnungen vom Rechnungssteller? Alle nötigen Informationen können in einer Datei übermittelt werden. Diese werden automatisiert in mein Rechnungssystem eingelesen und ich kann die Rechnung darin freigeben oder direkt in ein Zahlsystem wie Abacus weiterleiten. Es braucht keinen Medienbruch zwischen Formular und digital mehr, geschweige denn zwischen Papier und digital.
So geht es besser
Den Digitalisierungs-Denkfehler kann man vermeiden, indem man in Extremen denkt – und nach der ersten Idee überlegt, wie man die erdachte digitale Lösung nochmals digitalisieren kann. Damit die daraus entstehende Lösung noch ein weiteres Mal digitalisiert werden kann. Nur so wird es normal, dass man nur noch Daten und keine Formulare mehr hat oder auf einem Vertrag keine Unterschrift mehr ersichtlich ist, sondern das Dokument (sofern es denn ein solches braucht) über eine entsprechende digitale Signatur verfügt.
Der Umgang mit der Digitalisierung fällt leichter, wenn man die neuen Lösungen nicht mit alten vergleicht. Dazu braucht es eine neue Denkweise, welche im Idealfall zu unglaublich innovativen Ideen führt.