Weder Not noch Wahl – Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung

Diese toxische Mischung macht die digitale Transformation für die öffentliche Verwaltung zur Herkulesaufgabe. Da es keinen Ausweg gibt werden wir sehen, wie ihr dies gelingt.

Digitalisierung – der Begriff geht um die Welt

Werte Leserin, werter Leser, ich hoffe sie sind angeschnallt, denn die Reise hat bereits begonnen. Noch vor zwanzig Jahren hat die Dotcom-Blase die digitalen Visionäre scheinbar als enttarnt. Für die Transformation in eine digitale Welt war dies ein nahezu bedeutungsloses Ereignis. Nur die Erwartungen einiger digitalen Visionäre brauchten eine leichte Korrektur.

Digitalisierung – der Begriff geht um die Welt, Quelle: shutterstock.com

In den vergangenen zwei Dekaden wurden wir Zeugen eines wahrhaften digitalen Siegeszugs. Neben KI, AR, Big Data, Blockchain und IoT sind Smartphones die Artefakte dieser Ära der technologischen Euphorie. Während einige das „Internet“ noch als Trend abgetan hatten, stellt heute kaum jemand die digitale Transformation ernsthaft in Frage. Zu offensichtlich sind die digitalen Spuren in allen Bereichen unseres Lebens. Carly Fiorina, ehemalige CEO von HP, beschreibt die Situation folgendermassen: „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“!

Digitale Transformation – wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!

Die Dynamik und die Kraft der digitalen Transformation müssen viele Unternehmen schmerzhaft spüren. Während 2008 Firmen aus dem Ölsektor in den Top 10 der grössten Firmen weltweit stark vertreten waren, dominieren heute klar die Tech-Giganten wie Apple, Google, Microsoft und Amazon. Zahlreiche Plattformen bedrohen etablierte Branchen existenziell: Amazon und Alibaba im Detailhandel, Uber in der Mobilität oder Google und Facebook in der Werbebranche, um nur einige zu nennen.

Für all jene Organisationen, die nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wollen, scheint die Lösung trivial: DIGITALISIEREN! Glücklicherweise liefert die Literatur eine Anleitung dazu. Dies für all jene, die vor zwanzig Jahren Watts Sherman Humphrey keinen Glauben schenkten, als er sagte: „Every business is a software business“. Nachher ist man immer schlauer.

Und die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung?

Die öffentliche Verwaltung soll also ein Software Unternehmen werden? Verwaltungen sind aufgrund ihrer Monopolstellung, linde gesagt, nicht gerade prädestiniert, bei der Digitalisierung eine Vorreiterrolle einzunehmen und neue Technologien frühzeitig einzusetzen. Bei der Entwicklungsgeschwindigkeit öffnet sich die Schere zwischen Technologie und Verwaltung immer mehr.

Schere bei der Änderungsrate öffnet sich – die Technologie zieht davon, Quelle: Deloitte University Press

Scheinbar hat die öffentliche Verwaltung keine Not, das Tempo bei der digitalen Transformation zu verschärfen. Warum denn auch? Das politische System in der Schweiz ist äusserst stabil, Prozesse perfekt definiert und die Dienstleistungen entsprechend fehlerfrei. Willkommen in der Taylor-Wanne! Angenommen es gibt keinen Putsch von Netzaktivisten, wer könnte den Staat in die Bedeutungslosigkeit verbannen? Für noch kreativere Szenarien fehlen mir zwei Flaschen Rotwein.

Einigen wir uns also, dass die monopolistische öffentliche Verwaltung keine Not hat zur digitalen Transformation? Aber hat sie denn eine Wahl? Was legitimiert eigentlich eine öffentliche Verwaltung? Sie soll die politischen Vorgaben effizient umsetzen. Bloss verschieben die Entwicklungen der digitalen Transformation unsere Wahrnehmung genau dessen, was wir als effizient empfinden, radikal und rasend schnell.

Einigen wir uns also, dass die monopolistische öffentliche Verwaltung weder Not noch Wahl hat zur digitalen Transformation? Dies führt dazu, dass die Verwaltung vor der Herkulesaufgabe der organisationalen Ambidextrie steht: sie muss sich vor dem Hintergrund der (radikalen) technologischen Entwicklung neu erfinden, ohne die Balance des fein austarierten Status Quo zu gefährden. Klingt doch interessant! Wer macht mit?

 

 

 

 

PS: im Nachgang zu diesem Beitrag höre ich die Worte von Bundeskanzler Walter Turnherr in Bezug zur digitalen Transformation in der Verwaltung: „Das Automobil wurde 1905 erfunden. Aber es dauerte bis 1960, also über ein halbes Jahrhundert, bis die Schweiz ein Nationalstrassennetz hatte. Diese Zeit haben wir heute nicht mehr.“

 

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Nicolas Lemaitre

Nicolas Lemaitre ist Projektleiter Smart City bei der Stadt Zug und bloggt aus dem Unterricht des CAS Chief Digital Officer

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