Das aus der Verhaltensökonomie stammende Nudging* erfährt in der digitalen Welt einen Boom. Die Grenze zu missbräuchlicher Manipulation verschwimmen jedoch zusehends.
Hand aufs Herz: Ändern Sie die Werkeinstellungen neu erworbener Elektronikgeräte? Lässt Sie der Hinweis „nur noch ein Artikel verfügbar“ auf Kaufportalen kalt? Nein? Dann funktioniert Nudging bei Ihnen bereits. Täglich werden wir off- und online bei unseren Entscheidungen auf vielfältige Weise beeinflusst.
Wir treffen unsere Entscheidungen dabei nicht nur aufgrund von Erfahrungen sondern auch aufgrund der jeweiligen Umgebung. Online-Umgebungen werden dabei so gestaltet, dass sie uns bei Entscheidungen bestärken oder sogar in eine gewisse Richtung «schubsen». Unternehmen aber auch staatliche Stellen nutzen diese Möglichkeiten, um unsere Entscheidungen zu beeinflussen und an ihre Wünsche und Vorstellungen anzupassen. Diese «manipulativen» Technologien werden bereits grossflächig eingesetzt. Problematisch wird es, wenn von der zugrunde liegenden Idee des Nudgings abgewichen wird. So setzen Unternehmen manipulative Technologien immer öfters zur Verwirklichung der eigenen privaten Ziele ein, ohne dabei einen Mehrwert für die Gesellschaft oder den Einzelnen zu erzielen. Staaten schränken unter dem Deckmantel von Nudging die Wahlfreiheit de facto ein.
Ist Nudging also ungeeignet um «Gute Entscheidungen» zu fördern? Nein! Es braucht aber eine klare Abgrenzung des Nudging von anderen manipulativen Technologien. Die wichtigsten Punkte hierbei sind:
- Nudging kommt ohne Gebote und Verbote aus.
- Entscheidungsoptionen dürfen nicht an Belohnungs- oder Bestrafungssysteme geknüpft werden (z.B. social scoring).
- Sachverhalte und Informationen müssen korrekt sein.
- Filter Bubbles sind auf ein Minimum zu reduzieren, da die Einschränkung der Wahlmöglichkeiten die Wahlfreiheit des Einzelnen beschneidet.
- Nudging soll den Entscheidträger zu einer «besseren Entscheidung» verleiten, welche der Gesellschaft und/oder ihm einen Nutzen bringt.
Die Eingangs erwähnten Standardeinstellungen bei Elektronikgeräten mögen diesen Ansprüchen knapp noch genügen. Fraglich ist, ob auch das zweite Beispiel über die Information der Verfügbarkeit eines Produktes diesen Kriterien standhält.
Die Unterscheidung zwischen Nudging und ungewollter Manipulationen obliegt dem Entscheidträger. Daher ist und bleibt die wichtigste Voraussetzung damit die Idee des Nudgings auch in der digitalen Welt funktionieren kann, ein selbstbestimmtes und gut informiertes Individuum.
You have brains in your head and feet in your shoes, you can steer yourself in any direction you choose!
– Dr. Seuss
Eine (Online-) Umgebung muss also so aufgebaut sein, dass ein Entscheidträger trotz Heuristik zu einer guten Entscheidung kommen kann. Hierfür müssen genügend Informationen zur Verfügung stehen, Wahlmöglichkeiten vorhanden und deren Auswirkungen bekannt sein. Die Wirkung kann zudem gesteigert werden, wenn das Ziel des Nudges mit persönlichen Zielen der einzelnen Entscheidträger übereinstimmt.
Reisch und Sunstein haben in ihrer Studie aufgezeigt, dass Nudging in Europa als Beeinflussungsform weitgehend akzeptiert ist. Diese Akzeptanz bleibt so lange bestehen, wie der einzelne Entscheidträger das Gefühl hat, seinen Entscheid unabhängig jeglicher Beeinflussung und selbstgesteuert getroffen zu haben. Entsteht der Eindruck von List oder Zwang, werden die Nudges weitgehend abgelehnt. Die Schwierigkeit von Nudging bleibt somit, die Idee des „freundlichen Schubsers“ zu bewahren.