Bestandesentwicklung und Lernraum sind zwei der zentralen Aufgabengebiete der Mediothek Soziale Arbeit. Während wir uns 2018 insbesondere mit dem Themengebiet Lernraum und 2019 mit der Neuausrichtung unseres Bestandesprofils beschäftigt haben, planen wir nun, die beiden ohnehin stark verschränkten Themen Bestand und Raum noch weiter zusammenzudenken – und zwar nicht nur auf konzeptioneller Ebene sondern ganz praktisch anhand eines Projektes.
Konkret schwebt uns vor, Teile unseres Bestandes anders als bisher aufzustellen und eine Brücke zwischen digitalen und physischen Lernräumen zu schaffen. Dabei orientieren wir uns an den Bedürfnissen unserer Nutzenden: Neben der schnellen Bereitstellung von Büchern (die über iluplus bestellt werden) äussern Studierende insbesondere das Bedürfnis nach Stöbern und Inspiration im physischen Raum der Mediothek. Mit einer alternativen Aufstellungsidee möchten wir diesem Bedürfnis nun noch mehr entsprechen und den Erfahrungshorizont der Nutzenden gleichzeitig auch im digitalen Raum ermöglichen.
Dabei stützen wir uns auf unser Leitbild als offener Lernraum, der Transparenz und Kollaboration ermöglicht (vgl. Erklärung der HSLU-Bibliotheken, Openness in den HSLU-Bibliotheken). Und auch hier verstehen wir uns als Labor; das Projekt ist ganz bewusst mit offenem Ausgang geplant – wir sind gespannt was dabei herauskommt, besonders auf die Sichtweisen und Reaktionen unserer Nutzenden.
Digitale und physische Lernräume
Bezüglich der Präsentation digitaler Medien im physischen Raum gibt es bisher wenig überzeugende Lösungen; die Verknüpfung von digitalen und physischen Beständen ist nach wie vor eine Leerstelle und führt bei mangelnder IK zu fehlerhaften Rechercheleistungen (Spiegelberg 2020). Hybrid oder Blended Bookshelves (vgl. etwa Barth-Küpper 2013) etc. sind für uns eher nicht sinnvoll, da sie lediglich digitale Bestände im physischen Raum sichtbar machen sollen. Abgesehen davon, dass die Ergebnisse aus der Perspektive der Nutzenden ohnehin nicht überzeugen, geht es uns im Projekt um mehr – nämlich um alternative Aufstellungsideen, die Stöbern und Inspiration und Kollaboration ermöglichen.
Fluide Bibliotheken
Hinter dem Konzept der “fluiden Bibliothek” verbergen sich mittlerweile ganz verschiedene Ansätze, die sich um alternative Aufstellungssysteme für Bibliotheken drehen. Im deutschsprachigen Raum ist das Konzept insbesondere durch die Arbeit von Olaf Eigenbrodt (vgl. Eigenbrodt und Stang 2014) prominent geworden (siehe auch Depping 2018, 1).
In Bibliotheken, die nach einem solchen System aufgestellt sind, wird der genaue Standort eines Buches mittels RFID Technik ermittelt, das Buch hat also keinen «festen Platz» im Bestand mehr hat (vgl. Spiegelberg 2020). Hintergrund für diese Entwicklungen sind unter anderen die steigenden Studierendenzahlen sowie das erhöhte Publikationsvolumen. Obwohl mittlerweile viel digital publiziert wird, gehen die «Printmedien nicht im gleichen Mass zurück, was zu einer genuinen Knappheit des physischen Raums in Bibliotheken führt« (Depping 2018, 52). In der Praxis folgen fluide Aufstellungskonzepte ganz unterschiedlichen Logiken, während es in der USB Köln mehr um eine reine Logistiklösung geht, ist z.B. das Sitterwerk in St. Gallen mehr auf die Präsentation des Bestandes ausgerichtet (vgl. Depping 2018, Eigenbrodt und Stang 2014, Spiegelberg 2020).
Für die Mediothek ist eher der Ansatz des Sittwerks vielversprechend, neben dem Zugewinn an Lernraum stehen hier alternative Formen den Bestand aufzustellen und zu kuratieren (auch in Bezug auf die gemeinsame Präsentation von Print- und E-Medien) im Vordergrund. Mit der «Werkbank» hat das Sitterwerk eine kreative Arbeitsplattform im physischen Raum geschaffen, die auch im digitalen Raum abgebildet ist und funktioniert.
Partizipatives Kuratieren als (pragmatischer) Weg für die Mediothek?
In der «Reinform» der fluiden Bibliothek ist eine thematische Aufstellung bzw. Stöbern im eigenen Themenbereich kaum möglich. Sie widerspricht damit dem Bedürfnis der Studierenden nach (thematischer) Inspiration bzw. themenzentrierter Aufstellung. Dementgegen verhindert eine systematische Aufstellung interdisziplinäres Stöbern, dies wäre aber gerade im Hinblick auf die Institute und Kompetenzzentren am Departement Soziale Arbeit, die mehrheitlich interdisziplinär arbeiten, sinnvoll. Als weiterer grosser Vorteil einer fluiden Aufstellung gilt das Ermöglichen von Serendepity, also dem zufälligen Auffinden von Literatur, auf die man im systematischen Bestand (und auch bei einer thematischen Suche im Discovery) nicht gestossen wäre (Spiegelberg 2020, Eigenbrodt und Stang 2014).
Wir streben daher eine Mischform an, in dem wir einen durchaus thematisch kuratierten Bestand aufstellen – bestenfalls nicht nur von uns kuratiert, sondern auch von den Mitarbeitenden des Departements Soziale Arbeit – , gleichzeitig aber nutzungsgesteuert arbeiten (etwa die 10 meist ausgeliehenen Bücher zum Thema vor Ort lassen) und insbesondere auch die Nutzenden selbst in die Gestaltung einbeziehen: Hier wollen wir den Bogen zu Informationskompetenz und kritischem Denken als drittes zentrales Aufgabengebiet der Mediothek schlagen (vgl. auch Learning Outcomes der HSLU). Unseren Nutzenden sollen vielfältige Zugänge zu unterschiedlichen Medienarten zur Verfügung stehen; im Idealfall wird auch der Produktions- und Bewertungsprozess von Wissen und die Zirkularität des eigenen Rechercheprozesses deutlich. Durch unterschiedliche Partizipations- und Ausdrucksformen soll z. B. den Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur Nutzende zu sein, sondern selbst zu produzieren, etwa zur Bewertung und Gestaltung einer Wissenslandschaft beizutragen. In einem späteren Stadium wäre es durchaus denkbar, auch eigene Arbeiten (etwa Bachelorarbeiten?) auf einer Arbeitsplattform – ähnlich einer Werkbank – zu entwickeln und für andere sichtbar zu machen.
Wir sind wie immer gespannt auf Eure Ideen und Kommentare!
annika.henrizi
Literatur:
Spiegelberg, S. (2020). Dynamisch, fexibel, fuid: Neue Aufstellungskonzepte und die Bedeutung virtueller Wissensräume.