Lean Hospital: Vision oder Nonsense-Mutation?

Das Gesundheitswesen steht mehr denn je vor enormen Herausforderungen. Kostendruck, Fachkräftemangel und der Druck, gleichzeitig eine hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten bestimmen den Alltag. In diesem Spannungsfeld wird das Konzept des „Lean Hospital“ häufig diskutiert. Doch was verbirgt sich dahinter und ist es wirklich die eierlegende Wollmilchsau?

Was ist Lean Management? 

Lean Management kommt aus der Automobilindustrie mit dem Ziel die Wertschöpfung zu maximieren und Verschwendung zu minimieren. Es geht darum, Prozesse so zu gestalten, dass sie effizient, kundenzentriert und ressourcenschonend sind.

Im Spitalkontext bedeutet das: Alle Prozesse werden darauf geprüft, ob sie tatsächlich dem Patientenwohl dienen. Aufgaben wie Aufnahme, Diagnostik, Therapie und Entlassung werden optimiert, um Wartezeiten zu reduzieren, Doppelarbeit zu vermeiden und die vorhandenen Ressourcen zielgerichtet einzusetzen.

Herausforderungen im Spitalumfeld
Die Implementierung von Lean-Ansätzen im Spital gestaltet sich komplex, da das Gesundheitswesen andere Anforderungen stellt als industrielle Produktionsprozesse. Es geht hier nicht nur um Effizienz, sondern vor allem um das Wohl und die Sicherheit der Patienten.

  1. Kulturwandel
    Lean Management erfordert eine Veränderung der Denkweise aller Mitarbeiter. Hierarchie- und disziplinübergreifende Zusammenarbeit, Transparenz und eine kontinuierliche Verbesserungskultur sind essenziell. Doch gerade hochspezialisierten Systemen stoßen solche Ansätze häufig auf Widerstand. Mitarbeiter müssen geschult und überzeugt werden, dass Lean kein reines Sparprogramm ist, sondern langfristig ihre Arbeit erleichtert und die Patientenversorgung verbessert.
  1. Komplexität der Prozesse
    Spitalprozesse sind durch die Vielzahl der beteiligten Berufsgruppen und Fachbereichen sehr komplex. Anders als in der Autoindustrie sind viele Abläufe nicht vollständig standardisierbar, da jeder Patient individuell behandelt werden muss. Dies macht die Analyse und Optimierung der Prozesse anspruchsvoll.
  1. Zeit- und Personalmangel
    Die Einführung von Lean erfordert Zeit für Schulungen, Workshops und die Entwicklung neuer Prozesse. Doch gerade dieser Zeitfaktor fehlt häufig, da Spitäler bereits jetzt stark unterbesetzt sind. Mitarbeiter empfinden Lean-Projekte daher oft als zusätzliche Belastung ohne unmittelbaren Nutzen.
  1. Begrenzte Investitionsmöglichkeiten
    Ein weiteres Hindernis für die Umsetzung von Lean im Spital ist der finanzielle Druck. Viele Spitäler kämpfen mit knappen Budgets und können nur begrenzt in neue Technologien, Schulungen oder externe Beratung investieren.
  1. Unausgereifte Software
    Viele Softwarelösungen im Gesundheitswesen werden unter hohem Zeitdruck entwickelt und die Bedürfnisse der Anwender nicht ausreichend miteinbezogen. Häufig fehlen intuitive Benutzeroberflächen, Schnittstellen zwischen den verschiedenen Programmen, Prozesse sind unnötig kompliziert und es kommt regelmäßig zu Systemfehlern oder Abstürzen.
    Für das Gesundheitspersonal bedeutet das zusätzlichen Stress im ohnehin anspruchsvollen Arbeitsalltag. Statt sich auf ihre Kernaufgaben – die Versorgung von Patientinnen und Patienten – konzentrieren zu können, verbringen sie oft Stunden mit dem Navigieren durch unausgereifte Software.

Beispiele für einfache Lean-Massnahmen

  1. Kanban-Boards & Team- Huddles
    Einfache visuelle Tools wie Whiteboards, auf denen Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Fortschritte dargestellt werden in Kombination mit kurzen täglichen interdisziplinären Meetings (5-10 Min).
    Vorteil: Fördert Transparenz und Priorisierung, reduziert Missverständnisse, fördert Teamgeist.
  1. 5S-Methode
    Methode zur Arbeitsplatzorganisation: Sortieren, Systematisieren, Säubern, Standardisieren, Selbstdisziplin fördern.
    Vorteil: Optimiert Arbeitsplätze, spart Zeit und minimiert Suchaufwand bei minimalen Kosten.
  1. Standardisierung und Checklisten
    Checklisten und Standards für repetitive Prozesse, z. B. Patientenaufnahme oder OP-Vorbereitung
    Vorteil: Reduziert Fehler, spart Zeit und erhöht die Patientensicherheit, auch digital umsetzbar
  1. Feedback-Systeme für Mitarbeiter («Kaizen»)
    Vorschlagsboxen oder digitale Feedback-Portale, in denen alle Mitarbeiter Ideen für Verbesserungen einbringen können.
    Vorteil: Fördert Partizipation und kontinuierliche Verbesserung.
    Kosten: Personalaufwand

Fazit
Lean Management im Spital ist kein Allheilmittel, aber eine wertvolle Strategie zur Steigerung von Qualität und Effizienz. Die größte Herausforderung liegt dabei darin alle Mitarbeitenden zu motivieren beim Willen zur ständigen Verbesserung mitzuwirken.
Gerade in Zeiten knapper Ressourcen sollten Spitäler zu Beginn auf niedrigschwellige, pragmatische Lösungen setzen, die ohne große Investitionen umsetzbar sind. Schritt für Schritt kann so ein Kulturwandel angestoßen werden, der langfristig sowohl den Patienten als auch den Mitarbeitern zugutekommt. Die Digitalisierung bietet hierzu grossartige Möglichkeiten, jedoch sollte auch in der Softwareentwicklung der Fokus auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Personal am Krankenbett gelegt werden.

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Katharina Scheu-Ruf

Katharina Scheu-Ruf arbeitet als Gynäkologin im Spital Limmattal und bloggt aus dem CAS Digital Healthcare.

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