Agil starten: Erst die Regeln lernen, dann das Spiel anpassen

Agile Arbeitsweisen gelten als flexibel, dynamisch und anpassungsfähig – und das stimmt auch. Doch diese Eigenschaften werden oft missverstanden. Agilität bedeutet nicht, dass jede*r tun kann, was er oder sie will. Sie erfordert klare Prinzipien, bewährte Methoden und eine gemeinsame Sprache, um erfolgreich zu sein. Ohne diese Grundlagen wird Agilität schnell chaotisch. Meine Erfahrung zeigt: Wer agil arbeiten will, muss zuerst die Fundamentals verstehen und sollte sich an Standards orientieren.

Die Falle: Tickets und JIRA heisst doch agil, oder?

Ich habe bei meiner «Journey to agile» erlebt, wie wir im Team JIRA einführten, Tickets eröffneten und hofften, dass damit automatisch agiles Arbeiten beginnt. Aber: Nur weil ein Team mit Tickets arbeitet, wird es nicht automatisch agil, das merkten wir leider erst viel später. Ein Tool wie JIRA ist genau das – ein Tool. Es ersetzt keine klaren Prozesse, Prinzipien und schon gar nicht das Verständnis, warum wir agil arbeiten. Und so blieb vieles beim Alten: Wir verloren uns in Tickets, ohne den Kundenfokus zu behalten, wurden von Anforderungen oder Abhängigkeiten überrascht und waren weder untereinander noch mit anderen Teams abgestimmt.

Warum Standards hilfreich sind

Standards sind allgemein äusserst hilfreich, weil sie Struktur, Orientierung und bewährte Praktiken bieten. Im agilen Arbeiten erleichtern sie die Zusammenarbeit, fördern Effizienz und verhindern, dass Teams oder Organisationen das Rad neu erfinden müssen.

  1. Standards schaffen Klarheit und Struktur. Sie geben Teams einen Rahmen, innerhalb dessen sie sich bewegen können und eine gemeinsame Sprache. Scrum oder Kanban bieten klare Rollen, Prozesse und Rituale, die die Zusammenarbeit erleichtern.
  2. Standards basieren auf Erfahrung. Agile Methoden sind aus der Praxis gewachsen, wurden weltweit in unterschiedlichen Kontexten angewendet und haben sich bewährt. Die Frameworks bieten eine solide Basis, auf der Teams aufbauen können, statt selbst komplexe Prozesse zu entwickeln.
  3. Standards fördern Effizienz. Standards bieten bewährte Lösungen für häufig auftretende Aufgaben und Fragestellungen, was Zeit und Energie spart.
  4. Standards ermöglichen Skalierbarkeit. In grösseren Organisationen ist agiles Arbeiten ohne Standards kaum durchführbar. Ein gemeinsames Verständnis von Prozessen und Tools erleichtert die Zusammenarbeit über Teams hinweg.

Erst richtig lernen, dann anpassen

Es mag verlockend sein, agile Methoden direkt an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Aber ohne die Grundlagen zu verstehen, führt das oft zu Problemen. Auch wir mussten lernen, dass man vermeidbare Fehler riskiert, wenn man von bewährten Methoden abweicht, bevor man sie versteht. Daher:

  1. Lernt die Fundamentals. Beschäftigt euch mit den Grundlagen agiler Methoden. Versucht die Prinzipien zu verstehen, z.B. warum Sprints so kurz sind oder warum Daily Standups wichtig sind.
  2. Haltet euch an die Standards. Arbeitet in den ersten Monaten strikt nach den Regeln. Nutzt Retrospektiven, um zu prüfen, was funktioniert und was nicht. Lasst nichts weg, nur weil etwas unbequem ist. Der Sinn dieser Elemente zeigt sich meist erst mit der Zeit.
  3. Holt euch Unterstützung. Profitiert von den Erfahrungen erfahrener Coaches. Nutzt deren Wissen und lasst euch unterstützen, denn sie kennen die Stolperfallen sehr gut.
  4. Passt an, wenn ihr sattelfest seid. Prüft erst nach mehreren Iterationen, wo Anpassungen sinnvoll sind. Gewinnt zuerst Sicherheit, um dann bei Bedarf eure Prozesse bewusst und reflektiert

Agilität beginnt mit den Fundamentals

Wir haben in unserem Team nach einem Jahr «pröbeln» keine wirklichen Fortschritte erreicht. Erst eine IT-weite Initiative zur Einführung von SAFe brachte uns vorwärts. Anfangs gab es grossen Widerstand: Daily Standups wurden als „überflüssig“ empfunden, und Sprints endeten regelmässig mit unvollendeten Aufgaben. Nach einer intensiven Schulung und der konsequenten Anwendung der Scrum-Prinzipien änderte sich das Bild, erste Erfolge wurden sichtbar und die Skepsis verflog.

Um mit Agilität zu starten heisst nicht, dass jede*r das Rad neu erfinden muss. Es bedeutet, bewährte Standards zu nutzen, um die Prinzipien dahinter zu verstehen. Erst wenn diese Grundlagen verinnerlicht sind, macht es Sinn, eigene Wege zu gehen. Der Weg zu echter Agilität beginnt mit einer soliden Basis – und die erreicht man durch Schulung und Training. Und ja, «Doing agile» reicht nicht um das volle Potenzial von Agilität auszuschöpfen, ist aber schon mal ein guter Start!

Wie seid ihr gestartet?

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Habt ihr Standards konsequent umgesetzt oder von Anfang an eigene Anpassungen vorgenommen?

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Pascal Hasler

Pascal Hasler mag agile Prinzipien und Werte und bloggt aus dem Unterricht des CAS IT-Management & agile Transformation

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