High-performing Teams: Überleben im Packeis – Tod am Mount Everest

Am 27. Oktober 1915 erliegt die «Endurance» im Weddellmeer den Eispressungen und sinkt. Sir Ernest Shackleton und seine 27-köpfige Mannschaft der Trans-Arctic Expedition kämpfen 635 Tage im Eis um ihr Leben. Keiner stirbt. Im Gegensatz dazu finden am Mount Everest am 10. Mai 1996 ein erfahrener Bergführer, Rob Hall, und drei Bergsteiger des Expeditionsteams in einem mörderischen Sturm den Tod.
Schicksal oder lag es am Leadership oder gar am Team?

 

Die Menschen spielen leichtfertig mit dem Tragischen, weil sie an die Existenz des Tragischen in einer zivilisierten Welt nicht glauben. 

 

                                                                           JOSÉ ORTEGA Y GASSET  

 

Ich interessiere mich für die Entwicklung von high-performing Teams.

2019 las ich in diesem Zusammenhang das Buch «635 Tage im Eis – die Shackleton-Expedition» von Alfred Lansing, unmittelbar danach «In eisige Höhen – das Drama am Mount Everest» von Jon Krakauer.

Die Martyrien beider Expeditionen lassen mich nicht mehr los.

Auf der Suche nach Gründen für diese bin ich auf Faktoren gestossen, die entscheidend sind für die Entwicklung von high-performing Teams und den Ausgang der Expeditionen lenkten und entschieden…

 

Die glorreiche Vierte
Die «Performing-Phase» des Tuckman Phasenmodells

Das Erreichen der Performing-Phase ist essenziell. Erst mit ihr ist das Team vollkommen leistungsfähig, effektiv, resilient und selbstständig.

Das Tuckman Phasenmodell
Das Tuckman Phasenmodell (Quelle: www.me-company.de)

 

Beide Teams hatten Zeit genug, die Performing-Phase zu erreichen, bevor das Martyrium über ihnen hereinbrach. Während das Trans-Arctic Team diese Phase erreicht hatte, als es das Schiff aufgeben musste und im Packeis festsass, hatte das Team am Mount Everest nicht einmal die Storming-Phase zum Zeitpunkt des Gipfelangriffs erreicht. So schreibet Krakauer auf Seite 215:

«Ein Team waren wir nur auf dem Papier […]. Jeder Kunde kochte sein eigenes Süppchen […].»

 

Karate «Kitt»
Eine einheitliche Vision und ein gemeinsames Ziel

Eine einheitliche Vision und ein gemeinsames Ziel schweissen Teams zusammen.

Vision der Trans-Arctic Expedition war die gemeinsame Landdurchquerung der Antarktis zu einem in Aussicht gestellten Lohn von 250 bis maximal 750 englischen Pfund pro Jahr (nach heutiger Kaufkraft 10’000 resp. 37’500 Pfund). Ziel war, lebend in die Zivilisation zurückzukehren. Ein Ziel, das im Alleingang nicht erreichbar war.

Anders sieht es bei Hall und seinem Team aus. Eine einheitliche Vision oder ein Ziel, das es gemeinsam zu erreichen galt, gab es nicht. Vision war, sich in Siegespose auf dem Dach der Welt zu werfen. Ziel war, den höchsten Achttausender persönlich vom Sockel zu stossen, für das man 65’000 US-Dollar hingeblättert hatte.

 

Die fantastischen Zwei
Crossfunktionale Fähigkeiten & T-Shaped Profil

Crossfunktionale Teams sind interdisziplinäre Teams, deren Mitglieder über alle Fähigkeiten verfügen, die erforderlich sind, Wert zu schaffen.

Siehe Scrum Guide von scrum.org

 

Das T-Shaped Profil kombiniert die Vorteile und gleicht die Nachteile im Team aus. Es handelt sich hierbei um eine optimale Kompetenzverteilung, die Expertise, Spezialwissen, eine Fülle von Skills sowie breite Fähigkeiten und Kenntnisse aus angrenzenden Bereichen in sich vereint.

Das T-Shaped Profil
Das T-Shaped Profil (Quelle: https://karrierebibel.de/t-shaped-profil/)

 

Shackletons Team verfügte nicht nur über alle erforderlichen crossfunktionalen Fähigkeiten – vom einfachen Fischer bis zum Wissenschaftler – sondern auch über das erforderliche T-Shaped Profil. Ein Entkommen aus dieser Hölle aus Eis wäre sonst unmöglich gewesen.

Geradezu vernichtend ist das Urteil, das Krakauer in seinem Buch «In eisige Höhen» auf Seite 131 über das Expeditionsteam von Hall fällt:

«Keiner von ihnen hatte es jemals auf einen Gipfel eines Achttausenders geschafft. […] meine zahlenden Kameraden und ich [waren] eine Hinterhofansammlung annehmbarer Softballspieler aus der Provinz […].»

 

Mission (Im)Possible
Der Team-Katalysator «Leadership»

 «[…] wenn ihr in eine hoffnungslose Situation geratet, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt, dann fallt auf die Knie und betet um Shackleton.»

Zitat nachzulesen im Buch «635 Tage im Eis» S.24

 

Sir Ernest Shackleton war, wie es einer seiner Männer im Buch «635 Tage im Eis» auf Seite 24 formulierte:

«Der grösste Führer, der je auf Gottes Erden gekommen ist.»

Das Wohlergehen seiner Mannschaft hatte bei Shackleton oberste Priorität. Risiken ging er keine ein.

Auch wenn Rob Hall ein erfahrener, verantwortungsbewusster Bergführer war, so ging er am Tag des Gipfelangriffs hohe Risiken ein und führte sein Team direkt in den Rachen eines mörderischen Sturms – eine (vermeidbare) Todesfalle.

Am verheerendsten war, dass Hall keine exakte Umkehrzeit bestimmt hatte – eine überlebenswichtige Massnahme am Mount Everest – wie Hall wusste. Deren Nichteinhaltung kostete Hall und drei Bergsteigern der Expedition das Leben.

 

Schlussbemerkung

Je mehr ich mich mit der Bildung von high-performing Teams auseinandersetze, desto mehr Faktoren eröffnen sich mir, die den Ausgang der Martyrien bestimmten.

High-performing Teams sind mächtig, mit ihren gemeinsam entfalteten Kräften das Tragische in die Schranken zu weisen und dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen…

Weiterführende Literatur

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Corinne Invernizzi

Corinne Invernizzi ist IT-Businesspartner bei der SAKK – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung und bloggt aus dem Unterricht des CAS IT-Management & Agile Transformation. In Ihrer Funktion ist sie agile Brückenbauerin zwischen der IT und dem Business.

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