Das gegenwärtig laufende Projekt Justitia 4.0 will das Papier aus der Justiz entfernen. Der Terminus „4.0“ führt jedoch unweigerlich zu Assoziationen mit „Industrie 4.0“, welche durch IoT, künstliche Intelligenz oder dem Einsatz von Robotik geprägt ist. Der Einsatz künstlicher Intelligenz im Recht ist auf dem Vormarsch, Ideen von Rechtsmaschinen sind allerdings nicht neu.
Historische Beschreibungen von Rechtsmaschinen
Bildnisse zur maschinellen Urteilsfindung sind nicht neu. Bereits Thomas Hobbes beschrieb den Gesellschaftsvertrag als Schöpfungsakt wodurch ein künstlicher Mensch (Leviathan) geschaffen wurde, welcher den Staat als Automaten erscheinen lässt. Auch René Descartes oder Immanuel Kant verwendeten das Maschinenbildnis um die Funktionsweise der Welt – einem Uhrwerk gleich – zu erklären, womit Rechtsprechung nur ein kleines Rädchen im Werk ist. Montesquieu beschrieb das Bild des Richters als Subsumtionsautomaten:
„Les juges de la nation ne sont que la boche qui prononce les paroles de la loi“.
Dabei treffen Richterpersonen keine eigene Entscheidung, sondern wiederholen – quasi auf Algorithmen basierend – lediglich, was im Gesetz vorgegeben ist. Der Paragraphenautomat von Max Weber, bei welchem man oben die Akten nebst Kosten und Gebühren einwirft und der unten das Urteil auswirft, ist eine weitere Beschreibung einer Rechtsmaschine.
Algorithmen im Recht heute
Heute gibt es verschiedene Dienstleistungsbereiche, in welchen auf Algorithmen beruhende Systeme Aufgaben übernehmen, welche früher von Juristinnen und Juristen erledigt wurden – so z.B. die App DoNotPay, welche ursprünglich für die simple Aufgabe der Überprüfung von Bussen wegen Falschparkens entwickelt wurde, deren Anwendungsbereich sich aber mehr und mehr ausweitet. Allen Anwendungsbereichen gemein ist, dass es sich dabei um standardisierte Problemstellungen (z.B. Erstattungsansprüche) handelt.
Auch in der Rechtsanwendung gibt es Bereiche, in welchen standardisiert Recht gesprochen wird und die für existierende künstliche Intelligenz zugänglich wären, z.B. das Ordnungsbussenverfahren. Im Ausland sind diesbezüglich vollautomatisierte Systeme bereits implementiert. So wird z.B. in Amsterdam mit 360-Grad-Kameras aus Scancars Jagd auf Parksünder gemacht. Dabei wird automatisch erkannt, wer unberechtigt parkt. Die Übertretungsanzeigen werden vollautomatisch gefertigt und zugestellt. In der Schweiz wird dies (auch mangels gesetzlicher Grundlage) noch nicht praktiziert. In einigen Kantonen – z.B. Luzern – laufen jedoch Projekte, welche eine gesetzliche Grundlage für die automatisierte Autonummernerfassung liefern sollen, wobei betont wird, dass es hierbei um die Jagd von Verbrechern und nicht von Parksündern gehen soll. Im Strafrecht gibt es im Rahmen der Strafzumessung z.B. bei Betäubungsmitteldelikten auf Algorithmen basierte Hilfsmittel. Weitere vorstellbare Anwendungsbereiche von KI sind das Steuerrecht oder andere standardisierte Verfahren wie Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege oder die Anordnung von U-Haft.
Im Schnittstellenbereich von Justiz und Psychiatrie wird künstliche Intelligenz unter Bezeichnungen wie ROS oder COMPAS im Rahmen der Beurteilung der Rückfallgefahr von Straftätern eingesetzt. Damit verwandt ist das im Rahmen der Polizeiarbeit eingesetzte predictive policing.
Neue Fragen durch KI in der Rechtsprechung
Eine Automatisierung der Rechtsprechung mittels KI wirft neue Fragen auf:
- Wie sieht es mit Verhältnismässigkeitsabwägungen im Einzelfall oder dem Rechtsmissbrauchsverbot aus?
- Braucht es bei automatisierter Rechtsprechung noch mehrere Gerichtsinstanzen?
- Können Maschinen irren?
- Braucht es deshalb auf oberen Instanzen menschliche Entscheidungsträger?
- Ist Irren nicht viel mehr menschlich und es bräuchte zwecks Korrektur automatisierte Rechtsprechung auf oberen Instanzen?
Man darf gespannt sein, was die Zukunft bringt.