Digitalisierung in der Schweiz, wie bitte? Da sind wir doch schon lange! Viele Beispiele aus der Praxis zeigen jedoch, dass bei weitem nicht überall, wo „e-“ oder „@“ draufsteht, auch „digital“ drin ist. Was bedeutet überhaupt digital und wie können Schweizer Unternehmen wirklich digital werden? Dieser Beitrag gibt Antworten
Alles digital – oder doch nicht?
Ich lebe in einem Haus in einer grossen Agglomerationsgemeinde. Bis vor kurzem habe ich am Ende jeden Jahres meine Wasserverbrauchszahlen in einem Formular eintragen und per Post an die Gemeinde schicken müssen. Unsere Verwaltung hat sich im Bereich e-Government weiterentwickelt (…). Heute kann ich dieselben Verbrauchszahlen auf der Website der Gemeinde eintippen.
Gartner nennt diesen Schritt Digitization, und definiert ihn als die Umwandlung eines analogen in einen digitalen Prozess. Die Art und Weise des Bearbeitungsprozesses bleibt dabei unverändert. Oder anders ausgedrückt: Anstatt mit der Schreibmaschine schreibe ich nun mit dem Computer. Ansonsten verändert sich nichts.
Digitalisierung ist anders – aber wie?
Wie könnte ein digitales Modell für die Wasserversorgung meines Hauses aussehen?
- Der Wasserverbrauch wird dank digitalen, vernetzten Geräten direkt von den Verbrauchern (Dusche, Geschirrspüler, etc.) erfasst
- Diese Daten werden online dem Wasserwerk der Gemeinde zugestellt – in Echtzeit
- Sowohl ich wie die Gemeinde können dank der Daten wesentlich schneller und flexibler auf Wasserknappheit reagieren und den Verbrauch anpassen
- Der Wasserverbrauch kann über monetäre oder andere Anreize gesteuert werden
- Allfällige Wasserlecks werden schneller entdeckt und Kollateralschäden verhindert. Daher wäre dieses Modell bestimmt auch interessant für Versicherungen
Solche Modelle sind heute keine Utopie mehr. Dank IoT (Internet of Things) werden Geräte, Systeme, Anbieter und Verbraucher und weitere Partner miteinander in Business Ökosystemen vernetzt.
Warum sind wir trotz vieler Vorteile nicht schon viel digitaler unterwegs?
Nachfolgend drei Hauptpunkte und entsprechende Lösungsansätze:
1. Angst vor Neuem – Change-Management war noch nie einfach
Digitalisierung ist zuerst einmal Sache der Geschäftsleitung. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch eine Geschäftsstrategie aus, in der Digitalisierung integrierter Bestandteil und die Geschäftsleitung davon überzeugt ist
2. Digitalisierung als Gefahr für das vertraute Geschäftsmodell
Warum nicht das alte Modell noch eine Zeit weiterführen und ein digitales Geschäftsmodell parallel dazu aufbauen? Digitale Unternehmen werden sehr schnell wachsen, weil sich ihre Geschäftsmodelle angepasst haben und auf einen globalen Markt ausgerichtet sind
3. Fehlender Mut zu Innovation (Wohlstandsträgheit?)
Digitalisierung birgt zwar ein Risiko, dass zuerst mit einem Rückgang der Profitabilität gerechnet werden muss. Initial muss viel Aufwand in Technologie und Change-Management investiert werden. Erst wenn First Movers „anbeissen“, wird die Profitabilität steigen. Aber: „The winner takes it all“.
Es gibt einige weitere Faktoren, die die digitale Transformation in der Schweiz beeinflussen, wie fehlendes Wissen, ungenügende Infrastruktur, Fachkräftemangel, Gesetzgebung, ethische Fragen z.B. im Bereich KI, um nur ein paar zu nennen.
Mein Fazit
Die Digitalisierung bietet neben einigen Risiken vor allem grosse Chancen. Sie muss „im Kopf“ beginnen. Trotz bereits gemachter, wichtiger Digitalisierungsschritte hat es noch viel Luft nach oben. Entscheidend ist, wie schnell Wirtschaft und Staat ihre grundsätzlich hohe Innovationsbereitschaft im Bereich der Digitalisierung auf den Boden bringen. Risikobereitschaft und Geschwindigkeit sind nicht typische Schweizer Tugenden, in diesem Fall aber dringend notwendig.