Sind selbstorganisierte Teams agiler oder fragiler?

Ich arbeite seit vielen Jahren in einem selbstorganisierten Team. Wie agil oder fragil ist das ganze Konstrukt? Lohnt sich die Transformation zur Selbstorganisation?

Als Consultants sind wir viel bei Kunden vor Ort, ausser es ist gerade Lockdown. Das heisst, wir sind selten im unternehmenseigenen Büro anzutreffen. Aufträge erhalten wir digital.

Dadurch, dass wir die Arbeit selbst einteilen und organisieren können, wird das gesamte Potenzial unserer Arbeitstage ausgeschöpft. Da wir uns immer wieder auf neue, spannende und interessante Firmen und Aufträge konzentrieren dürfen, ist die Führung unserer Teams eine Herausforderung. Was das Homeoffice in der Pandemie als Novum für die einen ist, ist Arbeiten wie gewohnt für die anderen. Doch wieso gibt es immer noch Unternehmen, die dem Homeoffice und den modernen Führungsstrukturen eher skeptisch gegenüberstehen, selbst nach der vergangenen Homeoffice-Pflicht?

Traditionell vs. Agil – oder doch was dazwischen?

Was genau sind selbstorganisierte Teams und wie funktionieren sie?

Traditioneller Ansatz: Ein/e Vorgesetzte/r bestimmt die Ziele und Aufgabenverteilung und überwacht deren Fertigstellung. Die Kommunikation in diesem Modell funktioniert sternförmig, d.h. vom Teammitglied zum Teamleiter/in. Es gibt wenig direkte Kommunikation zwischen den Teammitgliedern. Da die wichtige Kommunikation über den Teamleiter/in läuft, besteht die Gefahr, dass dieser zum „Bottleneck“ wird.

Agiler Ansatz: Der „Product Owner“ gibt Prioritäten und Ziele vor und der „Scrum Master“ sorgt dafür, dass das Team bei der Abarbeitung unterstützt wird. Das Team hat die Freiheit selbst über die Aufgabenverteilung und -durchführung zu bestimmen. Dies erfordert zwar Abstimmungsbedarf zwischen den Mitgliedern, ermöglicht aber die optimale Nutzung der im Team vorhandenen Fähigkeiten und Motivation. Die Kommunikation in diesem Modell funktioniert eher netzwerkförmig, d.h. von Teammitglied zu Teammitglied.

Selbstorganisierte Teams, der Mittelweg?

In der Realität wird diese Möglichkeit zur Organisation oft als „Schwarz/Weiss“ gesehen. Aber es kann durchaus Sinn machen, eine Mischform anzuwenden. Heute wird der agile Ansatz eher bei Startups angewendet und der traditionelle eher im patriarchisch geführten Familienbetrieb. Aber wo es Schwarz und Weiss gibt, ist auch immer etwas dazwischen. Die meisten grossen Schweizer Firmen haben aktuell agile Bereiche, diese aber nicht auf die Gesamte Firma ausgeweitet. Meiner Erfahrung nach reicht es nicht, wenn nur ein Team einen agilen Führungsstil lebt, sondern es muss von der Geschäftsleitung bis zum Lernenden durchgängig gelebt werden.

To Do

Voraussetzung für ein erfolgreiches selbstorganisiertes Team

Vertrauen: Jedem Mitglied eines Teams muss vertraut werden, das gilt aber auch für die Mitglieder untereinander. Es reicht nicht, wenn der Projektverantwortliche einem Mitglied vertraut, die anderen Mitglieder es aber nicht tun.

Zusammenhalt: Das Team muss einen Zusammenhalt spüren. Dieser muss aktiv gefördert werden. Zusammenhalt stärkt sich dadurch, dass Mitglieder einander helfen und jederzeit die Hilfe der anderen erwartet werden kann.

Selbstverwirklichung: Jedes Teammitglied hat Eigenschaften, Wünsche und Vorstellungen, die es in seine Arbeit einbringen möchte, weshalb eine gesunde Work-Life-Balance wichtig ist. Sie kann sich als Motivation auf die Arbeit auswirken und die Selbstverwirklichung in diversen Bereichen fördern.

Vorteile:

Mehr Spass an der Arbeit: Man kann mitentscheiden was und wie man etwas macht. Das liegt auch in unserer menschlichen Natur. Führungspositionen werden durch Vertrauen, Kommunikation und Respekt erarbeitet, anstatt angeordnet.

Aufgaben werden effizienter durchgeführt: Anstatt der Person, welcher die Aufgabe zugetragen wurde, macht jetzt die Arbeit jemand, der sich dafür interessiert und motiviert ist.

Weniger Management: Der Mensch trifft in seinem privaten Umfeld wesentlich grössere Entscheidungen als im Job, wie z.B bei einem Hauskauf. Die meisten Entscheidungen können auch im Team durch die Mitglieder getroffen werden, und zwar ohne das Zutun eines Chefs.

Mehr Innovation: Jetzt kann Innovation von überall im Unternehmen kommen. Auch der Kundensupport, der in Unternehmen von der Management-Hierarchie sehr weit unten steht, kann nun interessante Vorschläge machen. Die Ideen aller Mitarbeiter/innen sind gleich relevant für das Unternehmen unabhängig von der Hierarchie.

Nachteil

Verantwortung: Wie wird die Arbeit erledigt, wenn niemand dafür zuständig ist?
Die Idee ist, dass Teammitglieder miteinander Vereinbarungen machen, am besten schriftliche, welche Rolle, Verantwortungen, Aufgaben, etc. man im Team hat.
Sondern alles läuft über die Teamkultur und die Teamvereinbarungen.

https://pixabay.com/de/photos/papier-gesch%C3%A4ft-finanzen-dokument-3213924/
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Fazit

Das Potenzial eines selbstorganisierten Teams ist also hoch. Fraglich ist, ob sich das genauso umsetzen lässt. Dennoch: Den Ansatz finde ich richtig und er sollte in mehr Unternehmen eingesetzt werden. Denn es braucht wesentlich weniger Management, als es bisher in Firmen gibt. Dadurch wird der Fokus wieder mehr auf die Arbeit gelegt und weniger in administrative Tätigkeiten.

In der heutigen Zeit, in welcher Unternehmen die Individualisierung befeuern, ist der alte Ansatz nicht mehr geeignet, um zufriedene Mitarbeiter/innen und vorbildliche Performance zu generieren. Vielmehr müssen konstante Teams geschaffen werden, in denen auf die Bedürfnisse Vertrauen, Zusammenhalt und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter eingegangen wird. Dies ist ein Prozess, der Zeit benötigt.

Ich habe mit allen drei Formen gearbeitet und sage aus meiner Perspektive, wenn man sich in einer Firma einbringen will und die Firma das auch zulässt, ist das selbstorganisierte Team der Weg zum Erfolg ohne grossen Mehraufwand auf der Management-Seite.

Was motiviert mehr: zusammen etwas zu erreichen mit Einbezug aller Fähigkeiten der Arbeitskollegen/innen, um effizient aber auch qualitativ hochwertige mit Stolz erfüllte Arbeit zu leisten oder alle arbeiten wie bis anhin für sich alleine, ohne Einbezug der Kollegen/innen ?

Wie so oft kommt es auf die Mitglieder in den Teams an, ob man sich verändern will oder so weiter machen möchte wie bis anhin. Um die Einstiegsfrage zu beantworten: Selbstorganisierte Teams sind genauso agil und fragil, wie die Menschen, die darin arbeiten.

Weiterführende Links zum Thema

wann ist ein Team selbstorganisiert

Selbstorganisierte Teams führen

 

 

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René Lüönd

René Lüönd ist Principal SAP Consultant bei der Innflow AG und bloggt aus dem Unterricht des CAS IT Management & Agile Transformation.

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