In den letzten Monaten hat sich dein Einkaufs- und Zahlverhalten wahrscheinlich stark geändert. Du shoppst mehr online und vermeidest im Supermarkt Bargeld. Viel lieber benutzt du digitale Zahlalternativen. Na, ertappt? Dieses Verhalten ist völlig normal, eine Krise hat dich in diese Veränderung getrieben. Aber nicht nur Krisen treiben die Veränderung des Zahlungsverkehrs voran, auch Misstrauen. Erfahre hier wieso.
Die Schweiz als Insel in Europa
Frau und Herr Schweizer ticken schon immer etwas anders, wenn es um digitale Lösungen geht. Während der Rest von Europa auf ebay ver- und ersteigert, wird hier auf ricardo gesteigert. Bei den mobilen Zahlungsmöglichkeiten sieht es ähnlich aus. In Deutschland liefern sich Google Pay, Apple Pay und Payback Pay ein Rennen um die Marktführerschaft (PayPal wird aussen vorgelassen, da es mehr ein Internetbezahlverfahren, denn eine mobile Zahlungsmöglichkeit ist). In vielen anderen europäischen Ländern zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die Schweiz jedoch hat bereits einen klaren Marktführer mit Twint, welches einem Anteil von 70-80 % aller mobilen Zahlungen ausmacht.
Die Schweiz und ihre Insellösung in der (Corona-)Krise
Während 2017 noch insgesamt knapp 70 % der Transkationen mit Bargeld und weitere 25% mit Debit und Kreditkarten getätigt wurden, fristeten die mobilen Zahllösungen mit unter 2 Prozent der Transaktionen noch ein Schattendasein. Die Zahl der monatlichen Transaktionen belief sich auf 270‘000 und bei einem ähnlichen Verlauf wie mit den kontaktlosen Karten wurden im Jahr 2020 monatlich 2.5 bis 3 Millionen Transaktionen vorausgesagt. Während im September 2019 mit monatlich 4 Millionen Transaktionen diese Marke bereits geknackt wurde, sind es genau ein Jahr später bereits 11 Millionen Transaktionen monatlich.
Doch wieso?
Der Grund ist die Corona Krise. Durch die Schliessung aller Geschäfte im ersten Lockdown, welche keine nicht alltagsnotwendigen Güter anbieten durften, stiegen die Transaktionen rasant und die durchschnittlich beglichenen Beträge um 60%. Bereits zwei Wochen nach dem Lockdown wurden doppelt soviel Einkäufe online mit Twint beglichen, wie zuvor. Aber auch in Supermärkten veränderte sich das Zahlverhalten schnell. So halbierte sich die Nutzung des Bargelds. Dieser kleine Einblick zeigt auf, dass neue Technologien dank Krisen profitieren können.
Ein( )Blick(e) nach Asien – Misstrauen ist gut, Vertrauen ist besser
Szenenwechsel, Indien Mitte Februar 2020, man hat von Corona gehört, aber es ist noch weit weg. Zusammen mit meiner Schwägerin sind wir auf dem Weg zu meiner Frau um Hochzeitsvorbereitungen zu treffen. Wir befinden uns auf einer Landstrasse im ländlichen Indien und meiner Schwägerin kommt die Idee meiner Frau eine Rose mitzubringen. Während ich die schönste Rose auswählte und schon die Rupien in der Hand hatte, winkte meine Schwägerin ab und zückte ihr Handy um die Rose, hier irgendwo im nirgendwo, mobil zu begleichen. Dies in einem Land, in dem durchschnittlich der Ladenbesitzer nicht mehr als umgerechnet 200 CHF verdient und ein Smartphone ein Luxusgut ist.
Der Subkontinent und das fehlende Vertrauen
Ich war perplex, dass dies hier möglich war und fragte mich wieso, entfernt erinnerte ich mich an einen Nachrichtenartikel. Im November 2016 wurden Noten im Wert von 500 Rupien (<10 CHF) und 1000 Rupien für ungültig erklärt und konnten nur in einem beschränkten Zeitraum, mit potentiellen Untersuchungen der Steuerbehörden, eingetauscht werden. Diese Noten machten 86% des gesamten Bargelbstandes Indiens aus. Durch diesen Schritt verloren viele Bürger Indiens das Vertrauen in das Bargeld und schauten sich nach Alternativen um. Seit der Demonetarisierung bis 2018, wuchs der Anteil bei den digitalen Zahlungsmethoden P2P Zahlungen um sagenhafte 745% über „e.wallets“, während die Zahlungen an Ladenbesitzer um „nur“ 405 % zugenommen haben.
Dies zeigt eindrucksvoll auf, dass fehlendes Vertrauen in die Regierung und Bargeld bereits bestehenden Zahllösungen (mehrheitlich PayTM in Indien) einen enormen Wachstumsschub verleihen kann.
Ein kurzer Sprung über den Himalaya
Aber nicht nur das fehlende Vertrauen gegenüber Bargeld und der Regierung führt zur digitalen Transformation. So konnte AliPay (heute Ant Finanical Service Group) nur wachsen, aufgrund eines benötigten vertrauensvollen Mittelmannes. In China waren Kunden einerseits gewöhnt erst nach einer vollendeten Warentransaktion zu zahlen, während Lieferanten im Normalfall eine Zahlung vor einer Auslieferung erwarteten. Hierbei konnte sich ein Gigant im Zahlungsverkehr entwickeln, welcher eben dieses Problem adressierte und beiden Seite vollste Transparenz zusagte über den Erhalt des Geldes, dem Standort der Ware und sogar dem Zustand. Hierbei blies AliPay anfänglich ins gleiche Horn wie PayPal und war vor allem eine Internetbezahlmethode, denn ein mobiler Zahlservice. Jedoch konnten sie sich zusammen mit WeChatPay derart im Alltag in China durchsetzen, dass bereits Barzahlen als harte Strafe in China angesehen wird.
Es zeigt sich, dass auch fehlendes Vertrauen untereinander die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs vorantreibt.