«Ein Schwein mit Lippenstift anzumalen» bedeutet, oberflächliche Verbesserungen an einem Produkt vorzunehmen, um seine grundlegenden Mängel zu verschleiern. Bei digitalen Vorhaben liegt der Fokus häufig auf dem Frontend, also dem sichtbaren Bereich einer Website oder App. Was im Hintergrund passiert, erhält oft zu wenig Beachtung, ist aber für die Nutzer*innen von grosser Bedeutung.
Jeder kennt es. Die Website oder die App sieht auf den ersten Blick chic und aufgeräumt aus, bei der Nutzung zeigen sich allerdings zahlreiche Hindernisse:
- Der Prozess ist nicht zu Ende gedacht.
- Es kommt zu Fehlern oder Medienbrüchen.
- Die Bedienung ist umständlich oder nicht selbsterklärend.
- Das vermeintlich moderne Formular zeigt nicht an, wenn User*innen eine falsche Eingabe tätigen.
- Und im Hintergrund druckt ein armer Mitarbeitender die per E-Mail eingegangenen Bestellungen aus, da es keine Schnittstellen zu den weiteren Systemen im Haus gibt.
Der Grund: Im Entwicklungsprozess wird nicht genug Gewicht auf die User Experience (UX) und die Usability gelegt. Stattdessen werden analoge Prozesse 1:1 digitalisiert und mit einem «schönen» Look versehen.
„Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland AG
Ziel jeder Digitalisierung sollte es sein, Vorteile sowohl für das Unternehmen selbst als für auch die Kund*innen zu schaffen. Um das zu erreichen, gilt es folgende Schritte einzuhalten:
Bedürfnisse formulieren – intern wie extern
Zuerst muss intern geklärt werden, welche Ziele mit einem digitalen Prozess oder Produkt erreicht werden sollen, welche Schnittstellen und Abhängigkeiten es gibt und welche Zielgruppen angesprochen werden. Fundierte Kenntnisse über die Bedürfnisse der User*innen erhält man einerseits durch Research wie Befragungen oder Studien, andererseits durch die Auswertung von vorhandenen Tracking-Zahlen. Bezieht man zudem echte Kund*innen möglichst früh in den Entwicklungsprozess mit ein und lässt zum Beispiel Prototypen testen, lassen sich viele Stolpersteine in der späteren Umsetzung vermeiden. Sind die internen Prozessschritte aufgegleist, geht es an die nutzerzentrierte Umsetzung.
User Experience: In die Schuhe der Anwender*innen schlüpfen
Der Begriff User Experience umfasst die Eindrücke bei der Interaktion mit einem Produkt oder einer Dienstleistung. Er wird meist im Zusammenhang mit Software, Websites oder Apps genutzt, umfasst aber auch die physische Nutzung. Das Produkt oder die Dienstleistung muss die Erwartungen der Anwender*innen erfüllen und einen Nutzen oder echten Mehrwert bieten. Um eine möglichst gute User Experience zu erzielen, eignet sich ein iterativer Ansatz wie Design Thinking, um die Bedürfnisse und Motivationen der Nutzer*innen zu berücksichtigen.
«Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.»
Spannend ist, dass ein digitales Produkt trotz schlechter Gestaltung (Look) funktionieren kann, wenn die User Experience (Feel) gelungen ist. Umgekehrt ist es schwierig, ein Produkt oder einen Prozess erfolgreich zu gestalten, wenn zwar die visuelle Umsetzung herausragend ist, die Bedienbarkeit allerdings mangelhaft. Daher ist es wichtig, beide Aspekte miteinander zu kombinieren.
Fazit: Form follows function
Bevor ein analoger Prozess einfach ungeprüft digitalisiert wird, lohnt es sich, einen genauen Blick auf die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse sowie die internen Abhängigkeiten und Schnittstellen zu werfen. Und dann den Austausch mit den User Experience Architekt*innen Ihres Vertrauens zu suchen, bevor es an die visuelle Gestaltung geht – damit diese nicht zum sprichwörtlichen digitalen Lippenstift wird.
Weiterführende Links: