Requirements Engineers sind Weltenbummler!

Requirements Engineering umfasst das Ermitteln, Dokumentieren, Verwalten und Prüfen von Anforderungen. Dabei besucht der Requirements Engineer die verschiedenen Welten der Anspruchsgruppen und analysiert deren Bedürfnisse. Die  unterschiedlichen Interessen dieser Welten bergen Risiken und Chancen. Für den optimalen Umgang damit bringt der Requriements Engineer Werkzeuge und das notwendige Know-how mit. In meiner Doppelrolle als IT-Projektleiter und Requirements Engineer übernehme ich Methoden aus dem Requirements Engineering und wende diese auf mein Arbeitsumfeld angepasst an. 

Betrachten wir die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder der verschiedenen Anspruchsgruppen um ein beliebiges Produkt, können wir feststellen, dass sich diese nicht nur in der Tätigkeit, sondern auch in der Sprache unterscheiden. Sie leben bildlich gesehen in verschiedenen Welten. Viele Anspruchsgruppen wissen zwar, was sie wollen, aber oft nicht was genau. Das kann zu Missverständnissen zwischen Anspruchsgruppen führen und sich zum «Krieg der Welten» zuspitzen. Ein nicht oder nur teilweise akzeptiertes Projektergebnis wäre eine Folge davon.

Folgende Aspekte haben sich in meinem Arbeitsalltag als besonders wertvoll erwiesen, um Spannungen zwischen Anspruchsgruppen vorzubeugen oder zu mindern:

  • Vision und Ziele mit Vertretern der Anspruchsgruppen gemeinsam definieren
  • Die Welten der Anspruchsgruppen verstehen
  • Eine Produktbezogene Begleitgruppe bilden

Wer die drei in der Folge beschriebenen Punkte befolgt, legt den Grundstein für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit wichtigen Anspruchsgruppen.

Gemeinsam Ziele definieren

Bei der Formulierung von Bedürfnissen die richtige «Flughöhe» zu treffen ist besonders am Anfang anspruchsvoll. Werden Wünsche und Bedürfnisse an mich herangetragen, geschieht dies oft auf einer zu tiefen Ebene, die den Blick auf das grosse Ganze nicht ermöglicht. Das Formulieren von Bedürfnissen auf dieser Ebene, lässt mir viel Raum für Interpretation. Daher frage ich immer nach, welches Ziel mit dem Vorhaben erreicht werden soll. Gemeinsam erarbeiten wir dann eine Zieldefinition. Mit der gemeinsamen Definition von Zielen schaffen das Business und ich gemeinsam die Grundlage für die weitere Präzisierung. In Fällen, bei denen ich bei der Definition mehrere Ziele erkennen kann, empfehle ich eine umfassende Vision zu formulieren. Hierfür eignet sich die Methode des Elevator Pitch besonders gut.

Die Welten verstehen

So verschieden die Tätigkeiten der verschiedenen Anspruchsgruppen sind, so sind es auch ihre Anforderungen an eine Lösung. Damit ich als Requirements Engineer mit technischem Hintergrund die Anforderungen in der erforderlichen Qualität formulieren kann, muss ich deren Inhalt verstehen. Also tauche ich ein in die Welten verschiedener Anspruchsgruppen. Dies kann auf verschiedene Arten geschehen.

  • Ist es möglich einen halben oder ganzen Tag die Position eines Vertreters wichtiger Anspruchsgruppe einzunehmen und seine Arbeit auszuführen? In meinem Unternehmen ist diese Art von Austausch über alle Geschäftsbereiche hinweg nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Wir nennen dies «Seitenwechsel». Apprenticing ist der fachliche Begriff für diese Beobachtungstechnik.
  • Durch klassisches Dokumentenstudium und Systemarchäologie versuche ich die Prozesse der Anspruchsgruppen zu verstehen und mache mir ein Bild über ihre Tätigkeiten. Dies sollte jedoch unbedingt in Kombination mit dem Austausch mit betroffenen Anspruchsgruppen geschehen. Das Dokument kann mir nicht versichern, dass auch nach der dokumentierten Vorgehensweise gearbeitet wird. Meine Erfahrung zeigt mir, dass Menschen, die eine Arbeit mehrfach wiederholen, diese nach einer Weile auswendig ausführen. In vielen Fällen haben sie für sich selber Wege gefunden den Prozess zu vereinfachen und weichen von der Beschreibung ab. Oft auch ohne, dass ihnen dies bewusst ist.

Begleitgruppe bilden

Nachdem wir die Bedürfnisse in einem Software-Projekt umgesetzt haben, unterliegt dieses der Dynamik seines Umfeldes. In den Geschäftsbereichen werden neue Bedürfnisse entstehen und die Wichtigkeit der bestehenden Bedürfnisse wird sich verändern. Bei Software mit mehreren wichtigen Anspruchsgruppen empfehle ich daher eine Begleitgruppe zu bilden. Im Sinne von IT-Service-Management können wir diese als Change Advisory Board betrachten. Jeweils nachdem neue Entwicklungen implementiert wurden und zusätzlich bei Bedarf (z.B. zur Präsentation umgesetzter Entwicklungen) trifft sich die Begleitgruppe. An diesen Zusammenkünften besprechen wir die Liste der Anforderungen, priorisieren die einzelnen Punkte darauf neu und legen damit den weiteren Verlauf der Reise fest.

Mit dem alleinigen Einsatz der erwähnten Techniken kratzen wir lediglich an der Oberfläche des Requirement Engineerings. Wer bisher jedoch ohne spezifischen Methodeneinsatz mit Anforderungen umgeht, kann mit diesen einfachen Werkzeugen bereits massgebende Pfeiler einschlagen und eine bedeutende Steigerung der Qualität erreichen.

Weiterführende Literatur:

  • Klaus Pohl, Chris Rupp: Basiswissen Requirements Engineering, ISBN 978-3-86490-283-3, Dpunkt Verlag
  • Christine Rupp, Die Sophisten: Requirements-Engineering und -Management, ISBN 978-3-446-43893-4, Carl Hanser Verlag

Beitrag teilen

Beda Kohler

Beda Kohler ist IT Projektleiter und stellvertretender betrieblicher Datenschutzberater bei der Stiftung Brändi und bloggt aus dem Unterricht des CAS Requirements Engineering.

Alle Beiträge ansehen von Beda Kohler →

Schreibe einen Kommentar