Der digitale Tod muss zu Lebzeiten organisiert werden

(Quelle pixabay.com)

Unser «Digital Footprint» wird mit jedem Tag, an dem wir auf der Erde leben, grösser. So entwickelt sich auch unser «Digital Twin» zu einem immer genaueren Abbild unseres physischen Ichs. Mit fortschreitender Digitalisierung wird dies weiter verstärkt. Umso mehr stellt sich die Frage: Was passiert, wenn wir einmal sterben? Werden wir in der digitalen Welt ewig weiterleben?

Meine Benutzerkonten – mein digitales Leben
Wenn man sich Gedanken darüber macht, welche Portale, Plattformen, Anwendungen und Dienste wir täglich nutzen, wird einem schnell klar, dass es nahezu unmöglich ist, noch den Überblick zu behalten. Für fast jede digitale Aktivität im Alltag benötigen wir ein Benutzerkonto. Häufig handelt es sich dabei um kostenlose Dienste, die wir im Endeffekt mit unseren persönlichen Nutzungsdaten bezahlen. Seien dies Social-Media-Plattformen, E-Mailkonten, Buchungs- und Shoppingplattformen, Wearables, Smartphones, Zugriffe auf eigene Bankkonti, Newsletters, jegliche Arten von Apps und noch vieles mehr. Es stellt sich aber die Frage: Was passiert mit unseren Profilen und Benutzerkonten, wenn wir irgendwann nicht mehr leben?

Viele Social-Media-Plattformen bieten mittlerweile die Möglichkeit, das persönliche Profil in einen Gedenkzustand zu versetzen. Bei Facebook kann unter anderem zu Lebzeiten ein Nachlasskontakt hinterlegt werden. Dieser kann nach dem Tod der Person dessen Profil in den Gedenkzustand versetzen, das Profil aktualisieren und auf neue Freundschaftsanfragen reagieren. Wenn keine Vereinbarung zu Lebzeiten getroffen wurde, können Angehörige einer verstorbenen Person das Profil über ein Formular löschen lassen.

Ähnlich wie Facebook bieten auch andere Social-Media-Plattformen eine Kontolöschung an. So können beispielsweise bei Instagram, LinkedIn und Twitter mittels Kontaktformular die Benutzerkonten gelöscht werden. Die Betreiber geben jedoch keine Auskunft darüber, was mit den Daten im Hintergrund wirklich passiert. Sie weisen lediglich darauf hin, dass Daten unwiderruflich gelöscht werden. Inwiefern die Nutzungsdaten für andere Zwecke weiterhin verwendet werden, bleibt ungeklärt.

Möchte man die digitalen Spuren seines Lebens verschwinden lassen, kommt man nicht darum herum, bei der Suchmaschine Google alle seine Daten löschen zu lassen. Über das Formular «Löschung aufgrund des europäischen Datenschutzes» können Hinterbliebene ein Löschbegehren beantragen. Die Person muss mithilfe eines Dokumentes ausweisen, in welcher Beziehung sie zur verstorbenen Person stand und was die Gründe für das Löschbegehren sind. Weiter bieten Google und auch andere Anbieter einen Inaktivitätsmechanismus an. Das bedeutet, dass das Konto nach einer gewissen Zeit ohne Interaktivität mit dem Dienst oder der Plattform automatisch gelöscht wird. Häufig können in den persönlichen Einstellungen die Zeitspanne und auch die Daten, die Dritten zugänglich bleiben sollen, definiert werden.

Falls kein Inaktivitätsmechanismus vorhanden ist und kein Hinterbliebener ein Löschbegehren beantragt, dann bleiben die Benutzerkonten und Profile auf unbestimmte Zeit bestehen. Die Frage, inwiefern die Nutzungsdaten der verstorbenen Personen von Providern weiter genutzt werden, bleibt unbeantwortet.

Nutzungsdaten
Täglich generieren wir mit unseren Aktivitäten im Internet, mit der Nutzung von Smartphones und IoT-Geräten eine Unzahl neuer Daten. Mit neuen Technologien haben Anbieter die Möglichkeiten, aus diesen Daten sehr wichtige Erkenntnisse über Verhalten und Interessen einer einzelnen Person zu gewinnen. Was passiert aber nach dem Tod mit unseren Nutzungsdaten, Metadaten, Verhaltens- und Kontextdaten?

Diese Frage kann leider nicht abschliessend beurteilt werden. Dazu sind kaum Informationen vorhanden, und die Anbieter geben sich diesbezüglich sehr bedeckt. Anzunehmen ist, dass diese Daten nach dem Tod weiterleben und es kaum möglich ist, sie sorgfältig zu löschen. Ein Statistik-Doktorand der Universität von Massachusetts hat ausgerechnet, dass Facebook ab 2098 mehr tote als lebendige Nutzerinnen und Nutzer haben wird. Spätestens dann wird Facebook wertlos sein, wenn es keinen Prozess dafür gibt, um Nutzungsdaten von verstorbenen Personen sorgfältig zu löschen.

Digitaler Nachlass – Rechtliche Situation
Grundsätzlich sollten die lokalen Daten auf einem Gerät von den Daten in der „Cloud“ differenziert werden. Lokale Daten die sich auf einem Gerät befinden, wie beispielsweise Smartphone oder Notebook, fallen zusammen mit den Vermögenswerten in die Erbmasse. Wer auf diese Daten Zugriff haben darf und sich darum kümmern soll, muss im Testament integriert werden.

Bei Daten die sich in der Cloud befinden, also irgendwo auf der Welt in einem Datacenter gespeichert sind und nur über das Internet zugänglich sind, bei denen ist die Situation etwas komplizierter. Die Gesetzgebung ist mehrheitlich nach dem Territorialprinzip geregelt. Das bedeutet, dass der Datenschutz, das Strafrecht, Erbrecht und viele andere Gesetze nur für das eigene Land geregelt werden. Diese Regelungen reichen für einen rechtlichen Vollzug international oft nicht aus. Bei Daten die sich bei einem Anbieter im Ausland befinden, ist häufig nicht klar, welches Recht überhaupt anwendbar ist. Die Anforderungen um das Recht gegeben einen Anbieter anzuwenden, sind sehr hoch und meistens sind die Aussichten auf einen Erfolg sehr gering. Die Verjährungsfrist tritt häufig früher ein, als der Rechtsstreit abgeschlossen werden kann. Somit ist zum Beispiel einen Antrag auf Löschung eines Benutzerprofils bei einem internationalen Provider fast aussichtslos.

Nach dem Schweizer Recht endet die Persönlichkeit mit dem Tod. Somit verliert auch der Datenschutz seine Wirkung. Das bedeutet, dass die Daten im Internet der verstorbenen Person nicht mehr rechtlich geschützt sind. Auch in der DSGVO fehlt eine ausdrückliche Regelung wie mit personenbezogenen Daten von verstorbenen umgegangen werden soll.

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Geschäftsmodelle mit dem digitalen Tod
Mittlerweile befassen sich die Menschen vermehrt mit dem digitalen Tod. Deswegen gibt es viele neue Geschäftsmodelle oder bestehende werden «disrupted». Ob das pietätlos ist, muss jeder für sich selber entscheiden. Fakt ist, dass mit dem Tod viel Geld verdient werden kann.

Der digitale Nachlassdienst
Das deutsche Unternehmen Columba ist wahrscheinlich der grösste digitale Nachlassdienst im deutschsprachigen Raum. Es bietet verschiedene Dienste rund um den digitalen Nachlass an und stellt eine umfangreiche Datenbank zur Verfügung, die Zugänge zu Unternehmen, Behörden, Plattformen, sozialen Netzwerken und sogar Vereinen ermöglicht. Online-Verträge, Mitgliedschaften, Nutzerkonti und Profile bei sozialen Netzwerken können direkt über die Plattform geschlossen oder gekündigt werden. Mit seiner Systemlösung stellt das Unternehmen zudem sicher, dass Erben- und Datenschutz eingehalten werden. Es übernimmt den vollständigen Abmeldeprozess. Das Unternehmen hat bereits mehrere tausend Bestatter als Kunden.

In der Schweiz gibt es ein ähnliches Angebot von tooyoo.ch. Es handelt sich dabei um eine Plattform, die den Nachlass in allen Phasen begleitet. Gemäss dem Anbieter ist das Nachlassdossier rechtsgültig und wird in der Schweiz gespeichert. Im Dossier können der letzte Wille, Onlinekonten und Passwörter festgehalten und definierten Angehörigen zugänglich gemacht werden.

Digital-Ethik beim Tod
In Japan ist die Verschmelzung von Mensch und Maschine schon weiter fortgeschritten als bei uns in Europa. Beispielsweise können dort Menschen Maschinen heiraten. Der Gedanke daran ist für uns absurd. Doch mit zunehmender Digitalisierung der Menschheit und immer mehr «digital humans» ist es vorstellbar, dass auch in unseren Breitengraden eine solche Verschmelzung weiter fortschreiten wird. Wo kein Gesetz die rechtliche Grundlage bietet, bleibt häufig die Frage nach der Ethik auf der Strecke. Auch im digitalen Zeitalter sollte sich jeder Anbieter über die digitale Ethik Gedanken machen. Inwiefern der letzte Wille einer verstorbenen Person in der heutigen profitorientierten Gesellschaft in einer digitalen Welt berücksichtig wird, kann nur angenommen werden. Fakt ist aber, dass sich jeder der Verantwortung für sein Tun bewusst sein sollte.

Mögliche Vorkehrungen zu Lebzeiten
Um ein ewiges Leben in der digitalen Welt teilweise verhindern zu können, sollte Folgendes beachtet werden:

  • Zu Lebzeiten sollte jede Person für sich entscheiden, was sie ihren Mitmenschen und Nachkommen in der digitalen Welt hinterlassen möchte und was sie moralisch vertreten kann.
  • Alle Zugangsdaten zu digitalen Diensten wie beispielsweise Online-Shops, Bezahldienste, Abonnemente, Messenger-Dienste, E-Mail-Konten und sozialen Netzwerken sammeln und dokumentieren in einer Liste oder in einer Passwort-Manager-Anwendung. Nicht vergessen sollte man auch die Zugangsdaten zu Notebooks, Smartphones, Tablets, Spielkonsolen und Gadgets wie Rasenmäher-Robotern oder anderen IoT-Devices. Dies ermöglicht einem, den Überblick über alle Zugangsdaten zu behalten, und hilft im Todesfall, dass Benutzerkonten gezielt und einfacher gelöscht werden können.
  • Die Sammlung der Passwörter und Zugangsdaten sollte zu Lebzeiten einer Vertrauensperson zugänglich gemacht werden.
  • Generell macht es Sinn, vor dem Tod eine Vertrauensperson für den Nachlasskontakt festzulegen.
  • Über den Umgang mit Daten im Internet sollte man sich frühzeitig Gedanken machen. Jede Aktivität im Internet hinterlässt Spuren. Kostenlose Dienste sind besonders interessiert an den Nutzungsdaten. Man sollte sich daher immer die Frage stellen: Brauche ich diesen Service oder diese Plattform wirklich? Weniger ist oft mehr…
  • Benutzerkonten, die nicht mehr gebraucht werden, sollten gelöscht werden.

Fazit
Gerne erinnern wir uns an gemeinsam mit verstorbenen Mitmenschen Erlebtes. Ob wir uns auch nach dem Tod am digitalen Dasein einer verstorbenen Person erfreuen, sei dahingestellt. Was wir aber zu Lebzeiten selber entscheiden können, ist die Frage, was mit unseren eigenen Daten geschehen soll. Wird nichts unternommen, wird die digitale Identität weiterleben. Widerstrebt einem das, kann man Vorkehrungen treffen, um den Hinterbliebenen die «digitale Beerdigung» zu erleichtern. Grundsätzlich fehlt eine rechtliche Grundlage für den digitalen Tod. Deswegen gibt es keine «Löschung auf Knopfdruck» seiner persönlichen Informationen. Es ist ratsam, alle Zugangsdaten zu den wichtigsten Plattformen und Anwendungen einer hinterbliebenen Person des Vertrauens zu hinterlassen. Nur so können Benutzer-Accounts gezielt gelöscht werden und die verstorbene Person entschwindet auch aus der digitalen Welt.

Möchte man indes «aktiv» im Internet weiterleben, gibt es bereits heute verschiedene Anbieter, die diesen Wunsch erfüllen können. Inwiefern das ethisch vertretbar ist, entscheidet jede und jeder für sich selbst.

Langfristig werden Daten von verstorbenen Personen zu einem Problem werden. Nur sehr wenige Menschen kümmern sich um den digitalen Tod. Deswegen ist anzunehmen, dass bereits heute sehr viele Profile und Benutzerkonten von verstorbenen Personen weiter existieren. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine grosse Datensammlung zu besitzen, die eine schlechte Datenqualität aufweist. So werden auch zukünftig anonymisierte und pseudonymisierte Daten von Verstorbenen in den Systemen weiterleben und langfristig eine gewisse Unschärfe erzeugen. Wie die Provider damit umgehen, lässt sich heute noch nicht abschliessend beurteilen. In den nächsten Jahren wird dieses Thema aber bestimmt noch viel zu reden geben…

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Simon Meier

ehemaliger Head of Information Management bei LK International AG (KJUS)

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