Der Tod kann nicht digitalisiert werden… oder etwa doch?

Memento mori – Sei dir der Sterblichkeit bewusst. Mit dem Tod verschwindet unser analoges Dasein von dieser Welt. Wie aber sieht es mit unseren digital angehäuften Datenspuren aus? Das nachfolgende Erlebnis hat mich aufgerüttelt.

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Es ist ein stark bewölkter Herbstabend im November, kurz vor halb sieben beginnt es zu regnen. Soeben haben wir das «Go» des Flughafen-Towers in Basel erhalten. Von nun an gibt es kein Zurück mehr.

Diese eine Woche Urlaub habe ich zusammen mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern (Shawna, 20 und Lynn, 17) schon gefühlt hundertmal erlebt. Vorfreude auf Sonne, den Sommer noch etwas verlängern und Kraft und Wärme für die kommenden Herbst- und Wintertage tanken. Die Koffer wurden minutiös gepackt, die Reise ist gut geplant.

Und doch ist diesmal alles anders…

Ich fühle mich immer dann sicher, wenn ich soweit wie möglich alles selber organisieren und kontrollieren kann. Tja, das kann ich natürlich bei einer Flugreise vergessen. Genau jetzt wird mir dieses Gefühl der Sicherheit ohne Rücksicht auf meine Befindlichkeit in Sekundenschnelle entrissen. Nun übernehmen die Emotionen die Kontrolle. Kurz gesagt: Ich habe grosse Flugangst!

Als verantwortungsbewusster Familienvater habe ich selbstverständlich immer versucht, die beruhigende Rolle einzunehmen:«Ihr müsst keine Angst haben, statistisch gesehen ist das Flugzeug das sicherste Transportmittel.» Oder: «Wir sitzen ja alle im selben Flieger.» So meine stümperhaften Versuche, mir die Wirklichkeit schönzureden.

Ich realisiere erst jetzt richtig, dass diesmal ein nicht unwesentlicher Teil fehlt – unsere ältere Tochter! Sie hat ihr Studium begonnen, darum sind wir zum ersten Mal nur zu dritt unterwegs.

Die Turbinen heulen auf, es wird laut und ich werde mit grosser Kraft in meinen unbequemen Sitz gedrückt. Die Beschleunigung löst bei mir eine Explosion von Gedanken aus, welche mich während des knapp vier Stunden dauernden Flugs quälend begleiten werden. Erster Gedanke: «Was ist, wenn wir abstürzen?» Zweiter Gedanke: «Wir wären ja heute nicht als ganze Familie betroffen.» Dritter Gedanke: «Was würde dies für Shawna bedeuten?» Schlagartig wird mir bewusst, dass ich für den schlimmsten Fall absolut nicht vorbereitet bin. Ich habe es verpasst, meinen Nachlass zu regeln und fühle mich schlecht. Aber was habe ich denn zu organisieren versäumt?

Digitaler Datenhaufen

Ich mache mir Gedanken über unsere Vergänglichkeit. Was bedeutet der Tod für mich, und noch wichtiger: Was bedeutet er für meine Liebsten?
Unsere hinterbliebene Tochter müsste den Verlust ihrer Eltern und ihrer Schwester bewältigen. Zusätzlich hätte ich ihr noch eine grosse Last auferlegt: die Aufräumarbeit meiner digitalen Daten. Zum Beispiel:

  • Familienfotos
  • Daten zum Geschäft mit meiner Kinder- und Jugendschutz-Software Safesurfing.ch
  • Kryptowährungen
  • Finanzdaten, Bankkonten, Hypotheken
  • Hunderte von Logins für alle erdenklichen Online-Konten

Als langjähriger Leiter der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität beim Bundesamt für Polizei und als IT-Ermittler der Bundesanwaltschaft habe ich einen ausgeprägten Sinn für Sicherheit und Datenschutz entwickelt. So verwalte ich alle wichtigen Daten digital geschützt mit kombinierten Sicherheitsmassnahmen. Das ist für mich alles einfach und klar verständlich – aber wäre es das auch für jemand anderes?

Wir versuchen, Dinge wie Erbe, finanzielle Angelegenheiten, Besitzansprüche usw. zu regeln, oder diese Belange sind gesetzlich geregelt, und Hinterbliebene können organisatorisch und gesetzlich unterstützt werden.

Memento mori: Bist du vorbereitet?

Meine eindeutige Antwort: «Nein –  nicht im digitalen Bereich.»
Ich habe es verpasst, meinen riesigen digitalen Nachlass zu organisieren. Mir wird klar: Ich muss unbedingt sicherstellen, dass Shawna die nötigen Informationen dazu erhält und anhand einer Schritt-für-Schritt-Anleitung alles selbstständig unter Kontrolle bringen kann. Dabei denke ich etwa an Folgendes:

  • PC-Login > Administrator-Login> Verschlüsselter Passwortmanager (Das PW ist nur in meinem Kopf gespeichert), dieser muss zuerst mit dem internen NAS verbunden werden (keine automatische Verbindung und die IP ist nur mir bekannt)  > zentrale lokale Ablage aller digitalen Logins. Ausserdem ist der Passwortmanager mittels 2FA gesichert über einen YubiKey-(Schlüssel: YubiKey ist ein sensationeller «2-factor-authenticator», aber ich trage den Schlüssel bei mir, und es kann kein Duplikat existieren. Wenn ich also nicht mehr bin, wie soll dann der Schlüssel den Besitzer wechseln?!
  • Ich muss eine Anleitung zu meinen verwendeten Tools und Applikationen erstellen, so etwa zu Kryptobörsen und privaten Keys. Alle meine Konten sind mit Multi-Faktor-Authentifizierung via mein Smartphone (durch SMS oder Authenticator) oder den YubiKey verbunden. Es fragt sich bloss: Ist mein Handy im Ernstfall überhaupt noch funktionstüchtig? Mittels Code-Listen könnte alles wiederhergestellt werden, dazu braucht es aber Spezialwissen. Wie soll ich dieses weitergeben?
  • Meine Erfindung SafeSurfing, ein Webcontent-Screening-Filter für den Kinder- und Jugendschutz: Bei welchen Geschäftspartnern habe ich die Server-Infrastrukturen gehostet?  Arbeit, jede Woche werden URLs geprüft und neu dem Filter hinzugefügt. Die Programmierungen und Arbeiten kenne nur ich.

Hast du dein digitales Erbe geregelt? Mach dich jetzt an die Arbeit!

Wir sollten uns bewusstwerden, welche Datenspuren wir hinterlassen und inwiefern wir mitgestalten möchten, was mit unseren digitalen Daten passiert. Meine Meinung ist klar: Nur durch Weitergabe von Wissen sowie aller Zugangsdaten an unsere Nachkommen werden diese in der Lage sein, digitale Erinnerungen zu ihren Gunsten zu erhalten, zu verwalten oder aber auch zu löschen.

PS: Unsere Herbstferien waren wundervoll, eine Woche Sonne, Strand und Meer. Auch den Rückflug konnte ich geniessen, denn ich wusste jetzt, woran ich zu arbeiten hatte. Inzwischen habe ich bereits die ersten Massnahmen getroffen. Es wird aber bis zur Organisation meines vollständigen digitalen Nachlasses noch einige Monate dauern, also «nutze ich den Tag und bleibe auf das Wesentliche fokussiert!

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Roger Küffer

Roger Küffer ist Leiter Informatik der Hotelfachschule Thun und bloggt aus dem Unterricht des CAS Chief Digital Officer

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