Mit Dingen Erzählen 1: von Folterkammern und Mumien

Ich gebe es am besten gleich zu: der Titel charakterisiert die Veranstaltung „mit Dingen erzählen“ des derzeit heimatlosen, weil im Neubau befindlichen, Voralberger Landesmuseum in Bregenz nicht wirklich. Aber er hat sicherlich zum Weiterlesen angeregt und ich beziehe mich ausserdem auf ein Zitat des Leiters des historischen Museums Bern, Jakob Messerli an eben dieser Veranstaltung. Wenn er mit älteren Menschen über sein Museum spricht und fragt, warum sie früher gerne gekommen sind, dann fällt den meissten zuerst die Folterkammer ein. Ähnliches gibt es vom Räthischen Museum in Chur zu berichten. Dort war früher eine Mumie zu sehen gewesen. Irgendwann hat ein neuer Direktor jedoch beschlossen, diese aus der Schausammlung zu entfernen, was zu geharnischten Protesten der Besucher führte. So nebenbei: ich habe gerade herausgefunden (Artikel im Tagesanzeiger), dass genau diese Mumie eine der Hauptinspirationen für die düstere Kunst von H.R. Giger war, welcher für das Design von Alien verantwortlich zeichnet.

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Mit Dingen erzählen: dieser kleine Schnappschuss vor dem Kunsthaus in Bregenz erscheint eher wie eine gewollte Installation denn wie eine zufällige, herbstliche Konstellation. Geschichten entstehen halt noch immer im Auge des Betrachters…

Was sagt uns das und was hat das mit partizipativen Medien zu tun? Es gibt immer wieder Kritik an der Eventkultur, die sich angeblich heutzutage in den Museen breit macht und auch diese Tagung war da keine Ausnahme. Allerdings impliziert das immer auch ein bischen, dass es früher besser war, dass das Museum ein Ort der Aufklärung und humanistischen Bildung war, aus dem die Menschen ein Stückchen weit besser wieder herauskamen. Menschen gehen eben nicht nur ins Museum, um durch das Schöne und Wahre erfreut zu werden, sondern auch um sich zu wundern und zu gruseln über die menschliche Existenz und alles was sie so an Ungeheuerlichkeiten erlebt und vorgebracht hat. Das ist legitim und warum soll ein Museum das nicht bewusst inszenieren und in seine Erzählungen einbauen? Aber und das war ein wichtiger Punkt dieser Tagung, welche Rolle spielt dabei das Objekt? Steht es im Mittelpunkt der Erzählung oder verkommt es zur blosen Illustration? Wird es zum Katalysator für die Erzählungen im Kopf des Besuchers oder zu einem Dogma, welches keinen Widerspruch duldet?

Man wird festellen, dass heutzutage diesbezüglich viel differenzierter vorgegangen wird als früher, zumindest wenn man diese Tagung als Masstab nehmen darf. Einige Vorträge wie der Messerlis oder auch der von Wolfgang Kos vom Wien Museum und der von Felicitas Heimann-Jelinek vom jüdischen Museum in Wien, verdeutlichten, dass Museen früher ganz ungeniert politisch opportune Mythen propagiert haben, wohingegen heute doch vielfach eine differenziertere Auseinandersetzung mit den Exponaten und deren Geschichte stattfindet. Und vor allem wird vermehrt der Besucher einbezogen und zwar nicht nur mittels oberflächlicher Interaktionen. Die Verantwortlichen sehen es mehr und mehr als ihre Aufgabe, zu vermitteln, dass Historie eben nicht eine logische Abfolge linearer Ereignisse ist und dass Kunstwerke eben nicht ein-deutig sind. Das heisst, man bemüht sich, das Museum in einen diskursiven Raum zu verwandeln, in dem auch andere Erzählungen gelten.

Da wird es natürlich unheimlich spannend in Bezug auf soziale Medien? Wie kann man diese Geschichten über soziale Medien weiterspinnen? Wie kann man das Publikum dazu bewegen eigene Ansichten, Deutungen, Geschichten einzubringen? Dabei geht es eben nicht darum, das Objekt zu konkurrenzieren. Im Gegenteil: Wenn ich im Museum bin, will ich eintauchen in die Welt, die mir dargeboten wird. Wenn ich dann wieder zu Hause bin, habe ich die Zeit, mich intensiver mit dem Erlebten zu befassen. Dann kann ich meine eigenen Gedanken formulieren, Texte schreiben, Bilder hochladen etc … Hier sei nochmals auf das Archiv „Wir waren so frei“ zum Mauerfall hingewiesen, das zeigt, was bei solchen Aktionen im besten Fall passieren kann. Diese Form der Reflektion kann während des normalen Museumsbesuches nur sehr bedingt geleistet werden. Somit werden soziale Medien zur Erweiterung des Museums und nicht zu dessen Konkurrenz.

Allerdings kann Besucher-Partizipation auch zu weit gehen. Eine Rednerin wies darauf hin, dass ihre Chefin, die Leiterin eines Kunstmuseums, vor dem Neubau immer wieder das Publikum befragt habe, was es denn im neuen Museum sehen möchte. Die Antwort erstaunt nicht: die Leute wollen das sehen, was sie im alten Museum auch gesehen haben. Ich fühlte mich an einen Vortrag des Choreographen Gideon Obarzane an der See5 Konferenz erinnert. Er hatte einst mit Hilfe eines Marktforschungsunternehmen den Versuch unternommen, eine Choreographie basierend auf Umfragen in der Bevölkerung zu entwickeln. Das war natürlich eine politische Aktion und das Ergebnis künstlerisch höchst fragwürdig. Spannende Kunst, genauso wie spannende Erzählungen, entsteht noch immer aus den Entscheidungen von einzelnen oder wenigen und nicht als Ergebnis der Meinung der Mehrheit. Das Publikum kommt ins Museum, um sich inspirieren zu lassen von den Ideen der Künstler und Kuratoren. Wenn man sie fragt, was sie sehen wollen, dann wird man notgedrungen immer innerhalb des existierenden Horizonts der Besucher bleiben und wenn man dann noch versucht, dies zu akkumulieren, dann hat man am Schluss eben den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es braucht mutige und kompetente Kuratoren, die die Horizonte ihres Publikums gezielt verschieben, die aber gleichzeitig dieses Publikum als einen ernsthaften Gesprächspartner wahrnehmen.

Soweit mein erster Bericht zur Tagung. Es werden weitere Folgen, denn es war eine höchst interessante und inspirierende Veranstaltung!

Hier gehts zu:
Mit Dingen erzählen 1: Von Folterkammern und Mumien
Mit Dingen erzählen 2: Zur Bilderzähltheorie im Sammlungskontext
Mit Dingen erzählen 3: Wie erzähle ich eine Ausstellung
Mit Dingen erzählen 4: Möglichkeiten und Grenzen der Narration


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