Mit Dingen erzählen 2: zur Bilderzähltheorie im Sammlungskontext

Hier mein zweiter Artikel zur Tagung „Mit Dingen erzählen: die Schausammlung“ in Bregenz.

Museen so, Michael Fehr, Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der UDK Berlin, setzen in der Vermittlung von Wissen oft viel zu sehr auf zeitbasierte Medien. Zeitbasiert bedeutet in diesem Falle vor allem Text. Auch digital aufbereitete Information wie wir sie im Internet finden, so Fehr, folgt zumeisst der zeitbasierten Textlogik. Die chronologische Abfolge von Informationen gibt ein klares Interpretationsraster vor und das Objekt verkommt dadurch, so Fehr, zu einem „Statisten der Medieninstallation“, die dem Betrachter kaum Raum zu eigenen Überlegungen lässt. Er plädiert dafür, den Besucher wieder die Möglichkeit zu geben sich eigenständig mit den Ausstellungsobjekten auseinander zu setzen. Er möchte, dass Museen nicht über Objekte informieren, sondern „die Bedingungen des Wahrnehmens offenlegen“. Objekte sollen nicht statisch und beziehungslos nebeneinander gestellt werden, sondern sie sollen miteinander kommunizieren. Der Weg dorthin führt gemäss Fehr über die verstärkte Nutzung der Erzählmöglichkeiten von Bildsprache. Bildsprache oganisiert Ereignisse mehrschichtig und wird dadurch komplexer als zeitbasierte Medien und bietet somit auch mehr Freiraum für die Interpretation, so Fehr weiter.

Zur Erläuterung der Möglichkeiten bildsprachlicher Erzählweisen gibt Fehr einen Einblick in die wichtigsten Erzählstrukturen der europäischen (Bild-)Kunst. Ich werde hier etwas vereinfachen und seine fünf Erzählformen auf die drei ursprünglichen Bilderzählformen von Wickhoff reduzieren, die in diesem Artikel zum Comic des Mittelalters im übrigen nochmals sehr schön erläutert werden.

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Michael Fehr, Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der UDK Berlin erkärt, wie Dramaturgien entstehen, indem Objekte räumlich in Beziehung gesetzt werden.

1. Kontinuierender Stil
Dieser Stil, bekannt durch Objekte wir die Trajansäule oder auch verschiedene mittelalterliche Wandteppiche, fügt ein Bild an das andere, wobei sich jedes Bild auf das vorherige bezieht. Damit hat der kontinuierende Stil sehr viel Ähnlichkeit mit wortsprachlichen Texten, es sind jedoch immer mehrere Bilder gleichzeitig überschaubar.

2. Komplettierender Stil
Bei dieser Darstellungsart werden auch mehrere Ereignisse nebeneinander simultan abgeblidet, sie sollen aber auch als Ganzes gleich-zeitig erfasst und verstanden werden. Als Beispiel hierfür kann man sogenannte Doomesday-(Jüngster Tag) Gemälde zitieren, die sowohl die Verdammnis, das Fegefeuer, die Auferstehung als auch den Aufstieg in den Himmel zeigen.

3. Distinguierender Stil
Bilder die jeweils einen prägnanten Moment eines Ereignisses darstellen, werden nebeneinander gestellt. Die Bilder werden oft in einzelne Panels unterteilt. Hierbei ist keine keine sukzessive Lesform notwendig. Zumeisst ist eine Einheit des Ortes und der Zeit gegeben, aber nicht eine Einheit der Handlung. Fehr unterscheidet hier nochmals die dialektische Erzählstruktur, in der die Einzelbidler nicht zeitlich organisiert sind, sondern thematisch.

Wie nun kann dieses Modell hilfreich sein, bei der Organisation von Ausstellungen? Ich bin mir nicht sicher, ob Fehr diese Frage wirklich beantwortet hat. Er hat jedoch darauf verwiesen, dass die Art und Weise, wie Objekte angeordnet werden, einen ganz starken Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Objekte hat. Wenn Objekte gezielt in räumliche Beziehung zueinander gestellt werden, so fängt der Betrachter an, diese Beziehungen zu deuten. Fehr zeigte dies auch an einfachen Beispielen: Einer knieenden Soldatenfigur mit angelegtem Gewehr wird eine andere Figur gegenüber gestellt. Die andere Figur wird somit automatisch zum Ziel. Steht die andere Figur hinter dem Schützen, so wird sie zum Befehlshaber.

Hier jedoch setzt meine Kritik an Fehrs Modell an: Alle seine Beispiele, sowohl in Bildern als auch mit Figuren, stellten in irgendeiner Form Menschen dar. Der Betrachter überträgt automatisch seine Kenntnisse von menschlichen Handlungen und Verhaltensweisen auf diese Objekte. Zum einen kann das zu eher peinlichen Missverständnissen führen und zum anderen stellt sich die Frage, was tun, wenn die Objekte für Antropomorphisierungen nur schwer herhalten? Was, wenn ich zwei Vasen, ein paar Brocken Gestein und ein paar Fibeln und sonstige Schmuckstücke anordnen muss? Die Antwort könnte lauten: Vielleicht muss man dann eben diese Objekte wieder in Beziehung zum Menschen bringen, in dem man Darstellungen und Skulpturen benutzt, wie das Harald Meller vom Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle in seinem Vortrag so hervorragend gezeigt hat (Bericht folgt). Aber auch da gilt es aufzupassen, dass man nicht in banale szenische Darstellungen der Nutzung dieser Objekte abrutscht, die in ihrer Ein-Deutigkeit noch um ein Vielfaches einschränkender sind als ein Text.

Natürlich gäbe es auch noch einiges zu disktuieren, was es an Voraussetzungen beim Betrachter braucht. Inwieweit sind allfällige Interpretationen kulturspezifisch codiert? Im europäischen Kulturraum, in dem von links nach rechts gelesen wird, wird ein Gesicht, wenn es  vom Betrachter aus nach rechts aus dem Bild schaut, als in die Zukunft schauend interpretiert. Wen es nach links schaut, macht dies einen rückwärtsgewandten Eindruck. Ist dies in Kulturen, die von links nach rechts oder von oben nach unten schreiben identisch?

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Noch ein Schnappschuss aus dem Kunsthaus Bregenz. Selbst die Anordnung von Stühlen kann etwas erzählen.

Abschliessend zu diesem Thema noch ein Zitat von Godard aus einem Interview in der Neuen Züricher Zeitung (07.11.2010): „Das Filmemachen beginnt mit der Montage. … Während Sie hier sprechen, stehen auf dem Tisch eine Kaffetasse, ein Glas und ein Löffel. Das ergibt keine Geschichte, erst wenn ich die Gegenstände verschiebe, zueinander in Beziehung setze, resultiert eine Dramaturgie.“

Nun wollte ich eigentlich noch einen weiteren Vortrag zur Erzähltheorie in diesem Artikel abhandeln, aber das wird zu viel. Die Veranstaltung „Mit Dingen erzählen“ bot einfach so viel interessantes Material, dass ich meine Berichterstattung etwas ausdehnen werde. Das Erzählen scheint derzeit sowieso zu boomen. Auch die stART Conference 2011 stellt übrigens digitales Storytelling in den Mittelpunkt!

Hier gehts zu:
Mit Dingen erzählen 1: Von Folterkammern und Mumien
Mit Dingen erzählen 2: Zur Bilderzähltheorie im Sammlungskontext
Mit Dingen erzählen 3: Wie erzähle ich eine Ausstellung
Mit Dingen erzählen 4: Möglichkeiten und Grenzen der Narration


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