In der heutigen schnelllebigen Technologielandschaft wuchern IT-Systeme oft unkontrolliert und bilden einen kostspieligen «Urwald». Rein technische Architekturstandards greifen hier zu kurz, da sie die Menschen, die damit arbeiten, ignorieren. Ein sozio-technischer Ansatz, der Mensch, Organisation und Technologie als Einheit begreift, verspricht Abhilfe.
Die IT-Landschaft des Unternehmens gleicht einem Dschungel. Jahrelang sind unzählige Systeme, Anwendungen und «Tools» – teils gar zueinander redundant – unkoordiniert gewachsen und bilden heute eine heterogene Polykultur, deren Wartung und Betrieb exorbitante Kosten verursachen. Um dieses Chaos zu bändigen, setzen viele Organisationen auf Enterprise-Architekturstandards. Doch allzu oft scheitern diese gut gemeinten und visionären Initiativen. Der Grund: Sie fokussieren sich rein auf die technischen Aspekte und übersehen dabei den entscheidenden Faktor: den Menschen.
Ein am Schreibtisch entworfener Standard, über die Köpfe der Mitarbeitenden eingeführt, ist zum Scheitern verurteilt. Denn: Die soziale Dimension einer Organisation – ihre Kultur, interne Kommunikation und die Fähigkeiten der Menschen darin – wurde ignoriert. Reibungsverluste und Akzeptanzprobleme sind die Folge. Auch die schönste Architektur ist nutzlos, wenn die Menschen nicht damit arbeiten können – oder wollen. Ein Paradigmenwechsel ist gefragt!
Das Unternehmen als sozio-technisches System
Statt das Unternehmen als ein rein technisches System zu betrachten, unterstützt der weitaus holistischere Ansatz des sozio-technischen Systems (siehe auch: [1]) bei diesem Paradigmenwechsel. Dieser begreift eine Organisation nicht als Ansammlung isolierter, technischer Komponenten, sondern als ein integriertes Ganzes aus Mensch, Organisation und Technologie. Anstelle der getrennten Optimierung einzelner Komponenten zielt dieser Ansatz auf eine gemeinsame, ausgewogene Optimierung des Gesamtsystems ab – zu welchem auch das durchaus eigenartige Teilsystem der Mitarbeitenden zählt. Eine Symbiose aus technischer Entwicklung und menschlichen sowie organisatorischen Bedürfnissen ist dabei das Ziel.
Praktisches Modell zur Standardisierung
Um diese Symbiose in allen Standardisierungsthemen der Enterprise Architektur zu berücksichtigen, hilft ein Modell, entlang welchem sich die Standards entwickeln dürfen. Somit ist der Blick für jedes Thema stets auf den holistischen Ansatz des sozio-technischen Systems gerichtet und hilft dadurch, alle relevanten Aspekte des Unternehmens-Systems auf seinen sieben Ebenen zu berücksichtigen. Nur so sind umfassende Architekturstandards möglich, die weit über reine Technik hinausgehen.

(Illustration: Zusammengestellt aus [1], erstellt durch Autor in PGF/TikZ)
System Context
Wer nutzt das System von aussen? Hier werden Bedürfnisse Dritter definiert. Diese können je nach System durch Kunden, Bürger, Partner, Lieferanten oder auch durch über Schnittstellen angebundene Umsysteme sein.
System Properties
Wie wird mit dem System interagiert? Dies umfasst alle Schnittstellen, von einer grafischen Benutzeroberfläche bis hin zur Programmierschnittstelle. Ziel: Eine konsistente und standardisierbare User Experience sowie maximale Interoperabilität.
Processes
Was passiert in diesem System? Welche Abläufe existieren? Die Standardisierung von Prozessen – sowohl manuelle als auch automatisierte – und die Darstellung innerer Vorgängen sorgen für Transparenz, Effizienz und Verständnis des Gesamtkontexts.
People
Wer arbeitet an und in diesem System mit? Welche personellen Ressourcen und Kompetenzen werden dafür benötigt? Dies beschreibt nicht nur die für Unterhalt, Wartung und Betrieb benötigten Spezialisten, sondern auch all jene, welche dieses System im Arbeitsalltag einsetzen.
Applications
Welche Software kommt zum Einsatz? Hier wird es technisch: Um Redundanzen zu vermeiden werden hier alle darin und dafür genutzten Applikationen, Services und Tools katalogisiert.
Data
Wie werden Daten verwaltet? Welche Daten werden verwendet und wo sind diese in welchem Format gespeichert? Prinzipien wie «Once Only» werden hier ebenso geregelt wie Zugriffsregelungen.
Technology
Was ist das technische Fundament? Diese Ebene legt die Basis-Infrastruktur fest, von Betriebssystemen über Netzwerkzonen bis hin zu Container-Plattformen. «IT-Architektur» wird gerne mit dieser Ebene in Verbindung gebracht, doch sie ist nur eine von sieben.
Fazit: Architektur, die angenommen wird
Die Betrachtung des Unternehmens als sozio-technisches System ist der Schlüssel zu einer zukunftsfähigen IT-Landschaft. Indem das komplexe Zusammenspiel von Mensch, Organisation und Technik (siehe auch: [2]) in den Mittelpunkt rückt, lassen sich Architekturen erschaffen, die nicht nur funktionieren, sondern von den Menschen angenommen und getragen werden. Das Ergebnis sind effizientere Prozesse, bessere IT-Investitionen und eine höhere Agilität der Organisation für zukünftige Herausforderungen.
Quellen
[1] Arnold, I. (2022). Enterprise architecture function: A pattern language for planning, design and execution. Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-84589-6
[2] Bernard, S. (2020). An Introduction to Holistic Enterprise Architecture: Fourth Edition. Author-House.
Titelbild erstellt mit KI (manus.im).
