Was mich Amazon über Datenkultur gelehrt hat

Dein Unternehmen sitzt auf einer Datenmine

„Your company is sitting on a data mine. It’s just that some data analytics need to be built.“
— Aus einer alten E-Mail meines Amazon-Kontakts

Diese Worte trafen mich damals wie ein Weckruf. Wir diskutierten, wie wir die logistischen Einspeisepunkte für Schweizer Amazon Sendungen so gestalten könnten, dass sie schneller und günstiger zugestellt werden. Wenige Stunden später kam eine Mail: Keine Präsentation, kein Erklärtext – nur eine Schweizer Karte mit Sendungsdichten und eine Tabelle. Abgangsorte, PLZ-Gebiete, Einspeiseorte, Volumen, Gewichtungen.

Ich erinnere mich, wie ich dachte: Das ist mehr als operative Exzellenz. Das ist Strategie in Datenform.

Daten zuerst – Struktur vor Zuständigkeit

Während viele Unternehmen zuerst Prozesse aufzeichnen und dann überlegen, was sie messen könnten, kehrt Amazon das Prinzip um:
Messen. Verstehen. Entscheiden.

Das ist der Kern des Prinzips „Working Backwards“ – man beginnt beim idealen Ergebnis und fragt sich: Welche Daten führen mich dorthin?

Was ich damals begriff

Ich begann zu verstehen, was echte Datenkultur bedeutet. Amazon nutzt Daten nicht zur Kontrolle, sondern zur Navigation.

Daten als Kompass, nicht als Kontrollinstrument.

Ich erlebte, wie bei Amazon morgens bereits Dashboards mit frischen Analysen vorlagen, während wir  noch versuchten, Excel-Reports aus verschiedenen Systemen für Wochen- und Monatsreports zusammenzubauen. Bei Amazon startete der Tag mit Rückfragen, Entscheidungen und operativen Anpassungen – immer auf Basis der neuesten Daten.

Der Unterschied war kein Vorwurf, sondern ein Spiegel:
Amazon entschied, sobald Daten verfügbar waren. Wir warteten, bis sie „perfekt“ aufbereitet waren.

Das ist kein Tool-Vergleich – es ist eine Haltung.

Datenkultur ≠ Datenanalyse

Datenanalyse heisst: Rückblickend verstehen.
Datenkultur heißt: In Bewegung bleiben, während man versteht.

Amazon vertraut auf Geschwindigkeit. Entscheidungen sind dort reversibel („Two-Way-Door Decisions“), also trifft man sie schnell – und lernt dann aus den Ergebnissen.

Was Amazon wirklich ausmacht

  1. Daten als Entscheidungskriterium

Ideen werden nicht „nach Gefühl“ umgesetzt. Jede Initiative braucht messbare Wirkung. Als wir über dedizierte späte Einspeisungen sprachen, kamen sofort Fragen:

  • Wie viele Minuten sparen wir?
  • Wie viel günstiger wird es pro Paket, wenn wir vorsortieren ?

Was zählt, ist nicht der Wunsch, sondern der Nachweis. Amazon verwendet Mechanisms – wiederholbare Prozesse, die sicherstellen, dass Entscheidungen skalierbar und datenbasiert bleiben.

  1. Transparenz schlägt Titel

Ich habe erlebt, wie ein Program Manager mit einem simplen Modell ein Projekt stoppte – weil seine Zahlen überzeugender waren als jede PowerPoint eines Directors.
Gute Daten schlagen Seniorität.

Statt Folien nutzt Amazon sogenannte Narratives – sechsseitige Textdokumente. Kein Platz für Buzzwords – nur logisches Denken, strukturiert argumentiert.

  1. Kundenzentrierung ist messbar

„Working Backwards“ beginnt mit der Frage:
Was würde der Kunde spüren, wenn wir das implementieren?

Diese Denkweise durchzieht alles – sogar die Logistik. Ein Zustellfenster wird nicht angepasst, weil es intern effizienter ist, sondern weil es die Kundenerfahrung verbessert.

  1. Lernen schlägt Perfektion

Ich erinnere mich, wie Amazon neue Carrier in der Schweiz testete. Für uns wäre das ein sechsmonatiges Planungsprojekt geworden. Amazon?
Test. Measure. Learn.

Fehler galten nicht als Scheitern, sondern als Datenpunkte auf dem Weg zur Optimierung.

Was wir daraus lernen können

Wir haben exzellente Daten – wir nutzen sie nur zu selten im Moment der Entscheidung.
Wir planen, prüfen, analysieren – Amazon entscheidet und lernt dann.

Das ist kein Technik-, sondern ein Kulturthema.

Wenn wir beginnen, Daten als Dialogpartner zu begreifen – nicht als Kontrollwerkzeug – eröffnen sich neue Möglichkeiten:

  • Mut zur Transparenz
  • Effizientere Prozesse
  • Bessere Kundenerlebnisse
  • Und vielleicht: Mehr Freude am Experimentieren

Mein persönliches Fazit

Amazon hat mir gezeigt: Datenkultur ist nicht kalt – sie ist ehrlich.
Sie zwingt dich hinzusehen, auch wenn es unbequem wird.

Aber genau da beginnt Fortschritt.

Erfolgreiche Teams arbeiten nicht auf Perfektion hin, sondern auf Lernkurven. Sie beobachten, hinterfragen, passen an. Immer wieder.

Daten sind kein Orakel – sie sind ein Spiegel.
Sie zeigen, was ist – nicht, was du hören willst.

Unternehmen, die diesen Spiegel ohne Angst nutzen, gewinnen Vertrauen, Geschwindigkeit und Klarheit. Vielleicht ist genau das Amazons wahres Erfolgsgeheimnis. Und der Grund, warum ich Daten heute mit anderen Augen sehe.

 

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Ahmet Gömleksiz

Ahmet Gömleksiz ist Strategic Account Manager bei der Schweizerischen Post, Logistik Services und bloggt aus dem CAS Business Intelligence & Analytics.

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