Spätestens seit der Invasion russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 rückte die Herkunft von Erdgas in den Fokus der Schweiz und ganz Europa. Könnte die Blockchain-Technologie die Herkunftsnachweise bei Erdgas/Biogas revolutionieren und die Unabhängigkeit von russischem Erdgas beschleunigen?
Erdgas wird heute über internationale Importverträge und sogenannte Termin- und Spotmärkte gehandelt. Europa und damit auch die Schweiz sind abhängig von russischem Erdgas, da es nur in wenigen Ländern gefördert wird. Der Nachweis, aus welchem Land das Erdgas stammt, ist schwierig und intransparent. Im Versorgungsgebiet der Energie 360° AG (Stadt Zürich und umliegende Gemeinden) beträgt der Anteil an russischem Erdgas zum Beispiel rund 40% – und dies, obwohl die Energie 360° AG keine direkten Lieferverträge mit Russland hat. Hier kommt die Blockchain ins Spiel:
Die Blockchain-Technologie eignet sich nicht nur für Kryptowährungen. Durch die dezentrale, unabhängige Speicherung und Verifizierung der Daten, Transparenz und die entsprechende Sicherheit vor Manipulationen eignet sich die Blockchain hervorragend für Herkunftsnachweise. Die Blockchain ermöglicht es, ohne zentrale Kontrollstellen, Behörden oder Institutionen die Herkunft von Erdgas mit höchster Sicherheit und Vertrauen vom Produzenten bis zum Endverbraucher nachzuweisen.
Herkunftsnachweise
Herkunftsnachweise sind auch in anderen Branchen ein Thema, zum Beispiel in der Nahrungsmittel-Industrie. Bubba Cook, WWF Pacific, erklärt in einem Video des World Economic Forum anhand von Thunfischen, welches Potenzial die Blockchain für eine nachhaltige Fischerei bietet. Das Video gibt’s hier zum nachschauen (auf Englisch):
Ein Thunfisch hat ja nun grundsätzlich nichts mit Erdgas zu tun (ausser die Essensreste landen am Ende in einer Biogas-Anlage, aber dazu gleich unten), zeigt die Wichtigkeit einer nachweisbaren Herkunft und die Möglichkeiten der Blockchain in diesem Gebiet aber exemplarisch auf. Beim Erdgas gibt es heute noch keine vergleichbaren Projekte und der Nachweis alleine löst auch das Abhängigkeits-Problem von Russland kurzfristig nicht. Eine andere Möglichkeit ist klimaneutrales Biogas, welches erneuerbar ist und zudem die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert.
Biogas mit Blockchain-Technologie
Das Gasnetz in Europa ist ein einziges, riesengrosses und zusammenhängendes Netz, welches unter anderem auch von Russland über die Pipeline Nordstream 1 versorgt wird. Das heisst, jede Menge an lokal produziertem und eingespeistem Biogas ersetzt Erdgasmengen, die ansonsten über Nordstream 1 ins Gasnetz gelangen würden. Biogas wird ins gleiche Leitungsnetz eingespeist und substituiert Erdgas. Je mehr Biogas vorhanden ist, desto weniger muss auf fossiles Erdgas zurückgegriffen werden.
Biogas kann lokal und grundsätzlich überall wo Abfälle aus Grüngut, Essensresten aber auch Kläranlagen in genügenden Mengen vorhanden sind hergestellt werden. Heute wird der Handel von Biogas und vor allem der ökologische Mehrwert mit Registern und Zertifikaten abgewickelt. Dies führt oft zu hohem administrativem Aufwand, länderübergreifend unterschiedlichen Gesetzen und Regulierungen und entsprechendem Aufwand und Kosten.
Über die Blockchain könnte jede produzierte Kilowattstunde von der Herstellung bis zum Verbrauch völlig transparent und schnell verfolgt werden. Dies hat auch die EU erkannt und bereits 2015 das Projekt «BIOSURF» gestartet. «BIOSURF» ist ein EU-gefördertes Projekt im Rahmen des Horizon 2020 Programms. Im D3.6 Proposal for the establishment of national and European biomethane certificate trading platforms (Attila Kovacs et al., 2017, S. 49-70) wird ab Kapitel 3.3 evaluiert, wie die Blockchain-Technologie konkret eingesetzt werden kann. Aus meiner Sicht ein spannender Ansatz, auch wenn im konkreten Fall die Blockchain-Technologie nur als „add on“ zu den bestehenden Registrierungsprozessen angewendet werden soll.
Es zeichnet sich aber noch ein weiter Weg ab, bis die Blockchain im Gasmarkt eingesetzt werden kann.