Wie ich das Zettelkasten-Prinzip als Werkzeug für Lernen und als Wissensmanagement entdeckt und angewendet habe.
Wissen festzuhalten ist einfach, das weiss jeder. Ich selbst habe mein ganzes Leben lang auf Kärtchen, A4-Blättern, in Word, Wikis, Trello und OneNote Wissen dokumentiert, manchmal gut strukturiert und manchmal eher chaotisch. Dabei wurde mir immer wieder klar, dass die wahre Herausforderung nicht im Schreiben liegt, sondern darin, dieses Wissen später wiederzufinden und mit anderen Wissensschnipseln zu verbinden.
Schon bevor das CAS Enterprise Architektur an der HSLU begann, stand ich erneut vor dieser Herausforderung, das kommende Wissen später sinnvoll vernetzen zu können. Auf der Suche nach einer passenden Methode bin ich auf einen Ansatz gestossen, der mein Verständnis von Wissenstransfer grundlegend verändert hat und den ich nun im CAS anwende. Gleichzeitig ziehe ich in Betracht, diesen Ansatz auch auf der Geschäftsstelle als neuen Standard zu etablieren.
Der Ausgangspunkt: Fragmentiertes Wissen im Unternehmensalltag
Seit Jahren beobachte ich dasselbe Muster: Wissen liegt in Silos.
Werkzeuge wie Teams und OneNote erleichtern zwar den Austausch über Abteilungen hinweg und auch mit externen Partnern, fördern jedoch gleichzeitig eine lineare, statische Wissensstruktur. Von der GL bis hin zu einzelnen Mitarbeitenden speichern alle ihre Notizen in Word-Dokumenten, PowerPoint-Folien, PDFs oder OneNote-Seiten, die über unzählige Teams-Ordner verstreut sind und beim Mitarbeitendenwechsel verloren gehen.
Das Problem liegt auf der Hand:
Selbst wenn die Information vorhanden ist, bleibt es schwer auffindbar und ist nicht miteinander verbunden. Das Wissen ist fragmentiert. Lernen über die Organisation hinweg bleibt punktuell statt systemisch. Oft weiss nur die Person, die den Inhalt erstellt hat, wo zum Beispiel eine bestimmte Anleitung überhaupt abgelegt wurde.
Die kybernetische Perspektive: Wissen als lebendes System
Noch vor Beginn meines Studiums habe ich auf Empfehlung der HSLU das Buch The Cybernetic Enterprise von Romano Roth gelesen. Dieses Buch hat mein Verständnis von Lernen und Wissen stark beeinflusst. Romano beschreibt Architektur nicht nur als Struktur, sondern als System von Beziehungen. Er versteht darunter ein Netzwerk von Elementen, das sich permanent an die Umwelt anpasst und dadurch an Intelligenz gewinnt. Sein Buch lebt von diesen Verbindungen und den Prinzipien, die daraus abgeleitet werden.
Romano Roth schreibt:
«Das kybernetische Unternehmen ist dann erfolgreich, wenn Lernen nicht nur eine Nebensache, sondern ein grundlegendes Betriebsprinzip ist.»
Diese Aussage löste bei mir eine zentrale Frage aus:
Wie kann ich Wissen so organisieren, dass es nicht nur gespeichert, sondern aktiv verknüpft und weiterentwickelt wird?
Zettelkasten als Denk-Werkzeug
Nachdem ich verstanden hatte, dass Wissen ein lebendes, vernetztes System ist, suchte ich nach einem Werkzeug, das dieses Prinzip unterstützt. Dabei stiess ich auf die Zettelkasten-Methode, die vom deutschen Soziologen Niklas Luhmann entwickelt wurde. Ein Zettelkasten ist ein System aus vielen kleinen, einzelnen Wissenseinheiten („Zettel“), die über Verlinkungen miteinander verbunden sind und so ein wachsendes Wissensnetzwerk bilden.Parallel dazu fand ich ein digitales Werkzeug, das diese Methode umsetzt: Obsidian, ein Open-Source-Tool zur vernetzten Wissensorganisation. Es gibt auch andere Anwendungen, die Ähnliches können, aber in meinem Fall konzentriere ich mich auf Obsidian.
Im Gegensatz zu klassischen Notiz-Apps folgt Obsidian dem Zettelkasten-Prinzip. Jede Notiz steht für eine eigenständige Idee, und jede dieser Ideen kann miteinander verknüpft werden. So entsteht ein Netzwerk statt eines Ordnerbaums. Diese Verknüpfungen entstehen durch Links, Tags und Graph-Verbindungen zwischen einzelnen Notizen. Zusätzlich lassen sich Bilder, Videos oder andere Dokumente einbinden, und es gibt eine grosse Auswahl kostenloser Erweiterungen aus der Community. Eine der stärksten Funktionen ist die Suche. Die Suchfunktion zeigt nicht nur alle Notizen, die ein bestimmtes Wort enthalten, sondern auch jene, die mit dieser Notiz verlinkt sind. Dadurch werden Zusammenhänge sichtbar, die man sonst gar nicht bemerken würde.
Vernetztes Denken als Lernstrategie im CAS Enterprise Architektur
Ich habe begonnen, diese Methode aktiv auszuprobieren, indem ich das Buch The Cybernetic Enterprise von Romano Roth in diese Wissensstruktur übertragen habe. Als der CAS-Unterricht begann, habe ich die Methode auch dort angewendet. Dabei habe ich schnell gemerkt, wie stark sich mein Lernprozess verändert hat, weil ich die AE-Prinzipien und AE-Praktiken aus dem Unterricht miteinander verbinden konnte.
Ein Beispiel aus dem Buch The Cybernetic Enterprise, Abschnitt Lernkultur:
Romano Roth schreibt:
«Diese Praxis setzt die Prinzipien Wachstumsdenken, Lernen vor Fehlern und Prinzipien vor Prozess um.»
Mit dieser Methode konnte ich das Wort Lernkultur mit den Begriffen:
- Wachstumsdenken
- Lernen vor Fehlern
- Prinzipien vor Prozess
direkt miteinander verknüpfen und anschliessend mit weiterführenden Konzepten, Methoden und Frameworks ergänzen. Durch diesen Prozess wurden die theoretischen Inhalte plötzlich greifbar, verständlich und vor allem vernetzt.
Genauso gehe ich im CAS vor, indem ich Folien, Begriffe und Aussagen aus dem Unterricht aufschreibe und sie bewusst miteinander verlinke. Ich bin überzeugt, dass durch diese bewusste Verknüpfung auch im Gehirn neue synaptische Verbindungen entstehen. Die Methode hilft nicht nur beim Dokumentieren, sondern auch beim Verinnerlichen und Verstehen.

Das organisatorische Problem: Wissen bleibt verteilt
Je länger ich mit der Zettelkasten-Methode gearbeitet habe, desto klarer wurde mir: Diese Methode funktioniert nicht nur für mich, sie könnte auch für mein Unternehmen einen enormen Mehrwert bringen.
In der Enterprise Architektur ist Wissen zwar keine eigene Capability, aber es ist eine wichtige Grundlage für Fähigkeiten wie Wissensmanagement, Lernen oder Entscheidungsunterstützung. Wenn Wissen über PowerPoints, PDFs oder OneNote-Dateien verstreut ist, entsteht kein gemeinsames Verständnis und damit auch kein gemeinsames Handeln.
Dies wurde mir erst kürzlich bewusst, als ich eine Anleitung für Intune suchte, von der ich wusste, dass ich sie irgendwann in OneNote dokumentiert hatte. Ich wusste aber nicht mehr, in welchem Team oder Abschnitt sie lag. Nach sehr langer Suche habe ich sie gefunden und sofort als Notiz in Obsidian erfasst und mit Intune und Windows Autopilot verknüpft. Genau solche Situationen passieren im Arbeitsalltag ständig und genau dort wurde mir klar, wie viel Zeit wir verlieren, weil Wissen verteilt statt vernetzt ist.
Der Aufbau einer vernetzten Unternehmens-Vault
Aus diesem Grund habe ich begonnen, mein Wissen im Unternehmen in einer Vault aufzubauen. Eine Vault ist ein zentraler Ordner, in dem alle Notizen miteinander verknüpft werden. Diese Vault liegt bei uns im SharePoint und wird von mir laufend erweitert. Diese Wissens-Vault darf durchaus chaotisch aussehen, ist jedoch durch die Verlinkungen immer verbunden und wird sich durch die Beiträge anderer Mitarbeitenden stetig verbessern und weiterentwickeln. So würde Schritt für Schritt ein lebendes Unternehmensgedächtnis entstehen.
Die strategische Perspektive: KI und Strategic Knowledge Layer
Ich kann mir vorstellen, dass es richtig spannend wird, wenn man eine solche Wissens-Vault mit KI verbindet. Um nur ein paar Ideen zu nennen: KI könnte lange Obsidian-Notizen zusammenfassen, aus Anleitungen Kernaussagen extrahieren, Zusammenhänge sichtbar machen, die man selbst nicht mehr im Kopf hat und fehlende Verbindungen oder Lücken erkennen. Damit würde Wissen nicht nur gespeichert, sondern aktiv genutzt und könnte in Echtzeit in strategische Entscheidungen einfliessen. Aus architektonischer Sicht entsteht so etwas wie eine Strategic Knowledge Layer: Ein vernetztes Modell aus Erfahrungen, Prinzipien, Prozessen und Systemen, das dem Unternehmen hilft, Muster zu erkennen, schneller zu lernen und bewusster zu steuern. Genau dieses Zusammenspiel beschreibt unter anderem Romano Roth in seinem Buch.
Fazit: Vernetztes Wissen schafft echten Mehrwert
Seit ich mit Obsidian arbeite, hat sich mein Umgang mit Wissen deutlich verändert. Was vorher über viele Ordner verteilt war, ist heute an einem Ort verknüpft und für mich viel schneller greifbar. Ich merke, dass ich Inhalte besser verstehe, weil ich sie aktiv miteinander verbinde und mir so selbst ein Bild aufbaue.
Ich bin überzeugt, dass auch für Unternehmen eine vernetzte Wissens-Vault einen grossen Vorteil bietet, weil Zusammenhänge sichtbarer werden und Wissen auffindbar bleibt. Wenn man das später noch mit KI kombiniert, entstehen Möglichkeiten, die wir heute wahrscheinlich noch gar nicht vollständig überblicken können.
Quellen
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Roth, Romano (2025). The Cybernetic Enterprise – How to Build a Future-Ready Organization. Preview Edition. Leanpub.
Online verfügbar unter: https://leanpub.com/CyberneticEnterprise - Niklas-Luhmann-Archiv (o. J.). Zettelkasten – Online-Edition. Zuletzt abgerufen im Oktober 2025 unter:
https://niklas-luhmann-archiv.de/nachlass/zettelkasten
