Keine Liebe auf den ersten Klick: Kulturhaus & IT-Governance

Was in vielen Branchen bereits zum Standard gehört, wird in Kulturbetrieben oft vernachlässigt: IT-Governance. Dabei ist sie essenziell, um die Handlungsfähigkeit langfristig zu sichern. Ein Erfahrungsbericht aus dem Luzerner Jugendkulturhaus zeigt, warum digitale Strukturen auch in der Subkultur notwendig sind und wie deren Aufbau trotz knapper Ressourcen gelingen kann.


Zwischen Improvisation und IT-Kollaps
Im Luzerner Jugendkulturhaus Treibhaus gestalten Jugendliche selbstständig Veranstaltungen. Von Punkkonzerten über Techno Partys bis hin zu queeren Filmabenden. Dahinter steckt ein kleines Betriebsteam mit viel Engagement und wenig Ressourcen. Und wie in vielen Kulturhäusern gilt: Die IT ist mitgewachsen, aber nie richtig mitgeplant worden.

Es gibt verschiedene Cloudspeicher, drei Ticketingsysteme, ein ausländisches Organisations- und Buchungstool, eine Dropbox und eine Passwortdatenbank mit alten Passwörtern. Passwörter sind of in den Köpfen der Mitarbeitenden gespeichert, Datenschutzbestimmungen sind mehr oder weniger inexistenz und wenn jemand das Haus verlässt, geht oft auch IT-Wissen verloren.

Das Luzerner Jugendkulturhaus ist nicht allein: Viele Kulturbetriebe befinden sich in einer ähnlichen Lage. Jahrzehntelanges Improvisieren hat Spuren hinterlassen. Die Digitalisierung wurde häufig projektbasiert und ohne übergreifende Strategie umgesetzt. Spätestens nach der Absolvierung des CAS IT-Management & Agile Transformation wird deutlich: Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Meist gibt es keine IT-Verantwortliche im Haus. Stattdessen kümmert sich «die Kollegin, die sich ein bisschen auskennt» oder jemand aus dem Vorstand. Die Überforderung kommt schnell: Wo soll bloss angefangen werden? Doch nicht zu handeln ist auch keine Lösung. Denn ohne Überblick wird jeder Absturz, jedes Geräteproblem, jeder Wechsel zur Belastungsprobe. Gleichzeitig steigen Anforderungen von Förderstellen, Partnerorganisationen oder Datenschutzverordnungen.

Treibhaus Luzern (Bildquelle: Melanie Reber)

Erste Schritte im IT-Dschungel: Was wirklich hilft
Wer keine IT-Abteilung oder eine verantwortliche Person im Team hat, braucht pragmatische Lösungen. Am besten wie in jedem Chaos: Einfach mal irgendwo anfangen. Die internationale Norm ISO/IEC 38500 gibt Organisationen auch ohne IT-Abteilung einen einfachen Orientierungsrahmen. Die ersten fünf Standardschritte von ISO 38500 lassen sich gut auf Kulturhäuser übertragen:

  1. Führung übernehmen und Verantwortung klären
    Wer ist zuständig für was? Auch wenn keine Person als offizielle „IT-Verantwortliche“ bestimmt ist, muss die Verantwortung benannt werden. ISO nennt dies „Establish Responsibility“, Verantwortung sichtbar machen, auch wenn sie nur temporär oder informell ist.
  2. Transparenz schaffen und Bestandsaufnahme durchführen
    Welche Geräte, Software, Passwörter, Plattformen, Cloudspeicher gibt es überhaupt? Wer hat wo Zugriff? In den ersten Schritten ist es wichtig sich einen Überblick zu verschaffen. Dies hilft den Umfang abzuwägen.
  3. Ziele definieren und Orientierung schaffen
    Was wollen wir digital erreichen? Sicherheit? Einfachere Abläufe? Rechtliche Absicherung? Ziele helfen, damit alle Beteiligten am gleichen Strick ziehen.
  4. Risiken erkennen und Handeln
    Was passiert, wenn eine Mailadresse gehackt wird? Wer hat das einzige Dropbox-Passwort? Fehlen Backups? Eine Risikoübersicht kann helfen, Prioritäten zu setzen und die ersten Schritte zu bestimmen.
  5. Kontinuität sichern und Routinen etablieren
    Wer hat neue Zugänge? Welche Tools sind überflüssig geworden? Ein Reminder im Kalender, ein Quartalscheck der Passwörter oder ein kurzer Technikrapport im Teammeeting genügen als Start.

Diese fünf Punkte sind einfach umzusetzen und bringen Bewegung in das Projekt. Mit den ISO Standards lassen sich auch mit wenig Ressourcen digitale Verantwortung übernehmen.

Fazit: IT-Governance ist kein Luxus
IT-Governance bedeutet nicht, alles streng zu reglementieren. Es bedeutet, zu wissen, was digital geschieht und warum. Besonders Kulturhäuser, die für Offenheit, Partizipation und Vielfalt stehen, sollten sich von technischer Komplexität nicht ausbremsen lassen. Struktur schafft Sicherheit und eröffnet dadurch gleichzeitig neue Freiräume.

Kulturbetriebe, die ihre IT aktiv gestalten, stärken nicht nur die eigene Organisation. Sie werden auch zu verlässlicheren Partnern im Förder- und Netzwerkumfeld. Digitale Souveränität ist kein Luxus, sondern ein Werkzeug für mehr Gestaltungsfreiheit.

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Melanie Reber

Melanie Reber, 32, ist Geschäftsleiterin im Jugendkulturhaus Treibhaus in Luzern und bloggt aus dem Unterricht des CAS IT-Management & Agile Transformation.

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