Glänzende Inhalte, sprachlose Meetings

In einem virtuellen Meeting wird ein wichtiges Dokument vorgestellt – fast 60 Seiten, gut aufgebaut, schön formuliert. Doch danach: kaum Rückmeldungen. Ein paar nette Kommentare, sonst Stille. Ich frage mich: Warum sagt niemand etwas? Fehlt der Mut, die Zeit oder der Bezug? Und was passiert, wenn Texte zwar gut klingen, aber niemand wirklich mitdenkt? Eine persönliche Beobachtung – und was ich daraus gelernt habe.

Wieder sitze ich in einem virtuellen Meeting mit rund 10 Personen – wie meist keine Traktanden oder Ziele in der Einladung, keine Unterlagen im Vorfeld erhalten – ich lass mich wieder mal überraschen. Zu Beginn das typisch lockere Geplauder – ich mag das irgendwie, dann geht’s aber los und ich bin gespannt. Der Anlass heute: Vorstellung eines strategisch wichtigen Dokuments, das unsere gesamte Abteilung bezüglich der Prozesse stark beeinflussen wird – wenn nicht gar revolutionieren. Nach einer kurzen Einleitung mit dem Hinweis, dass der Geschäftsführer dies als Auftrag erteilt hat, geht es los mit dem gemeinsamen Durchgehen der fast 60 Seiten. Es sieht gut aus – sehr strukturiert, sauber formuliert, viele Fachbegriffe und schöne Diagramme.

Nach der Präsentation wird das Wort zur Diskussion freigegeben. Ich bin etwas überrollt – fast überfordert. Habe ich irgendwo etwas verpasst und kenne nun das grosse Ganze nicht? Anderen scheint es besser zu gehen. Erste Kommentare fallen – meist positiv, zwar vage, aber höflich. „Klingt gut.“ – „Wir sind da auf dem richtigen Weg.“ – „Da steckt viel Arbeit drin.“ Aber sonst? Nichts kommt – keine echten Rückfragen. Der Bezug zu unserem Unternehmen fehlt mir fast vollständig – obwohl unser Firmenname sehr oft vorkommt im Dokument, auch die Organigramme passen. Aber alles in allem rund zwei Stunden zugehört und am Ende ein paar dürftige Bemerkungen von den doch über 10 Teilnehmenden entstanden. Ich bin jedes Mal aufs Neue erstaunt – und ehrlich gesagt auch etwas irritiert. Wie kann es sein, dass niemand etwas Substantielles zu sagen hat? Geht es allen gleich wie mir, und wir verstehen gewisse Punkte nicht ganz? Oder wollen wir nur nicht anecken? Was mich immer wieder beschäftigt: Warum ist das Schweigen so laut? Es braucht doch Reibung, um ein Feuer zu entfachen.

Wir diskutieren ein Dokument, das die Richtung vorgibt, Entscheidungen beeinflusst, Strategien festlegt – und trotzdem scheint es kaum jemanden zu berühren – keine Begeisterung aber auch kein Ärger. Ich frage mich dann: Ist es die Gruppendynamik – Herdenverhalten – nur nicht auffallen? Verstecken sich die meisten in der Menge oder haben die Leute Angst? Ich zermartere mir dann später den Kopf und es lässt mich kaum los. Warum das so bedeutsame Meeting mit dem wichtigen Inhalt derart nicht gefruchtet hat und ich selber mich nur schwer motivieren kann – obwohl das Thema spannend ist.

Mittlerweile weiss ich, woran es liegt: Die KI ist wieder schuld! Warum ich darauf komme? Ich habe einen Kollegen mal gefragt, welches Beratungsunternehmen ihm das erarbeitet hätte. Er hätte das mit ChatGPT gemacht.

Ich habe für mich daraus ein paar Dinge gelernt: KI kann sehr wohl helfen – sie strukturiert schnell, formuliert effizient und liefert eine gute erste Grundlage. Ein sauber geschriebener Text ist noch kein guter Dialog. Es braucht Menschen, die den Inhalt lebendig machen. Die Fragen stellen. Die widersprechen. Die ergänzen. So kann das gemeinsame Denken, das gemeinsame Wachsen, Lernen und das aneinander Reiben erst entstehen. Was auch benötigt wird ist Zeit. Das ist etwas, was KI nicht gut kann, es liefert immer alles und zwar sofort – und so schnell entstehen diese erschlagenden leblosen Dokumente.

Heute gehe ich anders mit solchen Momenten um. Wenn ich merke, dass die Diskussion stockt, spreche ich es an – offen, aber respektvoll.

Ich frage nach:

  • Was fühlt sich für euch noch nicht stimmig an?
  • Gibt es Stellen, die ihr hinterfragt oder anders seht?
  • Wo müssen wir noch gemeinsam durchdenken?
  • Brauchen wir an einer Stelle vielleicht noch etwas Zeit?

Und wenn ich selbst mit KI arbeite – was ich regelmässig tue – mache ich transparent, dass es ein Ausgangspunkt ist. Keine fertige Lösung. Ich lade die anderen ein, mitzudenken und mitzureiben, damit das Feuer entsteht. Denn genau dafür ist KI richtig gut: Sie beschleunigt das Wie – aber das Warum, das Wozu, das Was fehlt noch – das bleibt unsere Aufgabe – und wir nehmen uns die nötige Zeit.

Nur wenn wir KI als Werkzeug verstehen – nicht als Abkürzung –, entsteht echte Zusammenarbeit.

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Patric Derungs

Patric Derungs ist Head of Infrastructure bei der Chain IQ und bloggt aus dem Unterricht des CAS Digital Business Innovation.

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