„Die neuen Technologien eröffnen ungeahnte Möglichkeiten in der Erstellung von Programmen. Mit Werkzeugen der Künstlichen Intelligenz und Low-Code lassen sich Prozesse massiv abkürzen.“
Die Beschreibung des CAS-Kurses mit der trockenen Bezeichnung „Software Development with AI & NoCode“ könnte beinahe als irreführende Werbung durchgehen: „ungeahnte“ Möglichkeiten und „massive“ Abkürzungen und damit Zeitgewinne. Perfekt! Wenn da der Reboundeffekt nicht wäre…

Excel ist grossartig! Ich nutze es geschäftlich und privat für diverse Anwendungen. Mit der Zeit häufen sich die Dateien und Verlinkungen, es wird immer komplexer und leider auch fehleranfälliger. Nun ist es höchste Eisenbahn, die unzähligen Exceldateien mit einer Softwareanwendung zu ersetzen. Jedoch gibt es dazu selten eine passende Standardsoftware und für die Entwicklung einer eigenen Anwendung fehlen mir die Programmierkenntnisse… Stopp!
Mittlerweile existieren zahlreiche Tools und Plattformen, welche die Programmentwicklung mit wenig Code (Low-Code) oder sogar ohne Code (No-Code) ermöglichen. Dabei werden auch Funktionen der Künstlichen Intelligenz integriert, um die Erstellung noch weiter zu vereinfachen. Das CAS-Programm zeigt, wie diese Tools in der Praxis eingesetzt werden können, und verspricht mich zu einem professionellen Citizen Developer auszubilden.
Mehr Zeit dank Citizen Development?
Citizen Development bezeichnet die Erstellung von Software ohne Programmierkenntnisse. Diese «ungeahnte» Möglichkeit reduziert die Einstiegshürden in die Softwareentwicklung markant und selbst ein Informatik-Laie wie ich kann jetzt eigene Applikationen erstellen. Und so ersetze ich meine unzähligen Exceldateien doch noch durch eine effizientere Softwarelösung. Wir gewinnen also in zweifacher Hinsicht: der nicht mehr ganz so effiziente Prozess wird «massiv» abgekürzt und wir können ihn einfach selbst verbessern. Also: weniger Arbeitszeit = mehr Freizeit? Oder geht diese Rechnung in der Praxis nicht auf? Um das zu beantworten, werfen wir einen Blick in die Vergangenheit des Gebietes, mit dem ich mich beruflich beschäftige: Die Mobilität.
Macht uns der Reboundeffekt einen Strich durch die Rechnung?
Die Entwicklungen der Mobilität sind bekannt: Die Menschheit ist zu Fuss gestartet, hat aufs Pferd umgesattelt, dann das Rad und Kutschen erfunden, später Eisenbahnen und das Automobil entwickelt und sich mit dem Flugzeug in die Lüfte gewagt. Das Verkehrssystem wurde schneller und die Zeit für die Fahrt von A nach B kürzer. Ist man nun weniger lang unterwegs? Nein. Hier kommt das konstante Reiszeitbudget bzw. die Marchetti-Konstante ins Spiel: 1994 beschrieb Cesare Marchetti, dass die Menschen in verschiedenen Ländern seit Jahrzehnten im Durchschnitt die gleiche Zeit pro Tag unterwegs sind. Die Schlussfolgerung ist, dass dank des technischen Fortschritts nun längere Strecken zurückgelegt werden.
In einem allgemeineren Kontext nennt sich diese Beobachtung Reboundeffekt. Ein Reboundeffekt liegt dann vor, wenn eine Verringerung des Inputs pro Einheit Output (Effizienzerhöhung) zu einer Steigerung des Outputs führt. Im Alltag lässt sich dies in verschiedenen Bereichen beobachten, dazu zwei Beispiele:
- Von rund 800 kg Leergewicht (VW Golf I) zu 1’300 kg (VW Golf 8): Die Motoren werden immer effizienter, die Autos aber auch grösser und schwerer, was den Treibstoffverbrauch wieder erhöht.
- Vom Brief zu E-Mail und WhatsApp: Die Kommunikationsmöglichkeiten werden immer schneller und günstiger, aber die Anzahl Nachrichten steigt gleichzeitig massiv an.
Also mehr Freizeit dank Citizen Development? Es ist davon auszugehen, dass die Unternehmen ihre Prozesse zwar effizienter gestalten, aber wegen der Konkurrenz gleichzeitig ihren Output erhöhen. Diese Entwicklung können wir als Individuen nur bedingt beeinflussen, umso wichtiger ist unser persönlicher Umgang mit dem Reboundeffekt.
Was machen wir nun?
Als ich einer Kollegin von diesem Blog erzählt habe, meinte sie: „Und nun? Brichst du das CAS wegen des Reboundeffekts ab?“ Mein erster Gedanke: „Was für eine absurde Frage… natürlich nicht!“ Aber weshalb nicht?
Es geht um Kernfragen des Lebens wie:
- Was ist mir im Leben wichtig?
- Wie möchte ich meine Zeit nutzen?
- Was mache ich mit scheinbar gewonnener Zeit?
Wir können für uns persönlich entscheiden, was wir mit Zeitgewinnen dank neuen Technologien machen.
Meine Antwort auf die Frage meiner Kollegin: «Nein, ich besuche den CAS-Kurs um mich weiterzubilden und Neues zu lernen.»