Das elektronische Patientendossier (EPD) steht im Mittelpunkt einer kontroversen Diskussion über die Zukunft der Gesundheitsdatenverwaltung. Ernst Hafen und Barbara Biedermann schlagen eine menschenzentrierte Datenverwaltung vor, weil ihrer Meinung nach nur so Kontrolle über die Daten erlangt und dabei auch ihre Nutzung zum Allgemeinwohl sichergestellt werden könne. Doch ist dieser Ansatz realistisch? In diesem Artikel werden zwei unterschiedliche Ansätze beleuchtet.
Um was geht’s genau?
In einer Zeit, in der innovative Behandlungsmethoden auf datenbasierten, präzisen medizinischen Erkenntnissen beruhen, spielt die Verfügbarkeit großer und repräsentativer Datensätze eine entscheidende Rolle. Das EPD steht dabei als Lieferant von Patientendaten an vorderster Stelle.
Abgesehen von den technischen und infrastrukturellen Herausforderungen ist vor allem die Möglichkeit eines grösstmöglichen Umfangs der Verarbeitung elektronischer Patientendaten ein wesentlicher Faktor für ihre Nutzbarkeit zum Allgemeinwohl.
Wie aber kann erreicht werden, dass diese Daten auch in die Forschung gelangen, um hier für andere Patient*innen und die Gesellschaft einen Mehrwert zu schaffen?
Die Vision einer menschenzentrierten Datenverwaltung
Ernst Hafen und Barbara Biedermann plädieren in ihrem Artikel für eine menschenzentrierte Datenverwaltung. Sie argumentieren, dass jede*r Bürger*in ihre/seine Gesundheitsdaten selbst verwalten und kontrollieren sollte. Individuen sollen von Geburt an ihre Daten erfassen und verwalten, und nur sie sollen entscheiden, wer Zugang zu diesen Daten hat. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Menschen bereit sind, ihre Daten aktiv zu verwalten.
Aber entspricht diese Vorstellung der Realität? Wollen wir wirklich eine so aktive Rolle spielen, wenn es um unsere Daten geht und unser ganzes Leben lang aktiv und individuell entscheiden, wer zu welchen Zwecken auf unsere Daten zugreifen darf?
Ein Blick auf die Erfahrungen mit Cookie-Policies und anderen Datenschutz-Erklärungen lässt daran zweifeln. Die Transparenz und Informiertheit, die man den Betroffenen mithilfe detaillierter Ausführungen über die Verarbeitung ihrer Daten ermöglichen will, stossen nicht gerade auf Begeisterung. Zu aufwändig das Lesen, zu zeitintensiv das Befassen mit den Bedingungen zur Nutzung der eigenen Daten. Das gilt auch beim bereitwilligen Teilen der eigenen Gesundheitsdaten über Wearables und Apps, auch weil es dafür personalisierte Gesundheitsanalysen, Fitness-Tracking oder andere unmittelbare Vorteile zu erlangen gibt.
Aber auch abseits von unmittelbaren Vorteilen ist die Bereitschaft zur Datenspende bei vielen Menschen vorhanden. Auch hier kann jedoch davon ausgegangen werden, dass seitenlange Einwilligungserklärungen und immer wiederkehrende Fragen nach der Erlaubnis zur Verarbeitung zu neuen Zwecken wohl eher zu Frustration und Ablehnung führen.
Diese Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass Menschen ein eher unverkrampftes Verhältnis zu ihren Daten haben. Dabei sollte man allerdings nicht davon ausgehen, dass sie auf sämtliche Vorsichtsmassnahmen und Grundsätze verzichten würden.
Was könnte ein gangbarer Weg sein?
Versäumt man es, an dieser entscheidenden Weggabelung die richtigen Weichen zu stellen, läuft man Gefahr, wertvolle Daten zu isolieren und deren Nutzung von der Zeit und Bereitschaft der Einzelpersonen abhängig zu machen.
Die Widerspruchslösung könnte hier Abhilfe schaffen: Patient*innendaten werden standardmäßig genutzt, es sei denn, die Betroffenen widersprechen ausdrücklich. Dies würde administrative Hürden reduzieren und sicherstellen, dass die Daten einfach und effektiv genutzt werden könnten.
Dieser Ansatz fände bei Betroffenen auch Akzeptanz, wenn entsprechende Grundsätze stets eingehalten würden: transparente Prozesse, Auskünfte und Informationen über Verbleib und Nutzung der Daten, höchste Sicherheitsstandards und Vertraulichkeit, die Einhaltung ethischer Prinzipien, sowie Schutz vor Missbrauch und die Garantie, dass die Daten nicht zum Nachteil der Betroffenen verwendet werden.
Fazit
Die Einführung einer Widerspruchslösung, kombiniert mit den genannten standardisierten, verlässlichen Garantien würde nicht nur die medizinische Forschung fördern, sondern auch das Vertrauen der Patient*innen in die Nutzung ihrer Daten, ohne sie mit administrativen Aufgaben zu belasten.
Eine menschenzentrierte Verwaltung von Patientendaten dagegen würde nur dann allen nützen, wenn sie auf die Bereitschaft eines jeden Einzelnen trifft, sich lebenslang und aktiv mit Fragen rund um die Verarbeitung der eigenen Daten auseinanderzusetzen.
Welcher Ansatz verspricht deiner Meinung nach mehr Erfolg?