Mit Requirements Engineering zum passenden Velo?

Allein in diesem Frühling sind mehrere Personen aus meinem Umfeld auf mich zugekommen und wollten eine Empfehlung oder einen Tipp für den Velokauf. Da bin ich sofort Feuer und Flamme und die Ideen sprudeln nur so aus mir heraus! Doch warum konnte ich nicht meinen Ansprüchen gerecht werden und die perfekte Empfehlung geben?

Zweifelsohne bekomme ich die Anfragen, weil ich selbst oft mit dem Rennvelo, Gravel– oder Mountainbike unterwegs bin. Ausserdem betreue ich in meiner Freizeit eine offene Velowerkstatt und baue auch meine eigenen Bikes mit Einzelkomponenten auf. Von daher verfolge ich sehr interessiert, was die aktuellen Trends sind und wie sich die Industrie entwickelt. Doch dieses Wissen bringt nichts, wenn die Anforderungen nicht bekannt sind.

Arten von Anforderungen

Klassischerweise wird zwischen verschiedenen Arten von Anforderungen unterschieden. Wie können diese in diesem spezifischen Fall angewendet werden?

Funktionale Anforderungen: Die funktionalen Anforderungen werden in erster Linie durch den Verwendungszweck bestimmt. Einerseits gibt es den örtlichen Aspekt, denn es macht natürlich einen grossen Unterschied, ob man auf Asphalt in der Stadt oder auf Schotter oder Wanderwegen in den Bergen unterwegs ist. Andererseits spielt es eine grosse Rolle wie das Velo verwendet werden soll. Soll es für den Weg an den Bahnhof taugen oder muss es ein treuer Begleiter auf mehrtätige Bikepacking-Touren sein?

Qualitätsanforderungen: Bei allen Komponenten – egal ob Antrieb, Bremsen oder Laufräder – gibt es herstellerunabhängig diverse Ausführungen in verschiedenen Qualitäten. Die benötigte Qualität ergibt sich aus verschiedenen Aspekten wie Fahrstil, Körpergewicht oder der Strecke, die pro Jahr zurückgelegt werden soll.

Randbedingungen: Eine Randbedingung ist, dass ich noch nie ein Elektrovelo besessen habe und mich dieses Thema auch nicht sonderlich interessiert.

Diese Anforderungen lassen sich gut erfragen. Doch Reichen diese Antworten für eine Empfehlung aus? Definitiv nicht, denn die emotionalen Aspekte werden damit völlig aussen vorgelassen.

Das Kano-Modell

Nachdem die Qualitätsanforderungen geklärt sind, lohnt es sich, einen Blick auf das Kano-Modell zu werfen. Die Zufriedenheit der Kundschaft lässt sich nun mal nicht nur durch das Erfüllen der Anforderungen erreichen. Besonders nicht im Bereich Freizeit und Hobby, da spielen Emotionen eine zu wichtige Rolle. Das Kano-Modell beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Erreichen bestimmter Eigenschaften eines Produktes und der erwarteten Zufriedenheit des Kunden.

Kano-Model
Das Kano-Modell zeigt die Auswirkungen von Produktmerkmalen auf die Kundenzufriedenheit (Bildquelle: Wikimedia)

Basisfaktoren:  Klar, ein Velo hat einen Rahmen, zwei Räder und einen Antrieb. Je nach Verwendungszweck können jedoch weitere Basisanforderungen definiert werden. So würde wohl niemand ein Alltags- oder Bahnhofsvelo ohne Schutzblech und Licht akzeptieren.

Leistungsfaktoren: Per Definition werden diese Merkmale von Kunden bewusst gewünscht. Soll das Bike vollgefedert sein, das Rennvelo extrem leicht, oder braucht das Stadtvelo einen Gepäckträger mit Korb? Die Leistungsfaktoren, speziell im Bereich Leichtbau, haben jedoch den grössten Einfluss auf den Preis. Dann stellt sich einfach die Frage wie sehr diese Merkmale gewünscht werden.

Begeisterungsfaktoren: Die Begeisterungsmerkmale haben das grösste Potenzial, den Kunden positiv zu beeinflussen. Zum Beispiel ein einzigartiges Rahmendesign, spezielle Farbverläufe oder clevere Detaillösungen wie im Rahmen integrierte Kabelzüge. Oder warum nicht einen Riemenantrieb anstelle einer Kette? Dann gehören die ölverschmierten Hosen der Vergangenheit an.

Fazit

Kann ich nun mit diesem Bewusstsein die perfekte Empfehlung geben? Wohl eher nicht. Denn Aspekte wie Ästhetik, Farbe oder Fahrgefühl sind nicht zu unterschätzen. Jedoch ist es mir nun möglich ein paar Empfehlungen abzugeben und aufzuzeigen in welche Richtung es gehen könnte. Danach entsteht oft das Phänomen, dass die Leute anfangen, selbst zu recherchieren oder gezielt Händler zu besuchen, um eine Testfahrt zu machen.

Vielleicht kann man mit den Werkzeugen aus dem Requirements Engineering nicht die perfekte Empfehlung machen, jedoch lernen die zukünftigen Velobesitzer die eigenen Bedürfnisse besser kennen und das ist umso wertvoller.

Natürlich bestehe ich darauf, dass ich vor dem Kauf noch einmal involviert werde. Schliesslich müssen die erhobenen Anforderungen validiert werden!

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Oliver Odermatt

Oliver Odermatt ist Wirtschaftsingenieur und bloggt aus dem CAS Requirements Engineering. Im Ehrenamt betreibt er zusammen mit Freunden eine offene Velowerkstatt in Luzern.

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