Agilität: Zwischen leeren Worten und echter Veränderung

Der Begriff Agilität wird in grossen Unternehmen heutzutage schon fast inflationär verwendet. Agilität ist jedoch – so wie Diversität und Nachhaltigkeit – in vielen Betrieben nicht mehr als ein leeres Buzzword. Wie können wir Worte zum Leben erwecken, Fortschritt in der Unternehmenskultur gestalten und tatsächlich agil werden?

Wörter wie «lean», «Scrum» und «Kanban» gehören 2024 offensichtlich zum 1×1 im Business. Ich bin zu Beginn des CAS Requirements Engineering etwas eingeschüchtert, weil alle schon zu wissen scheinen, worum es geht. Dieses Gefühl verschwindet jedoch schnell, als wir anfangen, Dinge auszuprobieren.
Das Machen, das ist mein Ding. Darin bin ich gut. Schnell merke ich, dass es bei Agilität eigentlich auch genau darum geht: Ausprobieren. Ziel definieren und loslegen.

Probieren geht über Studieren
Agilität bedeutet, dass nicht am Anfang eines Projekts der gesamte Verlauf des Projekts vorgegeben wird. Das Ziel des Vorhabens wird festgelegt, aber nicht der ganze Weg dahin. Die am Projekt beteiligten Personen definieren Etappen und überprüfen in regelmässigen, kurzen Abständen gemeinsam, ob es tatsächlich so funktioniert, wie sie angenommen haben. Der Mehrwert dieser Herangehensweise ist, dass flexibel auf Veränderungen reagiert werden kann.
Im CAS Requirements Engineering ist es nun so, dass wir diese agilen Methoden nicht einfach nur in der Theorie lernen, sondern der Kurs ist in gewisser Weise entsprechend aufgebaut. Ziel des CAS ist es, einen Anforderungskatalog für ein reales Projekt zu erstellen. Damit fangen wir bereits am ersten Tag an – bevor wir einen Plan haben, wie wir das Ziel erreichen. Wir lernen nämlich nicht einfach Theorie und wiederholen dann das Gelernte in einer wissenschaftlichen Abhandlung. Wir probieren die Methoden aus: Zeichnen Kontextdiagramme, schreiben Use-Cases, User-Stories und erfinden Personas. Das sind Methoden, um Systeme zu verstehen –  aus Sicht der Menschen, die mit den Systemen arbeiten.

Nach und nach merke ich, dass auch das Kunststudium, welches ich absolviert habe, ebenfalls nach der agilen Vorgehensweise aufgebaut war. Dort haben wir nach dem PDCA-Kreislauf an unseren Projekten gearbeitet: Plan – Do – Check – Act.
Plan: Ziel definieren. Do: Ausprobieren. Check: Prüfen, ob sich die Anforderungen verändert haben und ob das Ziel neu formuliert werden muss. Act: Handlungen entsprechend anpassen. Offen bleiben und auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren. Eine Hypothese hat sich als falsch herausgestellt? Gut.
Passe dein Vorgehen an. Plan again, do again, check again and act again.

Gelebte Agilität führt zu Veränderung – beides braucht Mut.
Diese Vorgehensweise erfordert ein gewisses Mass an Mut und auch ein gewisses Mass an Toleranz gegenüber Fehlern. Mut, zuzugeben, dass wir am Anfang eines Projekts nicht alles darüber wissen können. Mut, Fehler zuzugeben. Mut, eine Anforderung neu zu formulieren. Mut, Personen zuzuhören und zu merken, dass das, was wir am Anfang angenommen hatten, doch nicht funktioniert.

Mut und Toleranz lernen wir nicht aus Büchern, sondern durch Übung. Kontrolle loslassen, Fluidität im Prozess beibehalten, auf Prognosen verzichten, Unsicherheit und Veränderung annehmen. All das passiert nicht von heute auf morgen, nur weil das Management bestimmt, dass die Mitarbeiter:innen eines Unternehmens jetzt agil sein sollen. Das passiert nur, wenn alle Fehler machen dürfen, einander zuhören und einander zu verstehen versuchen.

Mehr als leere Worte: Veränderung Denken – Leben – Gestalten
In einer Welt, die sich ständig verändert, ist es wichtig, offen zu bleiben für neue Ideen und Perspektiven. Sowohl in der Kunst als auch im Requirements Engineering geht es darum, Dinge zu gestalten, zuzuhören, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Agile Methoden können uns dabei helfen, flexibel und anpassungsfähig zu sein, aber eben nur dann, wenn wir sie einüben.
Von nichts kommt nichts. Agilität, Diversität und Nachhaltigkeit ohne Menschen, die sie leben, sind nur leere Worte.

Was es braucht, um Veränderung zu gestalten, sind Menschen. Menschen, die bereit sind, Dinge anders zu denken und zu machen. Menschen, die mutig sind. Menschen, die Probleme und Zusammenhänge verstehen wollen. Menschen, die gerne etwas ausprobieren.

Wie Sie solche Menschen erkennen? Wahrscheinlich nicht durch das Studieren des akademischen Lebenslaufs oder mit KI-gesteuerten Fragebögen. Seien auch Sie mutig. Geben Sie unter anderem Menschen eine Chance, die vielleicht auf den ersten Blick aus dem Raster fallen. Vielleicht sind es genau diese Menschen, die Sie in Ihrem Unternehmen noch als Mitarbeiter:innen brauchen.

Beitrag teilen

Wera Bossert

Wera Bossert ist Sachbearbeiterin IT, Treuhand und Steuern bei Pro Senectute Kanton Luzern und bloggt aus dem Unterricht des CAS Requirements Engineering. «Ich komme aus einer Welt, in der Menschen Wörter wie jemensch, Freund:innenschaft oder genderfluid verwenden. Ich bin Künstlerin und habe Kunst+Vermittlung studiert. Neben meinem Dasein in der Kunst-Bubble gehe ich aber auch einer Erwerbsarbeit nach. Dort bewege ich mich in einem eher traditionellen Umfeld. Diese Erwerbsarbeit hat nun dazu geführt, dass ich eine Weiterbildung in einem für mich neuen Gebiet absolviere. Ich besuche das CAS Requirements Engineering und besitze nun eine Student-Card, auf der «Informatik» steht. Vor allem bin ich aber in allen Lebensbereichen eine Macherin. Immer in Bewegung, flexibel und… agil.»

Alle Beiträge ansehen von Wera Bossert →

Schreibe einen Kommentar