In der schnelllebigen Welt der Unternehmensabläufe verlieren wir schnell die Zielgruppe aus den Augen. Statt auf die anwendende Person fokussieren wir auf Technik, Zahlen oder Prozesse. Dabei sollen IT-Systeme Menschen unterstützen. Sie müssen benutzerfreundlich sein und einen Mehrwert bieten. Um dafür die richtigen Systemanforderungen zu ermitteln, ist es wichtig, die Bedürfnisse der Systemnutzenden zu kennen und ihnen gut zuzuhören.
Kürzlich habe ich zu diesem Thema eine faszinierende Erfahrung in unserer Personalabteilung (HR) gemacht. Eine anonyme Befragung ergab, dass nicht alle zufrieden mit unseren IT-Systemen sind. Als Service Engineer betreue ich eines unserer wichtigsten Arbeitsinstrumente: das Ticketing-Tool. Darin werden alle Anfragen an die Personalverwaltung (z.B. zum Arbeitsvertrag, zum Lohn, zur Arbeitszeit oder zur Zeugnisausstellung) sichergestellt. Wir bearbeiten über 200’000 Tickets pro Jahr. Eine effiziente Ticket-Bearbeitung ist deshalb elementar für den Erfolg zentralisierter Dienstleistungsprozesse. Obwohl die Zufriedenheit der HR-Mitarbeitenden insgesamt positiv war, wollte ich nach Rücksprache mit dem Management die Ursachen der Unzufriedenheit genauer untersuchen.
Türen aufstossen
Ich entschied mich, unangekündigt bei den HR-Mitarbeitenden vorbeizuschauen, um die natürliche Stimmung am Arbeitsplatz zu spüren. Es war ruhig, nur das Klappern der Tastatur war durchgehend wahrzunehmen. Einzig eine Mitarbeiterin seufzte immer wieder. Das war der Moment, mich zu erkennen zu geben und etwas genauer hinzuhören. Ich setzte mich zu ihr und erklärte, dass ich mir Zeit für meine Teamkolleginnen und -kollegen nehmen will. Mein Wunsch sei es, zu erfahren, ob sie sich vom Ticketing-Tool ausreichend in ihrer Arbeit unterstützt fühlen. Die Umfrage hatte gezeigt, dass nicht alle zufrieden sind.
Zu Beginn unseres Gesprächs zeigte sich eine allgemeine Unzufriedenheit, die auf verschiedene Gründe zurückzuführen waren. Ich liess ihr Raum, ihren Frust auszudrücken, und stellte gezielte Fragen, um den Kern des Problems zu ergründen und herauszufinden, was davon relevant für mein Ticketing-Tool ist. Am Ende hatte ich viele wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Die Mitarbeiterin betreut die Unfallmeldungen, die über das Ticketing-Tool reinkommen und in einer anderen Software bearbeitet werden müssen. Sie war frustriert, weil sie nach der Bearbeitung des Unfalls jedes Ticket nochmals einzeln öffnen und abschliessen musste. Ein aus ihrer Sicht ineffizientes Vorgehen.
Wir analysierten den Prozess und massen die Zeit für den Abschluss eines Tickets. Diesen Wert haben wir auf den Monat hochgerechnet und festgestellt, dass sich viel Arbeitszeit sparen lässt, wenn wir mehrere Tickets mit einem Klick abschliessen können. Ausserdem verhindern wir so den Motivationsverlust. Eine fast unbezahlbare Verbesserung im System.
Feuer entfachen
Während unseres Gesprächs, sind auch andere vom Team auf unsere Unterhaltung aufmerksam geworden. Sie wollten wissen, ob sich diese Funktionalität auf andere Prozesse erweitern lässt. Das Eis war gebrochen. Im Verlauf von diesem Tag habe ich gleich mehrere Anforderungen aufgenommen, welche allesamt eine hohe Effizienzsteigerung mit sich brachten. Aber nicht bloss das. Die Mitarbeitenden blühten regelrecht auf, als sie nach ihren Bedürfnissen und Wünschen gefragt wurden. So kamen Ideen auf, die unentdeckt geblieben wären ohne diesen persönlichen Austausch. Meine Teamkolleginnen und -kollegen haben nach diesem Tag verstanden, dass die Systeme keinen Selbstzweck darstellen, sondern ihnen die Arbeit erleichtern sollen. Vor allem aber, dass ihre Erfahrungen äusserst wichtig sind, um die Systeme weiterzuentwickeln und zu optimieren. Mit dieser Aktion habe ich sie mit in die Verantwortung genommen und stark zu ihrer Motivation beigetragen – und gleichzeitig mein Ticketing-System verbessert.
Leuchtturm sein
Als Requirement Engineer kannst du ein Leuchtturm sein für positive Veränderungen im Unternehmen, indem du die Wichtigkeit jedes Einzelnen erkennst und die Zusammenhänge in der Systemlandschaft verstehst. Mit dem Wissen, dass Menschen gerne gehört und verstanden werden möchten, lassen sich gewinnbringende Veränderungen bewirken.
- Höhere Akzeptanz und Zufriedenheit der User
- Gezielte Softwareentwicklung mit Mehrwert
- Förderung der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Verständnisses
- Positiveres Arbeitsklima
Requirement Engineering ist mehr als nur das Erfassen von technischen Anforderungen – es ist ein Prozess des Zuhörens, Beobachtens und Verstehens. Nicht nur bei der Einführung einer neuen Software, sondern auch während dessen Lebenszyklus. Das CAS hat mich darin bekräftigt, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der Benutzerinnen und Benutzer zu erfragen und in den Mittelpunkt zu stellen.