Second Brain – Ordnung schaffen im Notizen-Dschungel

Hand aufs Herz. Wie oft schreibst du dir Notizen zu einem spannenden Thema, nur dass diese in einem Stapel Dokumente verschwinden? Gerade in der Welt der Informatik, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit verändert, wäre schnelles Wiederfinden von vormals Gelerntem eigentlich von höchster Bedeutung.

Wer Software entwickelt, kennt es vermutlich — dieses verlegene Gefühl, wenn beim googeln die Lösung eines Problems durch den obersten violetten Link zu einem StackOverflow Beitrag erfolgt. „Autsch, dieselbe Frage habe ich schon mal gestellt. Das müsste ich doch wissen.“
Tatsächlich gibt es aber keinen Grund, sich schlecht zu fühlen, denn offenbar hat man durch die richtige Kombination von Suchbegriffen erneut gezielt auf Wissen zurückgreifen können.
Hier setzt das persönliche Wissensmanagement und das Systems des Second Brain an.
Es anerkennt den Fakt, dass die schiere Anzahl Informationen zu einem komplexen Gebiet wie der Softwareentwicklung schlicht zu gross ist, um sich alles merken zu können. Vielmehr soll einmal Gelerntes schnell wieder auffindbar gemacht werden.

Evolution der Schuhschachtel

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand die Idee, dass sich Wissen — im Gegensatz zur linearen Folge von Information in einem Buch — durch Verweise besser verknüpfen und wieder auffinden lässt. Eine Idee, die beispielsweise der deutsche Soziologe Niklas Luhmann mit einem Zettelkasten eindrücklich umsetzte. Luhmann notierte sein Wissen auf Zetteln uniformer Grösse und versah jeden Zettel mit einer individuellen Nummer. Jeder dieser Zettel konnte auf weitere Zettel verweisen. Während seiner Karriere führte er einen Zettelkasten mit über 90’000 Karten, aus dem über 500 Publikationen und 50 Bücher hervorgingen. Tiago Forte, der Entwickler des Second Brain Systems, knüpft an Luhmanns Zettelkasten an und befördert diesen ins digitale Zeitalter. Die Idee: Um dein Hirn zu entlasten, legst du dein Wissen in einer persönlichen Wissensdatenbank ab, welche wie in deinem „First Brain“ Verbindungen zwischen den Einträgen herstellen kann.

Starte deinen digitalen Zettelkasten

Um deine Notizen also ins 21. Jahrhundert zu bringen, brauchst du erstaunlich wenig. Hauptbestandteil ist ein Notizprogramm, welches zumindest Querverweise zu anderen Notizen machen kann. Von Nutzern des Ansatzes werden Notiz-Apps wie Notion, Evernote, Obsidian oder Open Source Tools wie Logseq und Zettlr empfohlen, welche oft noch Zusatzfunktionen bieten.
Nebst den Tools lebt dein Second Brain nur von einem weiteren Schlüsselbestandteil: Deinen Notizen. Beginne also damit, dir möglichst viele Dinge aufzuschreiben und diese gerade anfänglich nicht zu bewerten. „Capture Everything“ soll hier das Motto sein. Mit den folgenden Tipps gliederst du die Notizen anschliessend ins Notiztool ein — hier exemplarisch mit Obsidian-Syntax:

  1. Verknüpfe deine Notizen: Wenn Second Brain auf eine Eigenschaft reduziert werden soll, dann ist es wohl diese. Zentraler Bestandteil des Systems sind nicht nur die Notizen, sondern auch die Links zwischen diesen. Obsidian nutzt das Markdown-Format für Notizen und eckige Klammern [[ ]] im Dokument, um Links einzuleiten.
  2. Tagge und Herrsche: Obsidian erkennt Tags in deinen Dokumenten. Ein paar solcher Tags erleichtert die Suche bereits enorm. Beispielsweise kannst du Code-Snippets nach deren Sprache taggen. (#rust)
    Kategorien helfen zudem, deine Dokumente zu strukturieren. Es empfiehlt es sich jedoch zunächst noch keine allzu fixe Struktur zu haben.
  3. Die Graph-Ansicht: Keine Vorstellung von Obsidian und Second Brain ist vollständig ohne die Graph-Ansicht. Denn diese zeigt dir, wie dein Wissen vernetzt ist. Er zeigt zudem Links auf, zu denen noch kein Dokument angelegt wurde. Wieso? Wenn du beim Erarbeiten eines Themas auf etwas Verwandtes stösst, lege einfach einen Link an, egal ob es schon eine Notiz dazu gibt. So kannst du dein Wissen komplett iterativ aufbauen.

    Darstellung des Second Brain im Obsidian Graph. Quelle: Wikimedia
  4. Lasse dein Second Brain träumen: Beim Träumen spielt unser Gehirn die am Tag aufgenommenen Informationen in er Nacht nochmals durch und reiht diese in das bestehende Netz ein. Auch dein Second Brain braucht dieses regelmässige Durchspielen. Überprüfe und überarbeite von Zeit zu Zeit deine Notizen und deren Links und bringe so dein Wissen wieder auf den aktuellen Stand.

Wenn du dir diese Tipps zu Herzen nimmst, steht deinem Second Brain nichts mehr im Weg. Bereits nach kurzer Zeit belohnt dich dieser Ansatz damit, dass sich dein Second Brain die Vielzahl technischer Konzepte, Sprachen, Frameworks und Tools gemerkt hat und diese für dich rasch abrufbar sind. Die entstehende Entlastung bietet so Raum, dich mit neuen, noch unbekannten Themen der Informatik auseinanderzusetzen.

Weiterführende Informationen:

[1] T. Forte, Building a second brain: A Proven Method to Organise Your Digital Life and Unlock Your Creative Potential. Profile Books, 2022.

[2] B. Christner, “How obsidian became my supercharged second brain,” BrianChristner.io, Sep. 12, 2023. https://brianchristner.io/how-obsidian-became-my-supercharged-second-brain/

[3] No Boilerplate, “Hack your brain with Obsidian.md,” YouTube. Jul. 07, 2023. [Online]. Available: https://www.youtube.com/watch?v=DbsAQSIKQXk

 

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Mario Fischer

Mario Fischer ist Software Entwickler bei der Heliotis AG in Root und bloggt aus dem Unterricht des CAS Modern Software Engineering & Development.

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