Das Freiheitsversprechen des Internets, nämlich dass es allen Menschen gleichermassen offen steht, hat sich nicht für jede*n bewahrheitet. Digitale Transformationsprozesse strukturieren Gesellschaften zwar neu; bestehende Machtverhältnisse und strukturelle Ungleichheiten – so auch Sexismus und Rassismus – werden aber gerade auch in digitalen Räumen festgeschrieben.
Die feministische Auseinandersetzung mit dem Internet, der sg. Cyberfeminismus, hat ihren Beginn bereits in den 90er Jahren. Der anfängliche Optimismus zur Überwindung patriarchaler Strukturen ist jedoch der Einsicht gewichen, dass ebendiese Strukturen auch digitale Räume durchdringen.
Contrary to the dreams of many utopians, the Net does not automatically obliterate hierarchies through free exchanges of information across boundaries. Also, the Net is not a utopia of nongender; it is already socially inscribed with regard to bodies, sex, age, economics, social class, and race.
Wilding, F. 1998. Where is feminism in cyberfeminism? (Bd. 2), p 9.
Digitaler Feminismus – ein Begriff für viele Phänomene
Das Thema Digitaler Feminismus – oder breiter gedacht – Diversität und soziale Ungleichheit im digitalen Raum – bezieht sich dabei auf ganz unterschiedliche Phänomene:
- Da wären beispielsweise Hatespeech und diverse Formen von digitaler Gewalt gegen Frauen oder das Tracken von Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche erwägen, über Zyklus-Apps.
Eine sehr spannende Podiumsdiskussion zu diesen Themen lief unter dem Titel „Sorry for the late reply – Feminist lessons from the digital frontier“ an der re:publica 2022. - Die Tatsache, dass Gesichtserkennung am Besten bei weissen Männern und am schlechtesten bei weiblichen PoC funktioniert, hat direkte Auswirkungen z.B. im Kontext der Ermittlung von Straftaten. Algorithmen und Künstliche Intelligenz durchdringen mittlerweile weite Teile der Gesellschaft (sie werden z.B. bei Kreditvergaben oder Bewerbungsverfahren eingesetzt); gleichzeitig reproduzieren sie dabei fortlaufend gesellschaftliche Strukturen, die Menschen u.a. auf Grund ihres Geschlechts benachteiligen.
- Schliesslich ist die Quote weiblicher Techniker*- und Entwickler*innen nach wie vor sehr niedrig. Diejenigen, die entwickeln und programmieren, sind vorwiegend junge Männer. Dass Menschen auch bezüglich anderer Merkmale unterrepräsentiert sind, zeigt etwa Kate Crawford in ihrem «Atlas der künstlichen Intelligenz»
Die Feminist Internet Principles und weitere feministische Gegenentwürfe
Mit dem Feminist Internet Principles von 2017 haben Aktivistinnen Kriterien erarbeitet, nach denen digitale Räume auf die Bedürfnisse von Frauen – wobei Geschlecht hier explizit nur eine Kategorie einer intersektionalen Perspektive ausmacht – ausgerichtet werden sollen. Dabei geht es nicht nur um Zugang zum Netz und zu Inhalten, sondern u.a auch um das Produzieren von Inhalten im Netz und den Schutz der Persönlichkeit. Weitere Gegenentwürfe zu bestehenden Machtverhältnissen im Netz und entwickeln Feminist*innen in unterschiedlichen NGOs und Initiativen wie beispielsweise SUPERRR, motif oder SheTransformsIT.
Ist Vergleichen ethisch korrekt? Eine Frage der Pespektive …
Darf man nun die Probleme westlicher Frauen in digitalen Räumen in einem Atemzug nennen mit z.B. denen Erfahrungen ethnische Minderheiten, wie denn Uigiren, deren Aktivitäten im Netz dauernd überwacht und sabotiert werden? Die Ungleichheitsverhältnisse, die auch in der digitalen Transformation sichtbar werden, sind vielfältig und haben ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die betroffenen Menschen. Sie sind insofern nicht vergleichbar. Die Ansätze des digitalen Feminismus sind aber zumindest ein Ansatzpunkt, um auf Ungleichheitsverhältnisse und Diversitätsfragen aufmerksam zu machen; insbesondere dann, wenn dies aus explizit intersektionaler Perspektive geschieht.
Weitere Links zum Thema
- Dekolonisierung des Digitalen: Feminismus und intersektionale Technologie | Gunda-Werner-Institut.
- Feministische soziale Medien—Alternativen zu Facebook, Tinder und Twitter deutschlandfunkkultur.de
- FemTech—Wie Feministinnen das Internet neu erfinden wollen deutschlandfunkkultur.de