In Argentinien galoppieren die Preise davon: Die Inflationsrate beträgt über 50%. Gleichzeitig ist die Flucht in den beliebten US-Dollar verbaut, aufgrund von Restriktionen ist der Umtausch von Pesos nur noch limitiert möglich. Abhilfe verschaffen Stablecoins, welche sich wachsender Beliebtheit erfreuen und die bereits hohe Krypto-Adoption im Land der Gauchos weiter fördern. Kann das Beispiel Argentinien Schule machen?
1000 Pesos umfasst die grösste Banknote Argentiniens. Das sind umgerechnet derzeit weniger als acht Schweizer Franken. Für einen Wochenendeinkauf mit Barzahlung braucht es da schon bündelweise Scheine – welche dann im Folgemonat garantiert weniger wert sind. Ein Desaster. Wer kann, versucht direkt nach dem Lohneingang sein Geld schnell in US-Dollar umzutauschen. Nur ist der Umtausch auf der Bank limitiert, Devisen sind knapp. Als Folge existieren ein florierender Schwarzmarkt (ist verboten, interessiert aber niemanden) und zwei unterschiedliche Dollar-Wechselkurse, mit dem „Dollar Blue“ als dem de-facto Wechselkurs der Strasse.
Die jüngere Wirtschaftsgeschichte Argentinien ist ein Trauerspiel. Spätestens seit der Wirtschaftskrise 2001, als die damalige Regierung die Spareinlagen einfror, Bargeldbezüge limitierte und Dollar-Sparguthaben in Pesos zwangskonvertierte (Corralito) war das Vertrauen in die traditionellen Institutionen des Landes passé. Dieser massive Eingriff in die Eigentumsrechte führte zu einer breiten Verarmung der Mittelschicht und hinterliess Spuren im kollektiven Gedächtnis der Argentinier. Auch deshalb sorgt die wieder anziehende Inflation der Landeswährung für Angst, mit über 50% p.a. hat die Inflationsrate einen Wert erreicht, der Sparguthaben wieder wie Eis in der Sonne schmelzen lässt.
Bank the unbanked – Krypto Adoption in Lateinamerika
Angesichts dieser Zustände wundert die schnell wachsende Akzeptanz von Alternativen wie Kryptowährungen wenig. Laut der Gemini-Studie 2022 betrachten 46 Prozent der Befragten in Lateinamerika Kryptowährungen als inflationssicher, und ganze 41 Prozent der Befragten haben 2021 zum ersten Mal Kryptowährungen gekauft. Argentinien steht derzeit immerhin auf Platz sechs in der weltweiten Krypto-Adoptionsrate. Die lokalen Kryptobörsen SatoshiTango und Ripio erfreuen sich grosser Beliebtheit, beide Börsen verzeichnen seit zwei Jahren ein stark ansteigendes Handelsvolumen von Stablecoins.
DAI liegt vorn
Auffällig ist hierbei die Popularität von DAI, einem dezentralen Stablecoin. Während USDC oder Tether (USDT) zentral herausgebende Coins mit Emittentenrisiko sind, verhält es sich bei DAI anders. Dieser Coin ist, auf der Basis der Ethereum Blockchain, 1:1 an den US-Dollar geknüpft und wird von einer dezentralen autonomen Organisation, der Maker DAO, kontrolliert. Vertrauen muss man hier nicht einer Zentralbank oder privaten Firma, sondern schlicht dem Code bzw. dem Konstrukt aus Smart Contracts („Trustless“). Angesichts des Leistungsausweises der argentinischen Finanzinstitutionen fällt dies der Bevölkerung am Rio de la Plata zunehmend leichter. Selbst der Totalausfall des Stablecoins von Terra (UST), welcher im Kryptomarkt im Mai 2022 für Angst und Schrecken sorgte, hat dieses Vertrauen wenig gestört. Zeigte diese Krise doch auch die Resistenz des Maker Protokolls gegen Marktverwerfungen.
Aufgrund der dezentralen Eigenschaften von DAI dürfte eine weitere Enteignung oder ein Zwangsumtausch in Buenos Aires diesmal schwieriger werden. Somit ist auch ein gewisser Schutz gegen staatliche Willkür impliziert. Vor allem für die Bevölkerung in Ländern mit hoher Geldentwertung gegenüber dem Dollar oder Euro kann das argentinische Beispiel ein Vorbild sein, welches nicht nur auf Lateinamerika beschränkt ist. Gleichzeitig könnte die funktionierende Adoption von dezentralen Strukturen in Finanzmärkten auch für Europa zukunftsweisend sein – das Vertrauen in Banken und in die politischen Eliten ist ja nicht nur ein lateinamerikanisches Problem.