Der Boom der Schweizer Shoppingcenter ist vorbei. Umsätze sinken, Läden verschwinden und Leerstände werden Normalität. Gibt es Rezepte, die Shoppingcenter aus der Krise retten?
«Dead Malls» werden in den USA verwaiste Shoppingcenter genannt. Also Shoppingcenter, welche eine hohe Leerstandrate oder eine niedrige Kundenfrequenz aufweisen und entsprechende Verfallserscheinungen zeigen. Im hart umkämpften Retailgeschäft gehören «Dead Malls» in den USA längst zur bitteren Realität. In den Jahren zwischen 1956 und 2006 sind in den USA rund 1’500 Malls entstanden. Im März 2019 gab es noch 1’100, wovon 400 von ihnen bedroht waren.
Das Phänomen der toten Konsumtempel ist auch in der Schweiz angekommen. Ende 2015 wurde das Centro Ovale in Chiasso zur ersten «Dead Mall» der Schweiz erklärt. Stark wachsender Onlinehandel, leerstehende Verkaufsflächen, fehlende Besucher und zunehmender Umsatzrückgang beschäftigen die Betreiber. Die Schweizer Shoppingcenter stehen unter massivem Druck.
Massive Marktveränderung – Onlinehändler übertreffen Shoppingcenter
Die Top-5 Onlineshops in der Schweiz haben 2016 erstmals die Umsätze der Top-5 Shoppingcenter überholt. Mittlerweile machen die fünf grössten Onlineshops mehr Umsatz als die 10 grössten Shoppingcenter der Schweiz. Der Umsatzrückgang bei den Top-10 Shoppingcenter beträgt im Jahr 2018 CHF 15 Mio, ein Minus von 0.5%. Demgegenüber konnten die Top-10 Onlineshops 17.2% oder CHF 630 Mio. zulegen.
Der Branchenverband der Schweizer Shoppingcenter, neu Schweizer Shopping-Center-Verband (SCSC), schreibt in seinem Report (shoppingcenter marktreport schweiz 2018, 5. Ausgabe): «Fakt ist, es handelt sich nicht um eine temporäre Krise, sondern um eine massive Marktveränderung – hervorgerufen durch Onlinehandel, Einkaufstourismus und sinkende Preise».
Neue Herausforderungen durch Nutzungs-Shift und Digitalisierung
Die Experten des Schweizer Shopping-Center-Verband gehen in den kommenden Jahren von weiteren Schliessungen und Filialabbau im stationären Handel aus. Die vorhandenen Flächen müssen künftig umgenutzt werden (Nutzungs-Shift). Revitalisierung und Digitalisierung werden dabei zunehmend eine zentrale Rolle spielen. Die Shoppingcenter von Morgen werden sich massiv von den heutigen Modellen unterscheiden müssen, weil heutige Formate nicht mehr funktionieren und damit zu «Dead Malls» führen.
Gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Veränderungen zwingen die Shoppingcenter eine an die Marktveränderung angepasste Strategie zu entwickeln und drängen so vermehrt in Richtung Erlebnis-, Freizeit-, aber auch Dienstleistungszentren. Dabei steht ein exzellenter Kundenservice, ein hoher Entertainment- und Erlebnisfaktor und Convenience im Zentrum der Überlegungen. Herausforderungen, welchen sich die Betreiber und Mieter von Shoppingcenter stellen müssen.
Neue Konzepte sind gefragt
Der Erfolg wird denjenigen Betreibern und Mietern von Shoppingcentern gehören, welche bereit sind die heutigen Muster und Praktiken zu brechen, um sich voll und ganz auf eine verbraucherorientierte Zukunft einzulassen. Wie werden diese Zentren aussehen? A.T. Kearney, eine international tätige Unternehmensberatung unterscheidet in ihrem Artikel „4 visions of the future of shopping centers“ vier Visionen von Erlebniszentren der Zukunft. Sie unterscheiden in Destination, Innovation, Value und Lifestyle Center.
Destination Centers – gestalten ihre Verkaufsflächen rund um Attraktionen. Publikumsmagnet für ein überzeugendes soziales Erlebnis werden nicht Einzelhändler sein, sondern erlebnisorientierte Unterhaltungsmöglichkeiten, wie beispielswiese eine Skihalle, eine Achterbahn, ein Aquarium, ein Konzertraum, ein Museum, Kinos oder Ähnliches.
Innovation Centers – nutzen Mieterdaten zur Erstellung gezielter Angebote. Dieses Konzept geht davon aus, dass die Betreiber von Innovationszentren ihre Besucher ständig von Anthropologen, Kulturpsychologen und Ethnographen beobachten, aufzeichnen und analysieren lassen. Mit besonderen Anreizen werden die Besucher überzeuget, ihre persönlichen Einkaufs- und Produktbewertungsdaten zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der gesammelten Daten werden neue Konzepte erarbeitet, welche direkt auf einem Teil der Fläche getestet werden. So können in kürzester Zeit neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Für die Konsumenten bietet dies die Möglichkeit, neue Technologien und Konzepte im frühen Entwicklungsstadium zu testen, sich dazu mit Experten auszutauschen und weitere Ideen und Innovationsanstösse einzubringen.
Value Centers – schöpfen ihre Identität aus den gemeinsamen Werten der Konsumenten. Werte und Identifikation sind wichtige Grundbedürfnisse der Menschen. Dies kann politisch, beispielsweise Tierrechte, oder eine ethnische oder gemeinschaftliche Identität, wie zum Beispiel eine Sportmannschaft, sein. Die Betreiber solcher Zentren richten ihr Angebot konsequent auf Erlebnisse aus, welche eng mit entsprechenden Werten und Identifikationen der Verbraucher verbunden sind.
Lifestyle Centers – zielen auf spezifische demographische Gegebenheiten ab. Solche Lifestyle Centers werden spezifisch auf ein Konsumentensegment wie zum Beispiel Teenager, urbane Hipster, Singles, Ü40 oder Rentner ausgerichtet. Das Erlebnis wird aus einem ausgewogenen, für das entsprechende Konsumentensegment sinnvollen, Mix von demographisch spezifischen Angeboten an Einzelhandel, Gastronomie, Unterhaltung und Dienstleistungen bestehen. So könnten seniorengerechten Shoppingcenter beispielsweise mit Seniorenwohnungen, medizinische Dienste, auf Nachlassplanung spezialisierte Berater und Gemeinschaftsräume ergänzt werden.
Daten sind das neue Gold – auch für Shoppingcenter?
Jedes der 191 Shoppingcenter in der Schweiz ist einmalig und muss seinen individuellen Angebotsmix und seine Erlebnisausgestaltung für eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft finden. Wer die Nase vorne behalten möchte, muss die eigene Positionierung überdenken. Dabei bieten sich Zukunftsvisionen, wie oben dargestellt, als mögliche Leitplanken für die Ausgestaltung künftiger Konzepte an. Bei allen vier Visionen müssen die Betreiber der Shoppingcenter vermehrt und geschickt mit den digitalen Spuren ihrer Kunden arbeiten.
Eines ist klar. Um künftig erfolgreich zu sein, müssen sich die Betreiber auf die Bedürfnisse der Konsumenten einstellen. Jeder Aufenthalt muss für den Besucher zu einem individuellen Erlebnis werden und wertstiftend sein. Will er nur schnell etwas einkaufen, so wird er dies auch künftig vermehrt online tun. Darum wird die Kombination des On- und Offline-Handels immer wichtiger. Dabei gilt es, das stationäre Geschäft smart mit den Online-Möglichkeiten zu verschmelzen, um ein ganzheitliches Kundenerlebnis zu schaffen.
Die Menschen werden immer älter und werden als mögliche Folge der Digitalisierung immer mehr Freizeit haben. Somit entstehen neue Bedürfnisse, welche mit neuen Geschäftsmodellen erfüllt werden können. Künftige Zentren können diesen individuellen Bedürfnissen nur gerecht werden, wenn sie sich auf das Kundensegment ausgerichtet positionieren. Beispielsweise könnte eine datengetriebene Beobachtung der demografischen Entwicklung hilfreich sein.
Die erfolgreichen Shoppingcenter der Zukunft werden ihre Konsumenten und deren Bedürfnisse im Detail kennen. Wer es schafft den einzelnen Kunden nutzenstiftend zu motivieren seine Daten zur Verfügung zu stellen, kann einen ausgewogenen Mix aus passenden Erlebnissen und Angeboten kreieren. Daten und die daraus abgeleiteten, relevanten Erkenntnisse werden die existentielle Grundlage für den Erfolg neuer Konzepte sein. Daten sind das neue Gold – dies gilt auch für die Weiterentwicklung der Shoppingcenter.
Für die Zentren bieten sich erfolgsversprechende Möglichkeiten für neue, datengetriebene Geschäftsmodelle. Neue Wege zu gehen und den Markt wieder zu beleben liegt in den Händen deren Betreiber und Mieter. Stillstand führt mit Sicherheit zu weiteren «Dead Malls».
Dead Malls – Sind datengetriebene Konzepte die Rettung? Wie immer, es kommt drauf an, was man daraus macht! Neue Konzepte für Shoppingcenter funktionieren nur, wenn man den Kunden begeisternde und nahtlose Erlebnisse, welche seine Erwartungen erfüllen, über alle Kanäle und Touchpoints hinweg bietet. Dies wird nur mit Konzepten, die mittels gezielter Nutzung von Daten erarbeitet werden, erreicht.