Die Krankenversicherungs-Prämien steigen Jahr für Jahr und belasten die Schweizer Haushaltsbudgets enorm. Können künstliche Intelligenz, Machine Learning und Co. einen Teil zur Dämpfung der Kosten beitragen? Das Potential ist vielfältig und bei weitem nicht ausgeschöpft.
Jedes Jahr das gleiche Spiel. Die obligatorischen Krankenversicherungs-Prämien steigen und leeren die Schweizer Portemonnaies immer mehr. Zwar war der Anstieg 2020 moderater als in den vergangenen Jahren, aber die Prognosen zeigen das gewohnte Bild. Ein durchschnittliches Wachstum von etwa 3% gilt als realistisch. Das ist deutlich mehr als das Bruttoinlandprodukt, Inflation oder vor allem die Löhne pro Jahr steigen.
Im Credit-Suisse-Sorgenbarometer belegt das Thema Gesundheit/Krankenkassen deshalb regelmässig einen Spitzenplatz. Die Politik ringt um Lösungen. Mehrere Initiativen sind in den Startlöchern. Die Gründe für das ungebremste Kostenwachstum sind vielfältig und komplex. Einige der wichtigsten davon sind die demografische Entwicklung, der medizinisch-technische Fortschritt, eine (zu) hohe Spital- und Ärztedichte oder Fehlanreize, die zu medizinisch nicht begründbaren Leistungen führen.
Was hat das mit Big Data zu tun?
Auf den ersten Blick nicht viel. Doch bereits in den bestehenden Datenbergen der Leistungserbringer und Versicherer schlummert viel Potential für Effizienzsteigerungen. Die Menge an Daten wird weiter rasant zunehmen. Und damit auch das Potential, um Nützliches damit anzustellen.
Ein grundsätzliches Problem ist zum Teil bereits die reine Verfügbarkeit von digitalen Daten. Noch immer arbeiten zahlreiche Mediziner vorwiegend papierbasiert. Ein fehlender systematischer Austausch der Patientenakten führt zu Über- oder Falschbehandlung und verursacht in der Schweiz Kosten in Milliardenhöhe. Dies besagt eine Studie von Infras aus dem Jahr 2014. Die Strategie e-Health Schweiz hat deshalb das Ziel, die Digitalisierung und das elektronische Patientendossier zu fördern.
Gewaltiges Potential – auch ohne medizinisches Wissen
Spezifische Anwendungsmöglichkeiten gibt es etliche. Eine gute Auswahl zeigen die Beiträge Top 20 Examples and Applications of Big Data in Healthcare, Ultimate Guide to Big Data in Health Care oder in deutsch KI: Potenziale in Gesundheit und Pflege.
Beispielsweise kann mit Machine Learning oder Zeitreihenanalyse die Anzahl der benötigten Ärzte zum Zeitpunkt X vorhergesagt werden. Das Management der Operationssäle oder die Entlastung des Pflegepersonals von Routinetätigkeiten sind ebenfalls denkbar.
Krankenversicherer können mit Mustererkennungs-Algorithmen noch besser und effizienter nach Ungereimtheiten in den Rechnungen suchen und damit Betrugsfälle erkennen. Gemäss dem Krankenversicherungsverband santésuisse verhindern Rechnungsprüfungen bereits heute Prämienerhöhungen von mehr als 10%.
Auch die Pharma-Industrie kann mit Big Data Produktinnovationen beschleunigen oder die Wirksamkeit von Arzneien ermitteln, um Therapien zu verbessern (Artikel Handelszeitung).
Wearables boomen. Sie messen z.B. Herzschlag oder Blutdruck und unterstützen die Menschen bei einem gesunden Alltag auf spielerische Art und Weise. Real-Time Alerts oder Erinnerungen für Medikamenten-Einnahmen bieten einen echten Mehrwert für Patienten und können präventiv wirken. Durch die Verbindung mit weiteren Datensätzen wie der Krankheitshistorie können Risiken früherkannt oder unnötige Arztbesuche vermieden werden. Der Vergleich der Muster von Millionen von Verläufen anderer Patienten machen’s möglich. Für eine Reihe von Krankheiten sind solide Frühindikatoren bekannt, vor allem auch, wenn sie vom Herz ausgehen (Artikel zum Thema Werables).
„KI schlägt Hautärzte bei Krebsdiagnose“ (Ärztezeitung)
In einer Studie in Deutschland (2019) erzielten Deep-Learning Methoden eine bessere Performance in der Erkennung von Hautkrebs als erfahrene Hautärzte. Dabei wurden Neuronale Netze verwendet, die mittels über 12’000 Krebs/Nicht-Krebs – gelabelten open-source-Bildern trainiert wurden. Weitere Verbesserungen bei der Früherkennung der vielfältigen Krebsarten können die Spezialisten zukünftig sinnvoll entlasten.
Die Datenbank wird zum Assistenten des Arztes
Ein Video von SRF veranschaulicht ein Beispiel aus der Neurologie (Nervensystem) im Bereich personalisierte Therapie. Dabei haben sich 250 Ärzte in Deutschland zusammengeschlossen und ihre Patientendaten in einer Datenbank zusammengeführt. Künstliche Intelligenz unterstützt nun die Entscheidungen der Ärzte über die passgenaue Therapie. Die Entwickler der Algrithmen gehen von weiteren möglichen Anwendungen bei anderen Krankheiten aus, z.B. Migräne und Parkinson. Auch Krebs erfordert eine sehr individuelle Behandlung.
Die Lösung aller Probleme?
Die erwähnten Beispiele sind nur einige Anwendungsmöglichkeiten von vielen weiteren, insbesondere in der Prävention, Früherkennung und personaliserten Medizin. In der Summe kann die Digitalisierung sowie die bessere und verbreiterte Verwendung der Daten und Technologien einen signifikanten Beitrag zur Kostendämpfung leisten. In einer Studie in den USA wurde das Einsparpotential durch Big Data auf 12-17% der US-Gesundheitskosten geschätzt – eine eindrücklich hohe Zahl. Ähnliche Werte könnten auch im Schweizer Gesundheitssystem möglich sein. Doch Daten können weder Fehlanreize im Gesundheitssystem beheben, noch überteuerte Medikamentenpreise verhindern oder die Probleme der Politik lösen.
Die Verbindung von medizinischem Wissen und Data-Science-Skills wird herausfordernd sein. Die verschiedenen Akteure tun gut daran, in die Technologien und die Ausbildung der Mitarbeiter zu investieren. Dieser Meinung ist auch der Verfasser des Blogartikels Big Data im Gesundheitswesen — Chancen und Gefahren. Die Prämienzahler werden es danken, denn die Prämien folgen den Kosten.