Die bisherigen Ertragsströme der Finanzinstitute drohen zu versiegen und die Reaktionen darauf sind eher als verzweifelte Verteidigungsversuche denn als nachhaltige Innovation zu werten. Währenddessen sind die digitalen Player auf dem Vormarsch.
Historisch betrachtet wurden alle 100 – 150 Jahre neue Technologien entwickelt, welche bahnbrechende Veränderungen für die Weltwirtschaft bewirkten. Im 18. Jahrhundert war das die Dampfmaschine, im 19. Jahrhundert die Elektrizität und das Internet im 20. Jahrhundert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts besassen bereits 500 Millionen Leute einen PC mit Internetzugang.
Heute haben über 5 Milliarden Erdenbürger ein Smartphone in der Tasche, jedes davon mit Millionen mal mehr Rechenleistung ausgestattet als die Nasa-Computer der ersten Mondmission. Es ist eine tektonische Verschiebung von „analog“ zu „digital“ im Gange, deren Umfang wir seit der Industriellen Revolution nicht mehr gesehen haben.
Es wird jeden treffen
Amazon ist ohne eigenen Lagerbestand der wertvollste Retailer der Welt geworden. Google ist der grösste Medienkonzern, ohne eigenen Content zu liefern, und Uber wächst zum grössten Transportanbieter heran, ohne eigene Fahrzeuge zu besitzen.
Diesen Beispielen gemeinsam ist, dass sie alle eine Internet-Plattform anbieten, welche den direkten Kontakt zum Kunden erlaubt. Kundenbedürfnisse werden durch Datenanalysen erkannt oder sogar vorausgesagt. Das Angebot und die Nachfrage einer ganzen Industrie kann damit aggregiert werden. Und dies effizient, günstig sowie – dank Cloud-Technologie – beliebig skalierbar. Produktorientierte, traditionelle Industrien werden dabei sprichwörtlich zu Warenlieferanten degradiert. Der Distributionskanal verlagert sich auf die Plattformen.
„Banking is necessary, banks are not!“
Das Statement hat Bill Gates schon in den 90er-Jahren zum Besten gegeben. Es mag überspitzt sein, aber tatsächlich steht dem Finanzsektor eine grundlegende Neuausrichtung noch bevor. Während sich die Finanzhäuser nach altem Muster gegenseitig die Kundenberater abjagen, um Neugelder generieren zu können, erfährt die Kundschaft zunehmend effiziente, benutzerfreundliche und mithilfe von künstlicher Intelligenz passend zugeschnittene Lösungen, welche für sie einen klaren Value-Ad darstellen. Genau dort setzen nämlich die Fintechs an.
Keine Bank hat es bisher geschafft, ihren durchaus vorhandenen riesigen Datenpool effizient, kundenfokussiert und skalierbar zu nutzen. So beinhaltet beispielsweise eine konventionelle, über eine Online-Banking-App ausgeführte Transaktion bis zu 3’500 Datenpunkte, welche mit Algorithmen zur Bedürfniserkennung genutzt werden könnte. Doch dieses Potential liegt brach.
Der aktuelle Umgang mit diesen Herausforderungen stärkt das Fundament für ein prosperierendes Wachstum der neuen Player. Nicht ohne Grund wird zum Beispiel Ant Financial, eine 2014 gegründete digitale Finanzplattform aus dem Dunstkreis von Alibaba, bereits auf den 3-fachen Wert einer UBS geschätzt. PayPal übertrifft die Credit Suisse hinsichtlich Bewertung um das 4-fache.
Das Festhalten an den überholten und teuren Geschäftsmodellen der Banken und das letzte Auspressen der Zitrone wird in einer Sackgasse enden.
Neue Wege oder mit dem „Cüpli“ in die Wand?
Es fehlt eine klare Vision, wie sich die klassischen Finanzinstitute in fünf bis zehn Jahren auf dem Markt positionieren wollen. Die vorhandenen Ansätze sprechen entweder von der eigenen Digitalisierung oder vom Verdrängen der neuen Spieler. Beides wird schon aus geschäftskulturellen Gründen nicht funktionieren, wie ein Blick auf verschiedene Unternehmensgeschichten zeigt. Hätte Walmart mit seinen 2.2 Millionen Angestellten innert nützlicher Frist selber zu einem Tech-Giganten wie Amazon werden können? – Wohl kaum. Die nun aktivierten Anstrengungen im Online- und Data-Business dürften eher vom Markt und der Konkurrenz getrieben sein.
Bleibt eigentlich nur die konstruktive Zusammenarbeit mit den neuen Marktteilnehmern, um Synergien optimal zu nutzen, insbesondere wenn es um die Distribution geht. Intelligente Plattformen sind nämlich nicht zwingend als Frontalangriff auf das Core Business der Banken, sondern vielmehr auf den direkten Kundenkontakt zu verstehen.
Das vergleichsweise weniger beratungsintensive Retailgeschäft bildet einen idealen Einstiegspunkt für solche Kollaborationen. Für die Fintechs ist die „Masse“ an Kunden interessant, die sie mit ihren Geschäftsmodellen erreichen können. Die Banken könnten auf effiziente Distributions- und Servicekanäle statt auf teure, retail-fokussierte Filialen setzen.
In der EU hat die Politik mit der Payment Service Directive 2 (PSD2) bestimmt, dass die Banken ihre Schnittstellen für Fintechs öffnen müssen. Den hiesigen Banken wäre auch im Sinne des Erhalts eines starken Finanzplatzes zu raten, ebenfalls solche Partnerschaften zu suchen, um die anstehende Transformation zu Vermögens-Aufbewahrern und Produktelieferanten in geordneten Bahnen über die Bühne bringen zu können.
Diejenigen, die dem Weckruf als Erste folgen, dürften zumindest gewisse Vorteile der klassischen Pionierstrategie geniessen. Gleichzeitig werden sich die regulierten Häuser noch einige Zeit auf das Vertrauen als Depotbanken stützen dürfen. Dass sie aber im Zuge dieser (R)evolution den Kontakt zu ihren Individualkunden verlieren werden, ist bereits besiegelt.